Sie gehört zum Bedeutendsten, was in Süddeutschland an spätmittelalterlicher Schnitzkunst geboten wird – beim Publikum findet sie aber nur mäßige Resonanz: Die als „Sammlung Dursch“ bekannte Abteilung gotische Sakralkunst des Dominikanermuseums. Eine Umgestaltung soll dies nun ändern. Wie es gelingen kann, die Schätze ins Rampenlicht zu heben und mehr, vor allem junge Besucher, anzulocken, erläutert im Gespräch mit der NRWZ Kulturfachbereichsleiter Marco Schaffert.
NRWZ: Herr Schaffert, „zeitgemäßer und emotionaler“ soll die Sammlung Dursch präsentiert werden. Wie kann das aussehen – wie macht man gotische Sakralkunst sexy?
Marco Schaffert: (lacht) Die aktuelle Präsentation stammt aus dem Jahr 1992 und sie war für damalige Verhältnisse wirklich gut. Mittlerweile ist die Darstellung jedoch in die Jahre gekommen. Momentan sind die Objekte nach Schnitzern und Epochen geordnet. Zudem drängen sich die damals modernen lindgrünen Podeste gegenüber Kunstwerken ohne oder mit geringer Restfassung visuell in den Vordergrund. Klar ist: Es muss etwas passieren, wobei Einigkeit besteht, dass keine Stücke ins Depot verschwinden oder nach Stuttgart verlagert werden. Mit der Entwicklung eines neuen Konzepts haben wir – und damit meine ich maßgeblich auch die Museumsleiterin Martina Meyr – jedoch gerade erst begonnen und es gibt zahlreiche Gedankenspiele. ‚Sexy‘ darstellen heißt in diesem Fall wohl vor allem: Mehr Farbe rein, ein anderes Aufstellungs-Konzept, überarbeitete Texte, eine gezieltere Blick-Dramaturgie. Dazu gehört auch, Sichtbeziehungen vom Foyer aus zu schaffen….
… Die Sammlung soll also bereits vom Eingangsbereich aus Interesse wecken und Leute anziehen?
Genau. Das Gebäude im Stil der 1980er/1990er Jahre hat eine starke Architektur, die allerdings Kehrseiten hat: Die Türen sind fast blickdicht, zudem sind wir gezwungen, den Zugang geschlossen halten, weil die Sammlung aus konservatorischen Gründen klimatisiert werden muss. Dadurch entsteht eine Barriere, die sich als Hemmschwelle für den Zugang zur Sammlung auswirkt. Das müssen wir überwinden und vom Foyer aus einen Blick nach innen lenken, der Lust macht, hinein zu gehen.
Gehört zur Auffrischung auch mehr Star-Kult? Die Sammlung hat ja Prominentes zu bieten, eine Maria Magdalena und eine Barbara von Hans Multscher etwa, dem wohl bedeutendsten Bildhauer Deutschlands Mitte des 15. Jahrhunderts? Manche Museen würden solche Stücke inszenieren wie eine Mona Lisa…
… In diese Richtung muss es sicher gehen. Nikolaus Weckmann haben wir anhand seines „Ehinger Altars“ ja bereits im Turm in dieser Weise inszeniert. Die Werke von Hans Multscher stehen momentan noch mittendrin, ohne dass erkennbar wird, dass dies die hochrangigsten Stücke sind. Mit einem herausgehobenen Platz, mit Lichtführung und anderen Mitteln muss der Rang erkennbar werden. Aber auch insgesamt muss es uns besser gelingen, deutlich zu machen, dass wir hier in Rottweil die bedeutendste Sammlung gotischer Sakralkunst in Baden-Württemberg neben der des Landesmuseums in Stuttgart haben.
Derzeit präsentiert die Ausstellung die Objekte ganz traditionell als Zeugnisse kulturhistorischer und künstlerischer Entwicklungen. Es geht um Sujets, Gestik, Faltenwürfe – Adressaten sind Bildungsbürger mit Vorwissen. Wen soll die Schau künftig ansprechen?
Dass wir Bildungsbürger ansprechen, ist gut, weil wir viel zu bieten haben und diese Gruppe nicht verlieren wollen. Aber wir müssen die Reichweite und Anschlussfähigkeit erheblich erweitern. Bei den römischen Funden haben wir es geschafft, ein ganz junges Publikum anzuziehen. Das ist mit der mittelalterlichen Kunst weitaus schwieriger. Wir haben keine Ritter zu bieten, mit denen jeder schnell etwas Spannendes verbindet, sondern ausschließlich Heilige. Trotzdem: Wir wollen die Abteilung Sakralkunst öffnen und insbesondere Familien und Kinder deutlich machen, dass das eine tolle Sammlung ist.
Wie soll das klappen?
Ein zentrales Mittel sind Emotionen. Das heißt, dass wir die Stücke künftig zum Beispiel unter Überschriften wie Kleidung, Haartracht, Leiden im Mittelalter oder Schönheit im Mittelalter aufstellen könnten.
Und welche Botschaft soll dabei vermittelt werden, wenn es nicht die Experten-Infos zu Stil und Symbolik sind? Dass auch Heilige Menschen waren?
