Dürfen die Notärzte im Kreis Rottweil weiterhin zu Hause auf ihren Einsatz warten oder müssen sie künftig wie die Kollegen andernorts auf der Rettungswache sein? Ein Artikel in der NRWZ vom 22. August hat zusätzliche Fragen aufgeworfen. Auch die, ob die viel zitierten raschen Hilfsfristen in der notärztlichen Praxis überhaupt so wichtig sind.
KREIS ROTTWEIL (him) – Wie am 22. August berichtet, sehen weder die Krankenkassen als Kostenträger noch das Landratsamt als Aufsichtsbehörde einen Grund die bisherige Praxis zu ändern. Derzeit werden niedergelassene Ärzte, die im Kreis Rottweil als Notärzte eingesetzt werden, bei einem Notfall vom Notarztwagenfahrer zu Hause abgeholt. Die gesetzlichen Vorgaben werden dabei eingehalten. Danach müssen die Hilfsdienste nach zehn, maximal nach 15 Minuten beim Patienten sein, und das in 95 Prozent der Fälle. Mit einer Quote von 96,5 Prozent liege der Rettungsdienst landesweit an der Spitze, der Notarztdienst komme mit 94,7 Prozent auf Rang vier und erfülle die geforderte Quote von 95 Prozent nur ganz knapp nicht. Das Land verlangt aber nur, dass einer der Dienste die Quote erfüllt.
An den drei Notarztstützpunkten im Kreis leisten tagsüber in Rottweil immer und in Oberndorf meistens die Klinikärzte den Notdienst, in Schramberg sind Mediziner eines Spezialdienstes aus Tübingen auf der Wache stationiert. Die niedergelassenen Ärzte sind also nur nachts in Bereitschaft.
Auf den Bericht in der NRWZ vom 22. August hin meldete sich ein ehemaliger Rettungssanitäter aus dem Kreis Rottweil, Kim D. Schnackenberg, und warf der NRWZ vor, schlecht recherchiert zu haben. Die Notärzte verteidigten „nur ihr Privileg von ihrer Privatadresse abgeholt zu werden, weil es komfortabel ist.“
Zur Baden-Württembergischen Quote – 95 Prozent in 15 Minuten – schreibt Schnackenberg, das sei „ totaler Quatsch“ und „in keinem anderen Bundesland so zu finden.“ Machen wir den Faktencheck: Tatsächlich gelten, weil das Rettungswesen Ländersache ist, in den Bundesländern unterschiedliche Fristen. Bayern hat – laut Wikipedia – eine Frist von 12 Minuten plus einer nicht näher bestimmten Bearbeitungszeit in der Leitstelle festgesetzt. Nordrhein-Westfalen differenziert nach Stadt – acht Minuten, und Land – 12 Minuten. Mecklenburg-Vorpommern 10 Minuten. Im Saarland, in Sachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt gelten 12 Minuten. Hessen verlangt 10 Minuten für den Rettungsdienst, 15 für den Notarzt. Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen halten es ähnlich wie Baden Württemberg, Thüringen gibt 14 Minuten und in ländlichen Bereichen 17 Minuten als Limit vor.
In Mecklenburg-Vorpommern gilt die 10-Minutenfrist als „äußerst ehrgeizig“, berichtet der NDR. Jetzt ist der Beginn der Messung etwas nach hinten verschoben worden und wird zwischen Stadt und Land differenziert.
