Der Landkreis Rottweil hatte am Donnerstag zu seinem zweiten Kreisforum in die Stiftung St. Franziskus in Heiligenbronn eingeladen. Frank Otfried July, der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg hielt den Festvortrag: „Was uns zusammenhält – Ermutigen in den Herausforderungen unserer Zeit.“
SCHRAMBERG/KREIS ROTTWEIL (him) – Das Thema des Kreisforums war sehr aktuell: „Willkommenskultur gestalten- Vielfalt und Integration in der Gesellschaft“. In seiner Begrüßung hat Michael Wollek, Vorstand der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn die Geschichte des Klosters und der Stiftung geschildert. Er schlug den Bogen zur heutigen Flüchtlingskrise. Schon als Vikar David Fuchs und die franziskanische Schwesterngemeinschaft ab 1857 arme und kranke Kinder im Kloster aufnahmen, hätten diese die Aufgabe eben mit Gottvertrauen angepackt – “und das unter wahrlich schwierigeren Bedingungen als heute.”
Nach einem Auftaktlied mit der Bitte: „Schalt‘ aus dein Handy“, sang der Chor „Intakt“ der Stiftung eine Melodie nach Friedrich Georg Händel, wie Markus Franke in seiner Moderation erläuterte. Er dankte im Namen seiner Mitsängerinnen und -sänger ihrem Chorleiter Georg Sprich, „ der mit so viel Liebe und Mühe“ den Chor leite.
Landrat Dr. Wolf-Rüdiger Michel lobte die Chormitglieder anschließend. Er sei jedes Mal überrascht, wenn der Chor wieder ein neues Lied einstudiert habe. „Es ist ein Genuss dem Chor zuzuhören.“
In seiner Ansprache ging Michel ebenfalls auf die Flüchtlingskrise ein und mahnte, das aus den schlimmen Erfahrungen in der NS-Diktatur wurzelnde Asylrecht nicht in Frag zu stellen. Etliche Veränderungen am Asylrecht würden „mit heißer Nadel gestrickt“, allerdings seien Veränderungen nötig. Auch dürfe die Politik nicht untätig sein. Aber: „Komplexe Fragen sind nicht einfach zu beantworten. Ja, wir stehen vor großen Herausforderungen.“ Michel warnte vor Stimmungsmache: „Wir Demokraten müssen zusammen stehen vor den groben Vereinfachern.“
Der Landrat schilderte die Lage im Kreis mit angekündigten 265 Flüchtlingen monatlich zusätzlich. Er brauche mehr Personal und noch mehr Wohnungen. Ob es dazu komme, dass Hallen belegt werden, könne er nicht sagen. „Soweit sind wir aktuell noch nicht.“ Die Aufgabe werde die Gesellschaft noch lange beschäftigen. Zusätzlicher Wohnraum für diejenigen die bleiben können, mehr Kindergärten, Schulen, Lehrer. Auch Beschäftigung müsse gefunden werden. Experten rechneten damit, dass anfangs etwa 90 Prozent der Flüchtlinge auf staatliche Unterstützung angewiesen seien, bis sie Arbeit haben. Das Arbeitsrecht müsse flexibler werden, und erworbene Bildungsabschlüsse der Neuankömmlinge leichter anerkannt werden.
Der Willkommenskultur müsse eine Anerkennungskultur der Flüchtlinge entsprechen. Toleranz und Rücksichtnahme seien gefordert. „Da darf es keine Rabatte geben.” Michel warnte davor, Probleme zuzukleistern, „das würde die Politikverdrossenheit nur verstärken“.
Schrambergs Oberbürgermeister Thomas Herzog begrüßte mit einem Zitat von Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: “Es ist normal, verschieden zu sein. Es gibt keine Norm für das Menschsein.” Das beschreibe „ein tiefes Verständnis für die Anforderungen, Wünsche und Ziele unseres Gemeinwesens und passen natürlich wunderbar hierher nach Heiligenbronn.“
Als Oberbürgermeister und als Bürger Schrambergs sei er stolz und glücklich darüber, dass in seiner Stadt und insbesondere in den Stadtteilen Heiligenbronn und Waldmössingen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zur Normalität gehören.
