ROTTWEIL – Dem Narrenmeister gelang auch dieses Jahr wieder das alljährliche Kunststück. Mit Engelszungen hat er auf 30 erwachsene Männer eingeredet und es geschafft, dass diese Herren an einem kirchlichen Feiertag in aller Herrgottsfrühe das traute Heim und den trauten Kreis der Familie verlassen, um in anderer Leute Haus Staub zu wischen.
Doch nicht nur das Sauber machen rang er ihnen ab, nein auch das Niveau der Gründlichkeit wurde von ihm vorgegeben. Nicht sauber, sondern picobello sauber gilt es die Narrenhäuser der Bürgersleute, die den Abstaubern Einlass gewähren, zu verlassen. Aufgrund des hohen Reinlichkeitsanspruchs des Abstauberchefs ist klar, dass diese Raumpflegedienste bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages dauern werden.
Knochenarbeit also, alles andere wäre untertrieben. Um die Schinderei zu entlohnen, hat der Narrenmeister aber nicht viel zu bieten. Der Zunftsäckelmeister thront bei der Narrenzunft ja gewichtig auf der Geldschatulle. Was also überzeugt die närrischen Raumpfleger mit den schwarzen Hüten in ihren zu eng gewordenen Fräcken, diese Tour der Leiden auf sich zu nehmen? Das Ausleben eines hysterischen Sauberkeitswahns ist es mit Sicherheit nicht. Nein, es ist etwas anderes. Antriebe für die Mühsal sind vielmehr die angespannte, freudige Erwartung in den Narrenhäusern und die von Mutterwitz geprägten Unterhaltungen zwischen Jung und Alt.
Wenn morgen die mit Zylinder und Besele gewappneten Mannen in die Häuser der Bürgersleute eintreten, lassen diese wieder ein Stück Heimat aufleben und bringen einen Vorgeschmack der nahenden Fasnet, sozusagen ein Versucherle der kommenden hohen Tage, mit. Ja, das Abstauben und die Fasnet prägen in Rottweil den Begriff Heimat über alle Maße.
Am Abstaubertag und an den Fasnetstagen wird also durch das Reden miteinander und nicht übereinander Heimat erlebbar und gestaltbar gemacht. Durch diesen zwischenmenschlichen Austausch wiederum entsteht eine Identifikation mit dem lokalen Geschehen. Was Rottweil nun als Ort so besonders macht, ist, dass die reichsstädtische Fasnet den Bürgersleuten zudem die Möglichkeit bietet, ihre Beziehung zum Heimatort öffentlich zu demonstrieren. Dies ist deshalb etwas ganz Besonderes, weil es die Identifikation mit der Stadt und damit das Wir-Gefühl weiter verstärkt.
Wie sich die Strahlkraft dieses Wir-Gefühl Bahn bricht, sehen die Bürgersleute immer daran, wer alles mit Rottweiler Wurzeln an den hohen Tagen aus den noch so entferntesten Gefilden der Republik anreist, um ein Stück dieses Wir-Gefühls zu erhaschen. Jenseits sozialer Unterschiede wird dadurch eine Gemeinsamkeit geschaffen, die fast schon eine mystische Kraft verkörpert.
Am Dreikönigstag nun öffnen die Abgesandten des Narrenmeisters der anstehenden Fasnet die Türe, damit diese sich bis zum 17. Februar in ihrer vollen Schönheit entfalten kann. Nachdenklich stimmt in diesem Kontext allerdings eine Entwicklung, die seit mehreren Jahren zu beobachten ist: Für eine steigende Anzahl von Narren ist die reichsstädtische Fasnet nicht mehr mit kollektiven und intimen Empfindungen besetzt, die einen kulturellen Identitätsraum charakterisieren.
Vielmehr wird das jahrhundertealte Brauchtum umgedeutet in eine Plattform des Events und der bloßen Kostümschau. Die Fasnet wird den Einheimischen, die dieses Brauchtum als Identifikationsanker für ihr „Wir-Gefühl“ benötigen, ein stückweit genommen. Ältere Rottweiler bringen dies häufig zum Ausdruck, wenn sie sagen, dass ihnen die Fasnet immer mehr fremd wird. Vielleicht nutzt deshalb der eine oder andere nach Event und Kostümschau heischende Narr den Abstaubertag, um über die Konsequenzen, die seine Umdeutung des Brauchtums für all jene mit sich bringt, die dieses als Identifikationsanker so dringend benötigen.
Alle Bürgersleute, die die Abstauber bei der Pflege eines kleinen Stücks heimatlichen Brauchtums unterstützen wollen, sind herzlich zur Aussendung der edlen Spinnenbobbeljäger eingeladen. Diese erfolgt am Dreikönigstag um 10.30 Uhr vom Balkon des Café Schädle. Sammelstelle für alle Abstauber und alle der Fasnet treu verbundenen Bürgersleute ist ab 21 Uhr das Gasthaus Goldener Apfel. Die Narrenzunft freut sich auf Ihr Kommen.