ROTTWEIL (him) – Meist gesittet ging es zu bei der Bürgerinformationsveranstaltung zum möglichen Bau einer Justizvollzugsanstalt (JVA) im Esch bei Rottweil. Hätte nicht Staatsrätin Gisela Erler am Dienstagabend gelegentlich mehr aus einem Bauchgefühl heraus als im üblichen Politikersprech geredet, die Gefängnisgegner hätten kaum mal Grund zum Pfeifen, Buhen und Johlen gefunden.
Die grüne Politikerin hatte nämlich auf die Frage, was bei einem Nein zur JVA am Sonntag passieren werde, mit einer Gegenfrage geantwortet: „Wie soll das dann gehen mit der Bürgerbeteiligung?“ Nach den Schlappen beim Bitzwäldle, bei Tuningen und Weigheim werde der Beteiligungsprozess für solche Gefängnisprojekte so zunehmend fragwürdig. Schließlich gebe das Baugesetzbuch die Möglichkeit, bei hoheitlichen Aufgaben auch ohne die Bürger zu entscheiden.
Das gefiel den Gefängnisgegnern natürlich gar nicht, und Erler musste ein wildes Pfeif- und Buhkonzert über sich ergehen lassen. Später stellte sie klar, dass ihr die Bürgerbeteiligung „sehr am Herzen“ liege, die Landesregierung ja auch eine Senkung der Quoren bei Bürgerentscheiden wolle, sie unterstütze auch sehr, dass in Rottweil ein Bürgerentscheid stattfinde. Käme es zu einem Nein, müsse die Landesregierung damit umgehen. „Ich hoffe aber, dass es nicht soweit kommt.“Neben den erstaunlich offenen Worten der Staatsrätin, waren die Aussagen der anderen Beteiligten eher kühl und sachlich.
Begonnen hatte der Abend mit fünf Impulsvorträgen. Esther Lutz-Kuhn und Michael Leibrecht berichteten von ihren Erfahrungen in der Gefangenenseelsorge. Die „Aufarbeitung der Schuld“ sei ein wichtiger Prozess – und dazu müsse das Gefängnis die Möglichkeit bieten, so die evangelische Pfarrerin. Gemeindereferent Leibrecht verlangte, das Esch solle ein „besonders qualifizierter Lebensraum, auch für die Menschen, die dort leben werden“, werden. Die Architektin Carola Geise forderte von einem modernen Gefängnisbau, dass er nicht „Angst und Beklemmung schafft.“
An zwei Beispielen zeigte der österreichische Architekt Josef Hohensinn, wie ein Gefängnis in seine Umgebung eingegliedert werden kann. „Lichtdurchflutete Räume“ sollen gebaut werden, „keine beklemmenden Angsträume“, forderte auch er.
Für die Bürgerinitiative gegen das Gefängnis hätte Winfried Hecht eigentlich über die Naturverhältnisse sprechen sollen, beklagte stattdessen zunächst ausgiebig, wie schlecht die Bürgerinitiative beim Beteiligungsprozess behandelt worden sei. Hecht verwies auf die Landwirte, deren Existenz durch den Bau einer JVA gefährdet würde. Die nächtliche Beleuchtung des Gefängnisses erschrecke die Bewohner des Tiersteins. Auch beklagte Hecht, dass die betroffenen Bewohner der Nachbargemeinden Villingendorf und Dietingen am Sonntag nicht abstimmen dürften – und erhielt frenetischen Beifall.
Der Landschaftsplaner Tim Kaysers wies darauf hin, wie wichtig gute Planung für ein solches Projekt sei: „Wer in der Landschaft bauen will, muss die Landschaft kennen.“
Die Vertreterin des „Bürgerforums Perspektive Rottweil“, Ruth Steinhilber, hob drei Punkte hervor: Es solle ein fortschrittlicher Strafvollzug möglich werden, die JVA müsse landschaftsverträglich gebaut werden und weitere Infrastruktur, wie der Neckartalradweg, müssten entwickelt werden. Fachbereichsleiter Lothar Huber betonte, es gäbe sicher „keine Begeisterung für den Standort Esch“, es handle sich aber auch nicht um ein Atomkraftwerk, eine Chemiefabrik oder eine Müllverbrennungsanlage, sondern um ein Gebäude zur Resozialisierung von Menschen. Projektkoordinator Alfons Bürk machte es kurz und befand, das Esch sei der richtige Standort, „um dort ein Leuchtturmprojekt ‚Gefängnis der Zukunft‘“ zu verwirklichen.