Wie dem auch sei, in einem hat Schnackenberg wohl recht. Was im Kreis Rottweil praktiziert wird, spart den Krankenkassen viel Geld. Kassen und Rettungsdienste beraten im sogenannten Bereichsausschuss, wie der Rettungsdienst im Kreis organisiert wird. Der DRK-Kreisvorsitzende Thomas J. Engeser, der zugleich stellvertretender Vorsitzender des Bereichsausschusses ist, bestätigt: „Es wäre deutlich viel teurer, wenn Notärzte von außerhalb angeheuert würden, die dann Dienst in der Wache tun.“ Für Engeser gibt es im Prinzip keinen Grund am funktionierenden System etwas zu ändern: „Insgesamt passt’s.“
Allerdings, das Landesinnenministerium is not amused. In einem Schreiben vom 15. Mai 2014, das der NRWZ vorliegt, heißt es: „Eine Notarztabholung bei einer Privatadresse sollte daher immer nur als ultimo Ratio (sic) und nur interimsweise geduldet werden, bis eine anderweitige Notarztversorgung gewährleistet werden kann.“ Das Ministerium schließt mit der Bemerkung: „…gehen wir davon aus, dass … Abholungen bei Privatadressen die Ausnahme bleiben.“
Das ist eindeutig. Dezernentin Monika Mayr vom Rottweiler Landratsamt hatte letzte Woche auf Nachfrage der NRWZ erklärt, die hiesige Praxis verstoße nicht gegen das Gesetz, denn darin sei „nicht eindeutig vorgegeben“, dass der Notarzt auf der Wache sein müsse. Für Engeser ist der Brief „im besten Fall unglücklich formuliert.“ Der Bereichsausschuss habe sich erneut mit dem Thema befasst und will jetzt vom Innenministerium „eine konkrete Aussage“, ob das hiesige System bei den erreichten optimalen Zahlen nicht doch zulässig sei.
Auf Anfrage der NRWZ hat das Innenministerium noch einmal den Übergangscharakter einer Abhollösung bei Notärzten bekräftigt, „die die selbstverständlich nur so lange praktiziert werden kann, wie anderweitige Ressourcen nicht zur Verfügung stehen.“Hier sei der Bereichsausschuss als örtliches Planungsgremium gefordert, “ in Kooperation mit den Krankenhäusern und sonstigen notarztgestellenden Einrichtungen eine möglichst zeitnahe Änderung der Versorgungsplanung im Blick zu behalten“, so der Sprecher des Ministeriums.
Engeser kennt den Brief des Innenministeriums. Er weiß auch, wer ihn angefordert hat: Das „Deutsche Institut für Katastrophenmedizin“ in Stuttgart und Tübingen, eine private Institution, die nach eigenen Worten unter anderem auch „Krankenhäuser und Kliniken … bei der Besetzung von Notdiensten“ unterstützt. So werden die Notärzte, die tagsüber in Schramberg Dienst tun, von diesem Institut geschickt. „Denen ist unser System natürlich ein Dorn im Auge“, so Engeser, „die würden gerne ihre Ärzte auch auf die anderen Wachen schicken.“
Wie wichtig ist der Faktor Zeit?
Ein langgedienter Notarzt mit hunderten Einsätzen sieht das Ganze eher pragmatisch. Nach seiner Erfahrung sei die Zeitverzögerung durch die Abholung zu Hause gering. Er habe meist schon an der Straße gestanden, wenn der Notarztwagenfahrer kam. Er schätze die Verzögerung durch die Hausabholung auf ein bis zwei Minuten.
Und dann hat er eine erstaunliche Zahl parat: „In mindestens 70 Prozent der Einsätze wäre der Notarzteinsatz gar nicht erforderlich gewesen. Ich wurde sehr oft wegen Bagatellen gerufen.“ Das kann DRK-Chef Engeser bestätigen. „Die Leute rufen den Notarzt, weil sie dann nicht zwei Stunden im Wartezimmer sitzen müssen.“ Das belaste das System natürlich enorm.
Auch bei den oft zitierten Herzinfarkten, bei denen es „auf jede Minute ankäme“, ist der erfahrene Internist und Ex-Notarzt anderer Meinung: „Es kommt auf die ersten Minuten an, richtig. Da ist die Sterblichkeit besonders hoch. Aber da können wir natürlich ohnehin nicht da sein.“ Häufig erlitten die Patienten einen Infarkt, gefolgt von Herzrhythmusstörung und Herzflimmern. Nach einigen Sekunden werde der Patient bewusstlos, kurz darauf trete der Tod ein. Diese Patienten könne auch ein Notarzt, der in fünf Minuten da ist, kaum noch retten. Bei anderen Infarktpatienten sinke die Sterblichkeitsrate nach einer kurzen Zeit rapide. Da sei es wichtig, schnell die Therapie zu beginnen, um Schmerzen zu lindern, der schnelle Einsatz sei aber nicht mehr überlebenswichtig.
