Rottweil/Tuttlingen (här) – Was ist das für ein Mensch, der im Dezember 2014 in Tuttlingen seine Mutter ermordet haben soll? Und: Wie konnte es zu der unfassbaren Tat kommen? Auf diese Fragen versuchte die Schwurgerichtskammer in Rottweil am gestrigen zweiten Verhandlungstag Antworten zu finden. Die Aussagen von mehreren Kripobeamten und zwei Sachverständigen gaben Einblicke.
Der mutmaßliche Täter sitzt wieder auf der Anklagebank und starrt über weite Strecke auf seine Finger, an denen er unablässig zupft, als wolle er letzte unsichtbare Blutreste tilgen. Der Staatsanwalt wirft dem heute 35-Jährigen vor, er habe im Dezember 2014 im Mehrfamilienhaus In Aspen seine Mutter mit einer Vielzahl von Messerstichen getötet.
Dass der junge Mann – unter dem Einfluss von Drogen – in seiner eigenen Welt lebte, deutete sich Wochen vor dem Tod der Mutter immer mehr an. Er sah Gefahren, wo keine waren, hatte Todesängste ohne realen Grund. Am Tattag, so verriet er später den Ermittlern, seien „Dämonen aus den Wänden gekommen“ und hätten ihn bedroht. Er habe sie mit Orangensaft vertrieben. Tatsächlich fanden Kriminaltechniker dann Rückstände von Orangensaft an Wänden und im Bett.
Ursache waren offenbar Drogen, die er sich per Internet aus England besorgt hatte. „Ein Horror“, gab er später zu Protokoll, „das Schlimmste, was ich je erlebt habe.“ Plötzlich sei er überzeugt gewesen, seine Mutter wolle ihn vergiften und der Polizei seinen Drogen-Konsum verraten. Unter solchen „Wahnvorstellungen“ sei er mit dem Messer auf sie losgegangen.
Vor der Polizei erklärte er sich für unschuldig und sagte, er brauche keinen Anwalt. Bei der zweiten Vernehmung, wenige Stunden später, legte er ein Geständnis ab und erklärte: „ Den einzigen Menschen, der es gut mit mir meinte auf der Welt, habe ich getötet.“
Hat er also wirklich im Wahn getötet oder wusste er, was er tat, wie der Hausmeister als einziger Augenzeuge am ersten Verhandlungstag erklärt hat? Das ist die entscheidende Frage in diesem Prozess. Aufschluss soll der psychiatrische Sachverständige geben.
Gestern erstatteten zunächst die beiden Rechtsmediziner aus Freiburg und Stuttgart ihre Gutachten. Dabei wurde deutlich, mit welcher Brutalität die 64-jährige Frau getötet wurde und wie sehr gelitten haben muss. Die Ärztin, die den Leichnam obduziert hat, benötigte fast eine halbe Stunde, um alle die Stiche, Schnitte und Einblutungen am ganzen Körper aufzuzählen. Am extremsten waren ein zehn Zentimeter tiefer Stich, ein Lungendurchstich und die Durchtrennung einer Rippe. Letztlich starb die Frau an einem Verblutungsschock. Wie sehr sie sich gewehrt, zeigten schwere Verletzungen, unter anderem ein fast abgetrennter Daumen, die sie sich beim Abwehrkampf zuzog
Professor Stefan Pollak von der Uni Freiburg bestätigte dann auch, dass der Täter „sehr wuchtig“ zugestoßen haben muss – einmal mit einem zwölf Zentimeter, später mit einem 19 Zentimeter langen Messer. Der Sachverständige wies auch nach, dass der mutmaßliche Täter unter dem Einfluss von Designerdrogen, Speed und anderen Rauschmitteln stand.