Samstag, 20. April 2024

OneCoin: Zwei Leichen im Koffer  

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Am 1. Juli sperrt die Polizei in Mazatlán im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa, etwa tausend Kilometer nordwestlich von Mexiko-Stadt, ein brachliegendes Grundstück ab. Es ist heiß und stickig. Eine Ambulanz kommt, Leute stehen herum, schwer bewaffnete Polizeibeamte rücken an, wie Fotos in der Lokalpresse zeigen. Zwischen Müllsäcken hatte jemand zwei Koffer gefunden. Der Inhalt: gruselig.

Zwei junge Männer, die Geschäfte mit der angeblichen Kryptowährung „OneCoin“ machten, sind tot. In Mexiko, so berichtet es die chilenische Zeitung „La Tercera“, haben Unbekannte Óscar Brito Ibarra und Ignacio Ibarra am 28. Juni entführt und zwei Tage später ermordet. Ihre Leichen fand man tags darauf in Koffer gestopft zwischen Müllsäcken auf besagtem Grundstück im Stadtteil El Venadillo. Die beiden waren in Lateinamerika als OneCoin-Verkäufer unterwegs. Ihr Tod sorgt für Schlagzeilen.

Am Leichenfundort in Mazatlán. Foto aus Atamacas Noticias

Konsti Keks muss weiter warten

Ob Konstantin Ignatov davon in seiner Gefängniszelle oder an dem Ort, an dem ihn die US-Staatsanwaltschaft gegenwärtig versteckt, etwas erfahren hat? Wenn ja, wird ihm sicher ein kalter Schauer den tätowierten Rücken hinuntergelaufen sein. Im Moment, und wohl noch mindestens weitere vier Monate, ist „Konsti Keks“, wie ihn seine Schramberger Kumpels nannten, ja noch sicher.

Die Erfinderin von „OneCoin“, Ruja Ignatova, und ihr Bruder und Nachfolger an der Spitze der Firma, Konstantin, sind in Schramberg aufgewachsen und zur Schule gegangen. Mit ihren OneCoin-Firmen sollen die Ignatovs und ihre Helfer mindestens vier Milliarden US-Dollar weltweit erschwindelt haben.

Foto von Ignatovs Facebookseite

Konstantin Ignatov hat das FBI am 8. März 2019 am Flughafen in Los Angeles verhaftet. Nachdem er mit der Staatsanwaltschaft einen Deal ausgehandelt und versprochen hat, gegen andere OneCoin-Größen auszusagen, ist er noch nicht abgeurteilt und bleibt unter der Obhut der Staatsgewalt.

Entführt, erstickt und weggeworfen

Zurück nach Mexiko: Nach dem Leichenfund in El Venadillo finden die Behörden schnell heraus, dass die beiden Mordopfer aus Chile und Argentinien stammen. Trotz des gleichen Nachnamens sind sie nicht miteinander verwandt. Sie waren schon im Frühling nach Mexiko gereist. Wegen der Corona-Pandemie seien sie länger als geplant geblieben und am 20. Juni in die Provinz Sinaloa gekommen.

Dort tobt seit Monaten ein erbitterter Krieg innerhalb des Sinaloa-Drogenkartells. Nach der Verhaftung und Auslieferung Joaquín „Chapo“ Guzmáns 2017 an die USA kämpfen die Kinder des „Chapo“ gegen ihren ehemaligen Leutnant Ismael „Mayo“ Zambada um die Vorherrschaft. In Sinaloa haben die Behörden allein im Mai 72 Morde verzeichnet.

Begeisterung für OneCoin

Sind die beiden Ibarras zur falschen Zeit am falschen Ort – oder hängt ihr grausiges Ende mit OneCoin zusammen? Eines ist klar: Oscar Ibarra hat für OneCoin gearbeitet. Auf seiner bis heute (23. Juli 20) einsehbaren Facebookseite wimmelt es von Werbevideos und Fotos für die angebliche Kryptowährung. Auch die „Cryptoqueen“ Ruja Ignatova ist darin immer wieder zu sehen.

Screenshot von Oscar Ibarras Facebookseite.

Wie die Reporter von La Tercera in Chile recherchiert haben, war Oscar Brito Ibarra  von Jugend an von der Idee besessen, schnell viel Geld zu verdienen.  Ganz ähnlich wie der etwas ältere Ignatov. Doch während der sich erst von seiner großen Schwester als Assistent anheuern ließ, um nach deren Abtauchen im Oktober 2017 den OneCoin-Laden zu übernehmen, geht Oscar Brito Ibarra in Chile einen anderen Weg.

So sah sich Ibarra selbst: als erfolgreichen jungen Geschäftsmann. Foto von seiner Facebook-Seite.

Vor zehn Jahren hatte er seinen Schulabschluss in seiner Heimatstadt Recoleta  nahe der Hauptstadt Santiago de Chile gemacht. Er arbeitete als Kellner und begann mit 25 Jahren Selbsthilfebücher zu lesen, etwa von  Robert Kiyosaki. Der US-Geschäftsmann erklärt in seinen Büchern, wie man reich und erfolgreich wird.