Sein Fazit: „Wenn ich mich zurückerinnere, vielleicht einmal pro Jahr war die Zeit ein wirklich wichtiger Faktor.“
Wenn es so wäre wie der „Ex-Notarzt“ beschreibt, könnten wir den derzeitigen Rettungsdienst weitestgehend einstampfen, da sinnlos. Rettungshubschrauber können wir einmotten, denn die Minuten die diese bringen sind ja sinn- und wertlos. Der Herr hat wohl noch nicht mitbekommen, dass inzwichen dank weit verbreiteter halbautomtischer Defibrillatoren und Herz-Lungen-Wiederbelebung die Überlebensrate steigt. Der herr hat wohl noch nciht mitbekommen, dqass Ärzte in Traumazentren um jede Minute ringen. Gerade weil die Überlebensrate zeitabhängig ist, ist ein schneller Notarzteinsatz (über)lebenswichtig. Auch hat er wohl noch nie von der „Golden hour of schock“ gehört. Ob Unfall oder Erkrankung hier zählt jede Minute. Er und… Weiterlesen »
Tj, man vergißt so einiges im Leben. Ach ja, Herr Engesser schreibt sich mit einem s ….
Mir ist nicht ganz klar, wen Sie mit der „Herr“ denn nun wirklich ansprechen? Auch wenn Sie mich nicht gemeint haben sollten, ich jedenfalls lehne dieses Modell der Notarztversorgung wie sie im Raum Rottweil praktiziert wird aus vielerlei Hinsicht ab – das sollte zwischen meinen Zeilen klar zu lesen gewesen sein. Der nächste – rein ökonomische – Schritt wäre es, die Notärzte selbst anfahren zu lassen. Das wurde so im ländlichen Gebiet in Bayern praktiziert und vor Jahren auch schon im Regierungsbereich Freiburg. Es hat sich schlicht als zu gefährlich und logistisch unpraktikabel erwiesen. Um der Diskussion über dieses System… Weiterlesen »
Wir haben im Februar den Notarzt gebraucht. Der war aber nicht da. Kann es sein, dass nach Notfallanruf der RTW nach Rötenberg fährt, und der Notarztwagen nach Rottweil um den Diensthabenden zu Hause abzuholen? Bei Glatteis und von Schramberg ist da leicht eine Stunde um. Unsere Angehörige kam übrigens zu spät in das KH- und lebt heute nicht mehr. Jetzt verstehe ich auch warum der Rettungsassistent fast 20 Minuten mit der Patientin an Bord um einen Intensivplatz telefoniert hat- und keinen bekommen hat. Und jetzt wird mir auch klar, wie ich das zu verstehen habe, dass die Patientin nach Eintrübung… Weiterlesen »
Na nach Rottweil fährt der Notarztzubringer nicht um einen Arzt abzuholen. Da gibt es in Sbg. eigene Ärzte.
Nichts desto trotz wenn man ein solches Erlebnis hinter sich hat denkt man nur noch böses ….