Nach einer Pause, in der auch die Stände von Befürwortern und Gegnern, der Stadt, Architekten, des Landes und des BUND begutachtet werden konnten, lud Moderatorin Miriam Freudenberger zur Podiumsdiskussion auf die Stadthallenbühne. Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) erklärte, dass der Gefängnisneubau trotz sinkender Häftlingszahlen notwendig sei. Zum einen könne in den vielen kleinen, bis zu 150 Jahre alten Gefängnisse keine angemessene Resozialisierung geleistet werden. Zum anderen seien etwa 30 Prozent der Häftlinge heute noch nicht in Einzelzellen untergebracht, und schließlich könnte bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage auch die Zahl der Inhaftierten wieder steigen.
Oberbürgermeister Ralf Broß setzte sich mit dem Arbeitsplatzargument auseinander. Zunächst gelte es, die bestehenden Arbeitsplätze in der JVA Rottweil zu sichern, perspektivisch aber auch um die im Justizbereich allgemein. Das Gefängnis sichere auch die Staatsanwaltschaft, die Kripo und die Gerichte gegen mögliche Zentralisierungswünsche aus Stuttgart ab.
Für die Bürgerinitiative gegen das Gefängnis verwies Henning Theobald auf die Bodenversiegelung, gegen die die grün-rote Landesregierung andernorts so vehement sei. “Im Esch planen Sie das Gegenteil“, wandte er sich an die Vertreter der Landesregierung. Wenn wirklich alle Abstände auf dem Esch eingehalten würden, dann sei einfach nicht genug Platz für eine JVA.
Minister Stickelberger versichert, ein Architektenwettbewerb für eine ökologisch und landschaftsplanerisch gute Lösung sei „unabdingbar erforderlich.“
Dann kommt Gisela Erlers Auftritt: Manche Aussage der temperamentvollen Politikerin geht im Gejohle der Gegner unter, etwa als sie versichert, dass es einen Zielkonflikt beim Esch gebe, oder bei ihrem Hinweis, ein „Acker ist keine Natur“, dass es sich eben um Kulturland handle, das selbstverständlich auch wertvoll sei. Doch richtig ausgebuht wird sie für ihren Satz: „Wenn Sie ablehnen, bin ich persönlich dafür, das Gefängnis ohne Beteiligung der Bürger zu bauen.“
Henry Rauner vom Bürgerforum will die „hochgekommenen Emotionen runter beamen“, und betont, dass die Gegner von Projekten „sofort lautstark da seine, während die die dafür sind, kaum zu hören seien. Er verweist darauf, dass es für di angesprochene Lichtproblematik Lösungen gebe, an denen gearbeitet werde. Die Bürger sollten bei dem Projekt „nicht nur mitdenken, sondern auch mitgestalten.“
In seinem Schlusswort versichert OB Bross, er wünsche sich eine hohe Wahlbeteiligung „so um die 50 Prozent“ am Sonntag, schließlich sei es ein historisches Ereignis, denn bisher habe es in Rottweil noch kein Bürgerbegehren gegeben. Dass nur die Rottweiler abstimmen können, sei eben so in der Gemeindeordnung vorgesehen, erklärte er mit Blick auf die Umlandgemeinden und Hechts Kritik. Nach der Abstimmung hoffe er auf gute Zusammenarbeit, damit alle Belange berücksichtigt werden. Bross verspricht, dass es „kein Hau-Ruck-Verfahren“ geben werde, sondern ein vernünftiges Planungsverfahren: „Das können wir nur gemeinsam machen.“
Auch dafür gibt es Beifall, schon wieder ganz gesittet.
Mir ist nach wie vor nicht ganz klar, weshalb sich ausgerechnet die Dietinger so unfassbar über diese JVA aufregen. Beim Schaubild der http://guat-oder-glump.de/umfrage/jva/auswertung.php Umfrage sitzt genau ein Pin in Dietingen – PRO JVA im Esch. Wie erklärt man sich das?
Ich akzeptiere die Wutbürgerschaft am Tierstein. Aber Dietingen – nun wirklich nicht.