Über Forex, den Handelsplatz für Währungen, stieg Oscar ins Devisengeschäft ein und startete 2017 gleich mehrere Firmen: eine für Immobilien, eine für nachhaltige Materialien und „Coral Oasis“, einen Massagesalon in Santiago de Chile. Das seien alles „super korrekte Dinge“ gewesen, berichtet eine ehemalige Geschäftspartnerin  den Reportern von La Tercera.

OneCoin Plakat aus Chile. Quelle: La Tercera

Doch Ende 2017 stieß Oscar Brito Ibarra auf OneCoin. Die Gründerin Ignatova war kurz vorher abgetaucht und ihr Bruder Konstantin hatte ihren Platz in der Zentrale in Sofia übernommen. In Europa und Fernost gehen die Behörden verstärkt gegen OneCoin vor. In China verhaftet die Polizei reihenweise OneCoin-Verkäufer, in Thailand wird Sebastian Greenwood 2018 festgenommen und an die USA ausgeliefert. OneCoin sucht neue Märkte in Afrika und Lateinamerika.

Erfolg um jeden Preis

Auf Ibarras Facebookseite tauchen genau zu dieser Zeit mehr und mehr Berichte über Networkmarketing auf. Am 19. September 2018 postet er ein erstes Werbevideo von „OneCoin“. In einem späteren Post auf seiner Seite bietet die „OneAcademy“ Robert Kiyosakis Hauptwerk „Reicher Dad, armer Dad“ als Geschenk an.

Facebookseite Ibarra

Oscar Brito Ibarra wirbt für OneCoin, die OneAcademy und die angebliche Handelsplattform Dealshaker, alles Gebilde rund um das Imperium der Ignatovs. In Chile kommt er mit einer kleinen Gruppe in Kontakt, die sich für die Kryptowährung aus Bulgarien begeistert. Die Teilnehmer kaufen die berüchtigten OneCoin-Bildungspakete und erwerben damit auch angebliche Ankaufsrechte für OneCoins. Am 24. Oktober 2018 notiert Oscar auf seiner Facebook-Seite, er fände es „einfach wunderbar“, dabei zu sein, wenn „die Armut eines ganzen Kontinents“ mithilfe einer Kryptowährung beseitigt werde.

Ein betrügerisches Geschäft mit einer betrügerischen Krypto-Währung: das kann nicht gut gehen

Wie er das anstellen wollte? Drei Buchstaben sind die Antwort: CLA. Sie stehen für Comercializadora Latinoamericana de Automotores  (Südamerikanische Automarketing-Gesellschaft). Das argentinische Unternehmen, so berichtet La Tercera, sei eine Art Vermittler zwischen Autokäufern und Autoherstellern gewesen.

CLA habe angeboten, die Autos mit einer Kryptowährung zu bezahlen und so den Käufern günstigere Preise zu verschaffen. Oscar Ibarra sei nach Argentinien geflogen, um Cristián Cabrera zu treffen, der für CLA arbeitete. Oscar wollte die CLA-Leute davon überzeugen, dass sie OneCoin und die Handelsplattform Dealshaker mit in ihr Geschäft aufnehmen.

Anzeige von CLA aus La Tercera

Oscar war offenbar erfolgreich, denn im Februar 2020 reiste Cabrera mit einem weiteren CLA-ler, Ignacio Ibarra, nach Chile, um dort potenzielle Autokäufer unter den OneCoin-Anhängern anzuwerben. Am Morgen des 29. Februar traf sich die Gruppe in Providencia.  Dass Óscar  dabei war und als CLA-Vertreter in Chile auftrat, habe „dem Unternehmen in den Augen der lokalen OneCoin-Community Glaubwürdigkeit“, verliehen, so La Tercera.

Allerdings, so berichten es offenbar Betrogene der chilenischen Zeitung, seien in Argentinien etwa 140 Leute auf die CLA-Angebote hereingefallen und hätten etwa 400.000 Dollar verloren. Im Internet warnt der  YouTuber Davidoski vor dem CLA-Verkäufer Aldo Leguizamón. Dieser behauptete, nach einer Anzahlung von 1000 Dollar und weiteren 400 Dollar für „Patentgebühren“ und ähnliches werde er ihnen die Autos mit starkem Rabatt beschaffen, den Rest sollten sie dann mit der Kryptowährung bezahlen.

Die Autos hätten die Käufer nie gesehen, aber das Geld ist weg, so die Behauptung.

Gerissen oder naiv?

Cabrera und Oscar Ibarra machten weiter, sie reisten nach Santiago de Chile und weiter nach Mexiko und warben unverdrossen neue Käufer für den Autokauf per Kryptowährung und CLA.

Ibarra und Cabrera bei einem Zoom-Treffen der CLA-Leute in Mexiko. Foto aus La Tercera

Seine Freunde in Chile halten große Stücke auf Oscar Ibarra. Francisco Beltrán lässt sich in La Tercera zitieren, Oscar habe „nie die Absicht gehabt, jemanden zu verletzen, zu täuschen“. Er könne da höchstens von jemandem in etwas hinein gezogen worden sein. Seine frühere Geschäftspartnerin Camila Durán meint, er sei „vielleicht etwas naiv“ gewesen.