Liebe NRWZ-Redaktion – bitte: es gibt KEINE NOTARZTWAGENFAHRER! Der Fahrer eines Notarzteinsatzfahrzeuges (wie es richtig heißt) muss laut Gesetz ein Rettungsassistent sein! Ebenso muss jeder Rettungswagen mit mindestens einem Rettungsassistenten besetzt sein. Rettungsassistent ist ein anerkannter Ausbildungsberuf (Rettungssanitäter nicht), dieser wird aber demnächst vom neuen Berufsbild Notfallsanitäter abgelöst – so viel nur zur korrekten Berufsbezeichnung. Zur Zeitverzögerung des Notarztes nur soviel: Wohnt der Notarzt z. B. in der Rottweiler Mittelstadt und der Notfalleinsatz ist in Zimmern oder Villingendorf – also in der entgegengesetzten Richtung vom Abholort des Notarztes – dann dürfte die Zeitverzögerung auch mal mehr als „nur“ 2 Minuten… Weiterlesen »
Alles in Allem ist das Ausrücken von niedergelassenen Ärzten von zu Hause aus im ländlichen Raum sicher die kostengünstigste Variante. Prinzipiell ist das auch logistisch kein wirklich relevanter Unterschied zum flächendeckend praktizierten Rendevouzsystem, bei dem der diensthabende Notarzt im Klinikbetrieb eingebunden ist und mittels NEF vom jeweiligen Krankenhaus „abgeholt“ wird. Auch dort entstehen mitunter Verzögerungen bei der Ausrückzeit, da dieser – im Routinebetrieb eingebunden – nicht sofort bei Alarm seine Tätigkeit unterbrechen kann. Nervös machen allerdings Anfahrten quer durch die Stadt zum „Abholort“ oder beispielsweise „leer“ am eigentlichen Einsatzort vorbei…. Selbstverständlich sind auch diese Einsatzfahrten selbst potentiell mit dem Faktor… Weiterlesen »
Sorry, da ist aber schon ein Unterschied zwischen dem Rendez-vous System und der Hausabholung. Wenn die Krankenhäuser, die in Rottweil und Oberndorf (und nur da macht das Rendez-vous System Sinn) nahe der Wache sind, sich bereit erklären, dass ein Notarzt gestellt wird, ist auch sichergestellt, dass jener nicht gerade operiert …. War zumindest in früheren Jahren so der Fall als die Betreiber der Haüser öffentliche Betreiber waren wo unter anderem immer mehrer Ärzte für den Dienst eingeteilt waren (Chirurg, Internist, Anästesist). Auf dem Rettungshubschrauber ist der Notarzt im übrigen auch nicht dauernd beim Flugpersonal sondern ist ganz normal im Krankenhausdienst… Weiterlesen »
Da gebe ich Schuttigbiss völlig recht. Viele Ärzte – sicher nicht alle – sehen den freiwilligen Notarztdienst als Möglichkeit zusätzlich Geld zu verdienen – an für sich natürlich absolut legitim – dies aber von zu Hause aus zu machen, nebenher dabei fernzusehen oder anderen Dingen zu frönen ist – wie ich zuvor schon schrieb – einfach nicht professionell. Ich verstehe Herrn Engesser mit seiner Äußerung nicht – gerade als DRK Kreisverbandsvorsitzender sollte man doch bemüht sein um Professionalität und nicht einfach irgendwelchen Interessengruppen (in diesem Fall den Ärzten) gegenüber anscheinend klein beizugeben. Der Einsatz letztendlich ist eh immer gleich „teuer“… Weiterlesen »
Ist doch einfach zu verstehen. Das DRK rechnet zuerst mal zusammen was das Konzept kostet. Damit geht es zu den Bereichsauscchüssen. Wenn die zustimmen sind die Sätze für die Einsätze festgelegt. Wenn der Arzt auf der Wache ist, kostet er Geld ob er im „Einsatz“ ist oder nicht. Zu Hause kostet der Arzt nichts wenn er den Rasen mäht oder Geschirr spült. Dadurch steht Herr Engeser mit seinen Kosten weit aus besser da als andere Kreisverbände. Und da lassen sich dann gewisse Benefits für den Verein heraushandeln. Zum Beispiel Zuschüsse für neues Gerät, Aus- ud Weiterbildungskostenbeteiligungen etc. Der Patient zählt… Weiterlesen »
Da haben Sie mich aber falsch verstanden. Das war eine reine Analyse, keinesfalls ein Plädoyer für die Dienst eines Notarztes von zu Hause! Alleine der Verweis, der potentiell um den Faktor 7 erhöhten Unfallgefahr sollte meine innere Ablehnung für ein solches System ausdrücken. Die Frage ist, ob ein „Notarztsystem“ in gewohner Form den erhofften Benefit für die Notfallpatienten darstellt oder nicht etwa die „Barfussmedizin“ mit gut ausgebildetem – nicht akademischen Personal, das Flächendeckend für eine zeitnahe Intervention zur Verfügung steht den eigentliche Schlüssel darstellt. Aus meiner eigenen Praxis kann ich behaupten, das dies möglich ist. Ich habe solche Systeme in… Weiterlesen »