Ja, unter anderem. Dass diese Gestalten immer als Zeitgenossen gezeigt wurden, in der Mode der jeweiligen Gegenwart und verbunden mit aktuellen Schönheitsidealen. Da begegnen uns keine abgehobenen Figuren, sondern Menschen ihrer Zeit. Bei Multscher wird das sehr deutlich: Seine Madonnen sind viel eher irdisch-menschlich als heiligmäßig. Das kann man spannend zeigen.
Ist Teil des Vermittlungs-Problems auch, dass der religiöse Kontext, die Geschichten, die da erzählt werden, nicht mehr zum Allgemeinwissen gehören?
Ganz sicher. Wir stellen fest, dass vom Experten-Publikum abgesehen erheblich weniger Vorwissen vorhanden ist als noch vor einigen Jahren. Auch eine Schutzmantelmadonna muss heute von Grund auf erklärt werden, selbst bei Besuchern mit christlichem Hintergrund. Hinzu kommt, dass das Publikum unter anderem durch Migration wesentlich vielfältiger wird.
Wie kann Museumspädagogik da ansetzen?
Wir müssen unterschiedliche Gruppen unterschiedlich ansprechen. Es braucht weiter Angebote für das Fachpublikum. Es braucht aber vor allem eine gekonnte Inszenierung und eine Begleitung für Besucher mit weniger Background. Für die Römer-Abteilung ist gerade ein Begleitbuch im Druck, das in zeitgemäßer Sprache prägnante Informationen bietet. So etwas benötigen wir auch für die Sammlung Dursch. Bei den Info-Tafeln müssen wir weg von der Textlastigkeit und mehr auf das eingehen, was man unmittelbar sieht. Eine besondere Aufgabe wird sein, die Sammlung für Kinder attraktiv zu machen. Diese Gruppe müssen wir systematisch ansprechen, zum Beispiel durch Suchspiele, die zum Entdecken anregen. Für die Römer-Abteilung haben wir ein digitales Museums-Spiel. Für die Sammlung Dursch brauchen wir etwas Vergleichbares.
Stichwort Digitalisierung: Diese hat Seherwartungen rasant gesteigert. Museen konkurrieren zwangsläufig mit multimedialen Präsentationsformen. Wie kann jungen Leuten schmackhaft machen, dass es sich lohnt, eine Skulptur von 1400 im Original anzuschauen?
Es muss uns gelingen zu vermitteln, dass das Original wesentlich mehr bietet als jede Reproduktion: Die Möglichkeit, die Perspektive selbst zu wählen, Details zu erkennen und die viel beschworenen „Aura des Originals“ zu erleben. Außerdem müssen wir verstärkt den Zeitkontext herstellen und auch anschaulich machen, was Leben im Mittelalter bedeutete. Das ließe sich natürlich großartig multimedial einbetten, aber das ist immer eine Geldfrage.
Über welche Größenordnung sprechen wir da?
Ich kann derzeit nur vorsichtig schätzen. Es beginnt bei 70 000 bis 100 000 Euro für Veränderungen bei der Aufstellung, der Farbgebung der Sockel und der Lichtführung. Wenn man aber zum Beispiel mit Strahlern arbeitet wie in der Römer-Abteilung und im „kunst raum rottweil“, treibt das die Summen enorm in die Höhe. Eine große Lösung würde wohl anderthalb Millionen Euro kosten.

Wenn die Sammlung neu präsentiert wird, muss dann in einem weiteren Schritt für diese Schätze nicht auch mehr auf die Werbe-Pauke gehauen werden – zum Beispiel auf bewährte Art mit Plakaten und mit neueren Mitteln wie einem Video-Trailer auf der Homepage?
Das ist angedacht. Sofern möglich wollen wir die Ausstellung 2017 wieder eröffnen – 25 Jahre nach Einweihung des Dominikanermuseums. Dieser Zeitrahmen ist allerdings knapp bemessen. Anschließend müssen wir wesentlich stärker nach außen treten. Die Anfänge sind gemacht: Das Gesamtmuseum ist durch neue Schriftzüge an der Fassade und einen neuen Anstrich besser sichtbar. Derzeit sind wir dabei, eine Vernetzung mit dem Fußgängerleitsystem herzustellen. Wahrscheinlich muss aber die Sichtbarkeit des Dominikanermuseums hinter der Predigerkirche noch verbessert werden – zum Beispiel durch einen großen Eye-Catcher am oberen Treppeneingang. Darüber hinaus wollen wir mit den braunen Touristik-Hinweisschildern großräumig auf das Dominikanermuseum als Highlight in Rottweil aufmerksam machen. Ich glaube, das braucht es.
Die Fragen stellte unser Redakteur Andreas Linsenmann.
Info: Aufgebaut hat die Sammlung Dr. Martin Dursch (1800-1881), der in Rottweil als Stadtpfarrer und Dekan tätig war. Sie wurde 1851 durch König Wilhelm I. erworben und der Stadt Rottweil geschenkt. Die Kollektion umfasst rund 180 Objekte des 14. bis frühen 17. Jahrhunderts, darunter herausragende Stücke schwäbischer und oberschwäbischer Bildhauer der Spätgotik wie etwa dem „Meister von Eriskirch“, Hans Multscher, Hans Rueland, Michel Erhart und Nikolaus Weckmann.