Das muss man wohl sein, wenn man noch im Jahr 2020 meint, mit OneCoin auf ehrliche Weise Geschäfte machen zu können: Greenwood ist in Haft, Ruja ist seit gut zwei Jahren wie vom Erdboden verschwunden und Konstantin Ignatov  sitzt seit einem Jahr und „singt“ im Dezember 2019 stundenlang im Prozess gegen den OneCoin-Geldwäscher Mark Scott. Ignatovs eigenes Verfahren vor dem Distriktgericht in New York läuft weiter.

OneCoin Strafprozesse: In den USA wird weiter verhandelt

Ein eigentlich für den 7. Juli angesetzter Temin für  die Urteilsverkündung hatte Richter Edgardo Ramos in New York auf den 8. Juli verschoben. Am späten Nachmittag erklärt Ramos, er werde dem Wunsch der Staatsanwaltschaft nachkommen und Ignatovs Strafmaß erst später verkünden.

Die Staatsanwälte hatten Ramos um „etwa vier Monate“ Aufschub gebeten, weil  die Mitarbeit des Beschuldigten noch nicht vollständig“ sei. Konstantin Ignatov  wird noch gebraucht und zwar im Verfahren gegen Sebastian Karl Greenwood. Der Schwede soll mit Ruja Ignatova den gesamten OneCoin Schwindel aufgezogen haben.

Während sich die Justiz in New York „nur“ mit einem Milliardenschwindel beschäftigen, geht es in Matazlán um zweifachen Mord. Wie landeten die beiden jungen Südamerikaner erstickt in Koffer gestopft auf einer Müllkippe in Mexiko?

Wer hat die Ibarras umgebracht?

Die chilenischen Reporter von La Tercera sind überzeugt, die beiden Ibarras seien den Drogenbossen in Sinaloa zu nahe gekommen. Die US Drogenbehörde Drug Enforcement Administration (DEA) hat kürzlich in einer Studie berichtet, einige mexikanische Kartelle wie Los Zetas in Jalisco, Nueva Generación und das in Sinaloa würden seit einiger Zeit Geld mit virtuellen Währungen waschen.

„Es gibt Hinweise auf die Verwendung von Kryptowährungen durch mexikanische transnationale kriminelle Organisationen als Mittel zur Übertragung ihres internationalen Reichtums“, heiße es in dem Dokument. Haben die beiden Jungunternehmer versucht, OneCoin-Geschäfte mit den Drogenbossen tzu machen?

In Mexiko besuchte Oscar die typischen Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, wie die Teotihuacán-Pyramiden und das  Viertel  Xochimilco mit seinen farbenfrohen Kanus am Fluss. Bilder veröffentlichte er in sozialen Netzwerken. Aber er versuchte auch Autohersteller davon zu überzeugen, mit OneCoin  und CLA zusammenzuarbeiten.

Oscar Ibarra beim Sightseeing in Mexiko.

Am 20. Juni reisen die beiden Ibarras schließlich nach Sinaloa, warum, ist nicht klar. Hatten sie Kontakt zu Guzmans Kartell? Haben sie versucht, im Geldwäschegeschäft mitzumischen – und den Drogenbossen ihre wertlosen OneCoins anzudrehen? Das wäre nicht sonderlich klug gewesen.

Die Familie von Oscar Ibarra in Chile versucht derzeit, seine Leiche trotz Corona-Beschränkungen aus Mexiko nach Chile zu überführen, um ihn zu Hause bestatten zu können.

Und was sagen die mexikanischen Behörden zu den Mordermittlungen? La Tercera zitiert Staatsanwalt Raziel García, der den Fall in Sinaloa untersucht: „Das einzige, was ich Ihnen gegenüber erwähnen kann, weil es sich um eine Mordermittlung handelt und es viel Geheimhaltung gibt, ist, dass sie weit fortgeschritten sind.“

Nachtrag: Wo ist Konsti Keks?

Wie die NRWZ im Frühjahr berichtete, war Ignatov nach offiziellen Dokumenten aus der Haft entlassen worden. Nach seinem Deal, Aussage gegen mildere Strafe und neue Identität, hätte seine Freilassung ins Bild gepasst. Doch schon damals hatten Kenner der US-Justiz Zweifel angemeldet. Wahrscheinlich befinde sich Ignatov weiterhin in Haft, nur in einer anderen, weniger strikten Abteilung eines Gefängnisses. Diese These scheint sich nun zu bestätigten. In einem Zivilverfahren klagen mehrere OneCoin-Geschädigte gegen das Unternehmen und auch gegen die Ignatovs.

Anwaltschreiben, veröffentlicht von Inner City Press.

Konstantins Verteidiger hat am 13. Juli an die Richterin Valerie Caproni geschrieben und um drei Wochen weitere Vorbereitungszeit gebeten. Begründung: Ignatov sei gegenwärtig inhaftiert („Mr. Ignatov is presently incarcerated“), das mache die Kommunikation mit ihm  schwierig.

Fazit: Konsti ist wohl weiter hinter Schloss und Riegel. Aber wo?

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.