Auch Herzog kam rasch auf die Flüchtlinge zu sprechen: “Sie kommen aus verschiedenen Kulturkreisen, haben nicht selten eine andere Religion und leben nach anderen Gepflogenheiten.“ Er forderte: „Wir müssen diese Menschen, die alle nicht ohne Not ihre Heimat verlassen haben, hier willkommen heißen und kennenlernen.“ Um ein faires, friedliches und solidarisches Miteinander zu sichern, habe sich die Stadt Schramberg schon früh diesem Thema verantwortungsvoll gestellt.
Aktuell biete beispielsweise das JUKS³ jeden Freitagnachmittag ein Freizeitprogramm für alle Grundschulkinder aus der ganzen Welt unter dem Motto „Nix wie raus“ an. Die Aufnahme, Unterbringung und Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft werde weiterhin eine enorme Herausforderung sein, „an der wir konstant dranbleiben müssen.
Landesbischof July, der den Festvortrag hielt, dankte zunächst für das ökumenische Miteinander und die Möglichkeit in einer katholischen Einrichtung zu sprechen. Die Kirchen beteiligten sich als Teil der Zivilgesellschaft am politischen Diskurs und hätten „die Aufgabe der Gewissenschärfung.“ Entscheiden würden die Politiker.
Ihn hätten die Fernsehbilder erschüttert, die eine Gruppe Flüchtlinge zeigten, die in Slowenien durch einen eiskalten Fluss gewatet seien. Das zeige, “welch unglaublicher Druck da ist, der die Menschen nach Deutschland treibt.“ July berichtete von Begegnungen mit syrischen orthodoxen Bischöfen, mit Landespolitikern oder einem ungarischen Amtskollegen. Er mache sich Sorgen, es könnten unsere europäischen Traditionen der Gastfreundschaft verspielt werden.
Er kenne viele Kirchengemeinden, die sich um Flüchtlinge bemühen, es gebe aber auch andere Beispiele. So wollte die evangelische Kirche in Stuttgart ein Grundstück zur Verfügung stellen, um 80 Flüchtlinge unterzubringen. „Es gab einen Sturm der Entrüstung und schon 20 Kirchenaustritte.“
July betonte, die Fragen der Flüchtlingsintegration werden uns nachhaltig beschäftigen, deshalb sei „auch die Nachhaltigkeit unseres Engagements gefordert.“ Er lobte, dass auch viele muslimische Gemeinschaften mit Caritas und Diakonie zusammenarbeiteten, um Flüchtlingen zu helfen. Mit einem Bibelzitat wünschte July, dass wir „nicht im Geist der Furcht sondern der Kraft, der Liebe und Besonnenheit“ an die Aufgaben heran gehen sollten.
Im Übrigen sei die Bibel voller Fluchtgeschichten. Wenn man Flüchtlingen helfe, sei dies kein Ausdruck von Gutmenschentum im Sinne von Blauäugigkeit. „Für uns Christen ist es eine Pflicht, uns solidarisch für diese Menschen einzusetzen.“
Selbstverständlich müsse über das Wie diskutiert werden. Viele Menschen hätten Angst, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen werde. Aufgabe der Kirche sei es deshalb, diesen Menschen Räume für Gespräche zu schaffen, in denen sie ihre Ängste aussprechen können. „Wer miteinander spricht, braucht nicht im Halbdunkel des Internets Beschimpfungen auf Politiker niederrieseln lassen.“ Der „Kommunikationsterror im Internet“ sei unerträglich, so July. Es gelte ein klares Zeichen zu setzen, dass wir so nicht mit unseren gewählten Vertretern umgehen sollten.
July endete seinen Vortrag mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer: “Mag sein, dass morgen der jüngste Tag anbricht. Dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen – vorher aber nicht.”
Im Anschluss an die Reden hatte die Landkreisverwaltung zu einem Empfang geladen, den das „Steffi Glunk Trio“ musikalisch begleitete.