Der erste Weltkrieg hat im vergangenen Jahr die historische Debatte bestimmt. 150 Bücher allein in Deutschland seien aus Anlass des Ausbruchs des Krieges 1914 erschienen, so Stadtarchivar Carsten Kohlmann in seiner Begrüßung, einer Begrüßung zu einem Vortrag von Ewald Graf über seinen Großvater Karl in der Mediathek Schramberg. Ein Foto dieses Karl Graf in grauer Felduniform habe Graf zu seinen Recherchen über seinen Großvater im 1. Weltkrieg angeregt.
SCHRAMBERG (him) – Der frühere Schwabo-Redakteur und heutige Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei der Stiftung St Franziskus in Heiligenbronn, Ewald Graf, hat mehrere Jahre in Archiven und persönlichen Unterlagen geforscht und „weniger bekannte Einzelheiten“ über das Kriegsgeschehen herausgefunden, wie Kohlmann fand. Seine Forschung sei „exemplarisch“ für andere, so Kohlmann.
Graf berichtete von der Kindheit seines Opas in Markdorf, von seinen Erlebnissen zwischen 1914 bis 1918 und den Jahren danach. Er habe 14 Jahre mit Opa Karl zusammengelebt, aber dieser habe wenig erzählt, „und wir fragten zu wenig.“
Karl war 1887 als Sohn eines Landwirts und dessen Frau auf einem Hof in Markdorf zur Welt gekommen und aufgewachsen. 1907 wurde er gemustert und als „Landsturmmann“ vom Wehrdienst zunächst freigestellt. Die Zeit um die Jahrhundertwende kennzeichnet Graf so: „Eisen und Stahl sind die Werkstoffe einer neuen Zeit,die bald hautnah zu spüren sein werden.“
Eine kriegerische Auseinandersetzung schien vielen unausweichlich. Die Stimmung vor 1914 war vom Militärischen durchtränkt. Der 1. Weltkrieg, sei „beileibe kein Verteidigungskrieg“ gewesen, wie schon bald die Kriegspropaganda verkündete.
Die Spurensuche nach Opa Grafs Militärzeit begann damit, dass Graf die militärische Einheit herausfand, der Karl Graf 1914 angehörte, danach wühlte er sich unter anderem durch Akten im Generallandesarchiv in Karlsruhe und fand dabei auch Unterlagen über Soldaten aus Schramberg und Tennenbronn, etwa den damaligen evangelischen Pfarrer von Tennenbronn, Richard Krastel, Johann Georg Fichter und Andreas Schiller, die in derselben Einheit wie Graf dienten..
In den Kriegstagebüchern haben die Offiziere festhalten lassen, was an der Front passierte. Da gab es auch kritische Töne mit Blick auf die Heeresführung. Unausgebildete Landsturmleute – und damit auch Karl Graf – wurden schon 1915 an die Front geschickt, weil die modernen Waffen wie Maschinengewehre und Granaten enorme Verluste brachten, die ersetzt werden mussten. Wegen der zu erwartenden Kritik sollten diese Einberufungen nicht veröffentlicht werden, hat Graf herausgefunden.
Ausführlich schilderte Ewald Graf die Ausbildung, den Einsatz und schließlich die Gefangennahme seines Großvaters, wie er sie aus den Akten rekonstruiert hat. Erst ging es an die Ostfront, wo ähnlich wie im Westen ein erbitterter Stellungskrieg mit hohen Verlusten und kaum Landgewinnen die Soldaten auf beiden Seiten zermürbte. Im Kampf um Stellungen am Narodki-See hatten die Soldaten mit Schnee, Kälte, überfluteten Gräben und mangelhafter Ernährung zu kämpfen, nicht nur mit den russischen Soldaten und den massiven Artillerieangriffen.
Im Brigadebericht des Regiments fand Graf geschildert, dass die Soldaten ihre verwundeten Kameraden nicht in die Schützengräben zurückziehen konnten, „weil sie da ertrunken wären.“
Schließlich geriet Karl Graf im März 1916 in russische Gefangenschaft und musste in der Landwirtschaft und später in einer Zuckerfabrik in der Ukraine schuften. Krankheiten wie Typhus, Malaria und Tuberkulose grassierten. Nur dank der „Liebesgaben“, die das Rote Kreuz vermittelte, konnten viele Kriegsgefangene überleben. Karl Graf sprach später von einer „schweren, entbehrungsreichen Zeit, geprägt vom Hunger.“
Am selben Tag in derselben Schlacht am Narotschsee geriet auch Pfarrer Krastel aus Tennenbronn in Gefangenschaft. Er kam allerdings in ein Offizierslager im fernen russischen Osten am Pazifik. Nach dem ersten Weltkrieg kehrte er nach Tennenbronn zurück. Bilder mit ihm und Konfirmanten aus dem Jahr 1920 finden sich im Heimathaus. Für den Tennenbronner Johann Georg Fichter dagegen gab es kein glückliches Ende, er fiel in der Schlacht am Narotschsee.
Als 1917 Russland nach der Oktober-Revolution mit den Mittelmächten Frieden schloss,wurde Graf von vorrückenden deutschen Truppen befreit und über Warschau zurückgeführt. Doch für Karl Graf war nach nur knapp zwei Monaten Urlaub noch einmal Kriegseinsatz angesagt. Diesmal an der Westfront in Belgien gegen die Engländer, bis endlich am 11. November 1918 der Krieg zu Ende war: „Tiefes Schweigen an der ganzen Front“ habe geherrscht, schreibt der Regimentspfarrer D.W. Ziegler in seinen Erinnerungen. Ein Schweigen, das bei vielen Kriegsteilnehmern ein Leben lang anhalten sollte.
Karl Graf marschierte mit den Resten seiner Einheit 400 Kilometer zurück in die alte Heimat. Für ihn endete der Krieg mit einem Parademarsch in Bad Homburg. Mit 50 Mark Entlassungsgeld und 15 Mark Fahrgeld dankte ihm das Vaterland.
Zurück in Markdorf konnte Graf Senior den elterlichen Hof nicht übernehmen, sondern verdingte sich als Hilfsarbeiter und fand nach dem zweiten Weltkrieg eine Anstellung auf dem Markdorfer Bauhof. Auch nach seinem 65. Geburtstag habe sein Opa weitergeschafft, denn er hatte nur eine kleine Rente: „Bis zum 85. Geburtstag war er als Straßenkehrer in Markdorf unterwegs.“ Kurz nach seinem 90. Geburtstag sei er gestorben.
Mit seinem Vortrag wolle er auch gegen „falsches Heldentum“ angehen, das – wie etwa jetzt im Konflikt in der Ukraine – propagiert werde, so Graf am Ende seines eindrucksvollen Vortrags.