Rottweil, 26. Oktober – Ums Geld mag man aktuell streiten, künstlerisch wird am Zimmertheater schon lange nicht mehr mit kleiner Münze hantiert. Eindrucksvoll zeigt das die neueste Produktion, Schillers „Kabale und Liebe“, die am Freitag Premiere hatte: Ein funkelnder, vibrierender, furioser Theaterabend.
Als was ist Schillers pathosgeladenes Jugendstück um den Adelsspross Ferdinand und die Musikus-Tochter Luise, deren zarte Verbindung perfide zerstört wird, nicht alles gedeutet worden: Als flammende Anklage gegen die Standesgesellschaft, als ätzend scharfe Religionskritik oder Parabel auf knebelnde Geschlechterrollen.
Eine marxistische Lesart erblickte den moralischen Bankrott einer Aristokratie, die „siebentausend Landeskinder“ sklavengleich als Kanonenfutter nach Amerika verhökert, im Neo-Biedermeier der jungen Bundesrepublik hingegen sah man in „Kabale und Liebe“ vor allem ein überzeitlich menschliches Drama.
Zimmertheater-Intendant Peter Staatsmann hisst nicht vorschnell eines dieser Deutungs-Fähnchen. Zwar hebt er den Fürsten-Frevel des Menschenhandels hervor – die Textsequenz wird litaneihaft wiederholt, durch chorisches Sprechen betont und mit herber Blutsymbolik den Despoten ein Kainsmal aufgebrannt. Aber auch andere Blickwinkel haben in dieser komplexen Inszenierung Gewicht: Das Korsett sozialer Rollen, zerstörerische Konstrukte von Männlichkeit, misslingende Kommunikation.
Vor allem führt Staatsmann vor Augen, dass äußerer Zwang allenfalls die Hälfte ist. Ohne die Fesseln innerer Unfreiheit, ohne zutiefst akzeptierte Normen und Muster, würde es nicht funktionieren – zumal nur die einen sich gebunden fühlen und andere mit Regeln nach Gusto beherrschen. Auf Samtpfoten kommt sie dann doch noch daher, die Ideologiekritik: Sind nicht auch heute Vorgaben als unausweichlich akzeptiert? Diktiert nicht heute längst eine Logik der Märkte brachiale Zwänge? Und was steuert die Anpassung – der externe Rahmen oder verinnerlichte Konformität?
Diese Fragen stehen evident im Raum, wenn das vierköpfige Ensemble die spätabsolutistische Konstellation vergegenwärtigt. Und das in einer von der Regie klug herbeigeführten Verdichtung: Jeder verkörpert zugleich seinen Gegenpart – und damit auch das gegensätzlich gezeichnete Verhaltensprinzip. Jede Figur wird damit zur Kippfigur, die Ambivalenzen und die Möglichkeit des Andersseins illustrieren.
Dank der Wandlungsfähigkeit des hochkarätigen Ensembles funktioniert das grandios. Martin Olbertz leuchtet die Charaktere des personifizierten Kleinbürgers Miller und des macht- und selbstgewissen Präsidenten von Walter in subtiler Bandbreite aus. Die Pole, die er mit Grandezza aufspannt, zeugen von enormer Erfahrung.
Andreas Ricci bringt mit virilem Elan einen vor Entschlusskraft und Leidenschaft berstenden Ferdinand auf die Bühne – und zugleich einen kühlen, kriecherisch-verschlagenen Wurm. Einen travestiegefärbten, verspielten Kontrapunkt hierzu setzt Peter Staatsmann mit Bagdasar Khachikyan. Er repräsentiert als Marschall von Kalb und Kammerdiener das servile Hofschranzentum auch mit Mitteln seines Erstberufs als Sänger. Gekonnt schwingt sich Khachikyan in Liebe und Leid thematisierenden Bizet- und Händel-Arien in Alt- und sogar Sopranlage empor.
Noch überstrahlt wird die Männerriege allerdings von Pia-Micaela Barucki. Mit konzentrierter, ganz aus der Textsubstanz gearbeiteter Charakterisierungskunst gelingt es ihr, als Luise und Lady Milford die die wohl stärksten konträren Kräfte dieses Trauerspiels zu vergegenwärtigen. Und obendrein seigt sie mit zarter Verletzlichkeit einen paradoxen Gleichklang der Frauengestalten auf.
Musste man eingangs befürchten, in der nur minimal gestrafften Fassung kämen vor allem textvernarrte Germanisten auf ihre Kosten, so wurde man rasant hineingenommen in eine mit enormer Dringlichkeit nahegebrachte Szenerie erdrückender, existenzieller Zwangslagen. Auf der Basis eines bündigen Regiekonzepts mit klug gesetzten Mitteln kann sich dabei eine furiose Schauspielerleistung entfalten.
Das soll nicht heißen, dass alles restlos überzeugte. So kann man in der zum Trichter verengten bürgerlichen Universalbühne zwar die klaustrophobische Enge ausgestanzter Denkwelten symbolisiert sehen und wird dennoch permanent mit Furnieroptik bedrängt. Auch franst gerade die finale Sterbeszene unentschlossen zwischen Realistik und postmoderner Brechung aus. Den Gesamteindruck trübt das letztlich nicht. Und wer sich Inszenierungen an wichtigen Häusern weit größerer Städte ansieht, kommt nicht umhin festzustellen, dass das Zimmertheater mit Produktionen wie dieser hinter dem dort gebotenen Niveau in vieler Hinsicht nicht zurücksteht. Man verlässt den Theatersaal berührt, erschüttert, erfrischt. Und tief beeindruckt.
Info: Weitere Vorstellungen am 31. Oktober, 1., 7., 8., 15., 21., 22. und 28. November sowie am 27. Dezember jeweils um 20 Uhr und am 31. Dezember um 20.30 Uhr. Karten gibt es bei Buchladen Kolb, Buchhandlung Klein und der Touristinformation Rottweil sowie unter 0741/8990 oder .