Freude und Leid, sie liegen oft dicht beieinander. Auch in diesem Fall, dem geplanten Neubau auf dem zurzeit als Schotterparkplatz genutzten Paketpost-Gelände in Rottweil. Freude und Leid finden sich bei diesem Thema beide in nur einem Gremium, dem Gemeinderat, und in nur einer Person: Investor Bernhard Merz. Und dennoch: Der Entwurf eines Konstanzer Büros konnte alle überzeugen. Weitestgehend.
Der Immobilien-Mann muss, sagen wir es mal ganz flapsig, eigentlich ziemlich bescheuert sein, sich so etwas anzutun. Ein Neubau mitten im historischen Stadtkern von Rottweil – das ist der Stoff, aus dem stundenlange Streitgespräche und etliche graue Haare sind. Das ist, wozu der Dichter einst den Begriff “eierlegende Wollmilchsau” erfunden hat, womit nicht der Investor gemeint wäre, sondern das Projekt, das er bitte finanzieren soll. Dieses vermeintliche Borstentier ist so etwas wie ein Perpetuum mobile, die alchemistische Formel, nach der Gold herzustellen sei, oder saubere Dieselmotoren von Volkswagen: So etwas gibt es offenbar nicht.
Oder etwa doch? In Rottweil scheint genau das auf dem Weg zu sein. Hier scheint es Pläne für einen großangelegten Neubau mit 21 Wohnungen und zwei Ladenzeilen zu geben – die nicht nur die Stadtverwaltung überzeugen, sondern auch Vertreter des Denkmalschutzes, ob vom Regierungspräsidium oder vom hiesigen Geschichts- und Altertumsverein. Und die sogar Bernhard Merz, dem Mann, der das Projekt finanzieren soll, gefallen.
Beziehungsweise: Die Pläne gefallen Merz einigermaßen gut. Als derjenige, der die Wohnungen nachher verkaufen muss, um sein investiertes Geld zurück zu bekommen (um eine Summe X vermehrt, versteht sich), würde er anders planen und bauen. “Meine Kunden wohnen im Haus, nicht vor dem Haus”, verdeutlichte er am Mittwoch vor dem Gemeinderat seine Sicht. Soll heißen: die Wohnungen darin müssen funktionieren, aktuellen Maßstäben entsprechen, was Balkone und Loggien einschließt und Tageslichtbäder für alle. So wohnen sie beide in ihm, Freud’ und Leid. Freude darüber, dass das Projekt trotz aller städtischen Auflagen (re-)finanzierbar erscheint. Und Leid darüber, dass die vielen Auflagen bei der Planung doch arg einschränken. “Dieser Entwurf ist nicht mein Favorit, aber wir nehmen die Aufgabe an”, sagte Merz.
Auch im Gemeinderat: Freud’ und Leid. Am meisten litt Stadtrat Jens Jäger (fraktionslos). Schier aus der Haut fahren wollte er angesichts des Vorschlags, den Bau-Fachbereichsleiter Lothar Huber dem Gremium gerade als den besten von vier eingereichten Architektenentwürfen vorgestellt hatte, als den Sieger eines Architektenwettbewerbs – eine Jury (siehe unten) hat das am vergangenen Freitag entschieden.”Das erinnert mich an eine Legebatterie, an einen Kasernenbau”, wetterte Jäger. Er blieb aber eher alleine mit dieser Sicht der Dinge, sein früherer Fraktionskollege Dr. Jürgen Mehl (SPD) versicherte ihm, dass er als Soldat gerne in einer so schicken Kaserne gedient hätte.
Auch Karl-Heinz Weiss litt ein wenig, zur Zustimmung konnte er sich wie Jäger nicht durchringen.

