Dienstag, 28. November 2023
0.2 C
Rottweil

Große Verdienste um jüdische Geschichte

Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

Profunder Kenner der Historie der Rottweiler Juden, Geschichtsvermittler, engagierter Bürger: Der im Alter von 88 Jahren verstorbene Werner Kessl war eine geachtete Persönlichkeit. Er hat sich vielfach gesellschaftlich eingebracht – auch als Mitgründer und tatkräftiges Mitglied des Vereins „Neue Rottweiler Zeitung“.

Es ist eine bemerkenswerte Fügung, dass Werner Kessl seine vielleicht stärkste öffentliche Wahrnehmung in den Tagen vor und nach seinem Tod erfuhr: Schon über 25000 Mal ist die Film-Dokumentation „Rottweil im Zeichen des Nationalsozialismus“ im Internet aufgerufen worden, in der Kessl zusammen mit Alt-Stadtarchivar Dr. Winfried Hecht die damaligen Geschehnisse kundig beleuchtet. Am Freitagabend stand sie – und damit posthum auch Werner Kessl – im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung in der Stadthalle.

Aufzuklären über das „Dritte Reich“, über ihre monströsen Verbrechen ebenso wie über die Verlockungen des Alltags, das war Werner Kessl zeitlebens ein Anliegen. Als Geschichtslehrer am Albertus-Magnus-Gymnasium. Und darüber hinaus als Historiker, der sich in herausragender Weise um die Erforschung der Geschichte der Rottweiler Juden verdient gemacht hat – was 2016 mit der Verleihung der Bürgermedaille auch ausdrücklich gewürdigt wurde.

Dass ihm dieses Thema so am Herzen lag, hatte teils biografische Gründe. Kessl, am 18. August 1933 im Spital geboren, erlebte als fünfjähriger Bub die Zerstörung der damaligen Rottweiler Synagoge in der Reichpogromnacht mit. Die Familie wohnte damals im Kameralamt.

Dieses Erlebnis muss prägend gewesen sein. Werner Kessl setzte jedenfalls, unter anderem als Mitbegründer des Arbeitskreises „Ehemalige Synagoge“, enorm viel Energie ein für die Erinnerung an das vielfältige jüdische Leben in Rottweil. Und ebenso für gedeihliche Perspektiven der neuen jüdischen Gemeinde. Noch im Spätjahr 2021 besuchte er, gemeinsam mit seinen Töchtern Ulrike Kessl und Moni Marcel, die einstigen Beträume in der Kameralamtsgasse. Dass sie wieder kultisch genutzt werden, war ein Wunsch Kessls, der jedoch unerfüllt blieb.

Werner Kessl war indes nicht nur in Sachen jüdische Geschichte und jüdisches Leben engagiert.  Bereits in den 1970er Jahren initiierte er eine Hausaufgabenbetreuung im katholischen Internat der Eucharistiner, dem „St. Michael“, das gegenüber dem Haus der Familie im Krummen Weg lag. Anstoß gab er zudem für einen Kindergarten für Kinder mit Behinderung.

Werner Kessl gehörte auch zu jenen, die 2004 energisch gegen das Medienmonopol protestierten, das nach Schließung der Lokalausgabe der „Schwäbischen Zeitung“ drohte. Kessl fühlte sich persönlich betroffen, hatte er doch vor seinem Studium beim „Volksfreund“ volontiert. Für ihn stand außer Frage, dass Rottweil mehr als eine Zeitung verdient hat. Deswegen gründete er nicht nur den Verein „Neue Rottweiler Zeitung e.V.“ mit, sondern gestaltete den Verein und die NRWZ lange aktiv und kritisch mit. Seine pointierten, klugen Diskussionsbeiträge, die auch mit einer Prise schalkhaft-trockenem Humor gewürzt sein konnten, weiteten das Blickfeld und waren immer ein Gewinn.

Nach dem frühen Tod seiner Frau zog Werner Kessl die sechs Kinder alleine groß. Dennoch sei es immer ein offenes Haus gewesen, in dem Gäste aus aller Welt willkommen waren, erinnert sich im Gespräch mit der NRWZ Moni Marcel. Im höheren Alter jedoch ging es Werner Kessl gesundheitlich nicht gut, er konnte kaum noch das Haus verlassen. Bei der Fasnet wenigstens im Rollstuhl dabei zu sein, ließ er sich jedoch nicht nehmen. Vergangenen Montag ist Werner Kessl 88jährig in seiner Heimatstadt Rottweil verstorben. Kommenden Montag wird der verdiente Historiker und Zeitzeuge auf dem Stadtfriedhof zur letzten Ruhe gebettet.

Kommentare zu diesem Beitrag

Hier können Sie mitdiskutieren.