Die anderen freuten sich eher. “Dieses moderne Gebäude wird am besten nach Rottweil reinpassen”, erklärte CDU-Stadtrat Günter Posselt, der an der einstimmigen Juryentscheidung beteiligt gewesen ist. Auch Stadtrat Mehls Bauchgefühl habe ihm gesagt, dass “die Jury denn richtigen Entwurf gewählt hat.”
Die Jury ist sich jedenfalls sicher: Der Entwurf überzeuge durch eine klare Gebäudestellung und nehme mit einer traufständigen Anordnung die Struktur der umgebenden Gassen auf. Mit einer klaren Gebäudekante werde der nördliche Stadtrand wieder hergestellt. Durch eine ruhige Fassadengestaltung mit rhythmischer Gliederung der Fensteröffnungen füge sich das Gebäude gut in die Umgebungsbebauung ein. Durch eine Höhenstaffelung entsprechend dem Geländeverlauf werden die zwei Baukörper ablesbar.

“Der Entwurf zeigt”, heißt es in der Begründung der Preisrichter, “eine ortstypische Lochfassade mit einem ausgewogenen Verhältnis von Fensterflächen zu geschlossenen Wandflächen. Bodentiefe Fenster schaffen große Belichtungsflächen für zeitgemäße Wohnansprüche. Der Erker als historisches rottweiltypisches Gestaltungselement wird im vorliegenden Entwurf modern interpretiert und pointiert eingesetzt. Passend zu den ruhigen Baukörpern überzeugt der Entwurf durch ruhige, weitgehend geschlossene Dachflächen. Für die notwendige Belichtung der Dachräume werden Gaupen in reduzierter Form und klarer Rhythmisierung eingesetzt.”

Weil sich die geplante Ladenfläche zur Fußgängerachse vom Nägelesgraben zur Innenstadt hin orientiert, werde die gewünschte Belebung erreicht. Der Ladengrundriss lasse “trotz des eingestellten Treppenhauses eine günstige Bespielbarkeit und hohe Funktionalität erwarten.” Die Wohngrundrisse seien klar strukturiert und in Nord-Süd-Orientierung gut gegliedert.
Nun, da will Investor Merz, dass nochmal nachgearbeitet wird. Denn im Moment haben die Wohnungen ausschließlich innenliegende Bäder. Schwer verkäuflich, so der Immobilienprofi.
Wegen des durchgehend geplanten Baukörpers entstünden bei den innenliegenden Wohnungen teilweise Bäder ohne natürliche Belichtung, hat auch die Jury erkannt, der Merz als sachkundiger Berater beiwohnen durfte (immerhin bringt er die Millionen, die das Projekt finanzieren). Das grundsätzlich flexible Entwurfskonzept ermögliche aber noch Veränderungen und Verschiebungen der unterschiedlichen Wohntypen ohne Qualitätsverlust, ist sich die Jury sicher.
Die klare Entwurfsstruktur finde sich auch in der Planung und Organisation der Tiefgarage wieder. Die Zufahrtssituation lasse optimalen Spielraum für die Organisation und Gestaltung der EG-Flächen ohne Störung des Straßenraums. Das wird mit einem Auto-Aufzug erreicht, der im Gegensatz zu einer Rampe wenig Platz verbraucht und so die optimale Ausnutzung der Parkierungsflächen im Untergeschoss ermöglicht.
Das Jury-Urteil: “Der Entwurf überzeugt in städtebaulicher und architektonischer Hinsicht, die angesprochenen Schwächen in den Wohnungsgrundrissen können durch interne Veränderungen reduziert werden.”
Die Jury:
Fachpreisrichter:
- Prof. Norbert Moest, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
- Dipl.-Ing. Ralf-Joachim Fischer, Fischer + Partner Architekten, Konstanz
- Dr. Erik Roth, Regierungspräsidium Freiburg
- Lothar Huber, Fachbereichsleiter Bauen und Stadtentwicklung
- Stefan Hermann, Abteilungsleiter Hochbau
Sachpreisrichter:
- Ralf Broß, OB der Stadt Rottweil
- Günter Posselt, Gemeinderat
- Hermann Breucha, Gemeinderat
- Markus Schellhorn, 1. Vorsitzender Rottweiler Geschichts- und Altertumsverein e.V.
Bernhard Merz, sachkundiger Berater