Samstag, 20. April 2024

Heckler und Koch: „Unsere Waffen nur in die richtigen Hände“

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Nach mehreren Stationen als Journalist, Reporter und Chefredakteur ist Marco Seliger seit Beginn dieses Jahres als Kommunikationschef beim Oberndorfer Waffenhersteller Heckler & Koch angestellt. Die NRWZ hat den heute 47-Jährigen zu den Problemen des Unternehmens, Fehlern in der Vergangenheit, neuen Strategien, seiner Zukunft und zu den Eigentümern befragt. Zunächst wollten wir wissen, was ihn bewegt hat, bei einem „Paria“ der deutschen Industrie anzuheuern:

NRWZ: Herr Seliger, nach Jahrzehnten als kritischer Journalist wechselten Sie auf den Posten eines Firmensprechers. Warum?

Marco Seliger: Journalismus ist meine Berufung gewesen. Doch die wirtschaftliche Situation in der Medienbranche ist alles andere als rosig. Ich hätte als Chefredakteur von „loyal“ (der Zeitschrift des Reservistenverbands der Bundeswehr, die Red.) vermutlich noch 25 Jahre weiterarbeiten können. Aber das war nicht mein berufliches Ziel.

Lust auf etwas Neues also?

Ich habe immer wieder nach Herausforderungen gesucht. Unter anderem bin ich in Kriegsgebiete gefahren, um zu sehen, wie Menschen dort leben und was der Krieg mit ihnen macht.

Und weshalb haben Sie das aufgegeben?

Man bewegt nichts, wenn man sich nicht bewegt. Nach 17 Jahren als Chefredakteur „loyal“ und mehr als 50 Reisen in Krisen- und Kriegsgebiete sollte etwas anderes kommen. Journalismus konnte es aber nicht mehr sein, weil es kaum noch Medien in Deutschland gibt, die bereit oder wirtschaftlich in der Lage sind, die Kosten für verteidigungspolitische Fachberichterstattung zu tragen.

Und da gehen Sie ausgerechnet zum Schmuddelkind der deutschen Industrie, Heckler & Koch in Oberndorf?

Ich kannte das Unternehmen schon lange und habe mich immer gefragt, warum die Kommunikation so miserabel ist. Heckler & Koch hat weltweit anerkannte Spitzenprodukte und einen starken Namen, wie ich auf meinen vielen Reisen in die Einsatzgebiete der Bundeswehr und auch als Reserve-Offizier in meinen Auslandseinsätzen erlebt habe. Als mein Wechsel zu HK dann bekannt wurde, hat jemand geschrieben, das sei ein „Höllenjob“. Zugegeben, es ist in Anbetracht der Versäumnisse der Vergangenheit eine große Herausforderung. Aber HK hat sich vorgenommen, Transparenz zu zeigen und eine offene, dialogorientierte Kommunikation zu führen. Dafür bin ich angetreten.

Neue Dienstadresse: Heckler und Koch-Straße in Oberndorf. Foto: him

Heckler & Koch hat nicht nur ein Imageproblem, sondern auch wirtschaftliche Probleme. Sie haben zwar kürzlich stolz verkündet, dass HK nach mehreren Jahren wieder einen Gewinn erwirtschaftet hat. Gleichzeitig drückt HK eine Schuldenlast von 236 Millionen Euro. Wie wollen Sie das bezahlen?

Die Schulden und Zinsen resultieren aus der Vergangenheit und zwar nicht aus dem originären operativen Geschäft. Hätten wir sie nicht, wäre dieses Unternehmen weitaus gesünder und wir würden über einen deutlich höheren Gewinn als 1,5 Millionen Euro reden.

Trotzdem: Umsatz und Schuldenhöhe fast gleich hoch – das ist doch erdrückend und nicht zu bewältigen?

Wir haben vor kurzem von unserer Wirtschaftsprüfungskanzlei Deloitte ein uneingeschränktes Testat für die Heckler & Koch GmbH und die HK AG bekommen. Das heißt: Wirtschaftlich sind wir im grünen Bereich. Unser operatives Geschäft hat sich so gut entwickelt, dass wir neben den laufenden Zinsen auch Investitionen in unsere Produktionsanlagen in Höhe von 25 Millionen Euro in diesem und im nächsten Jahr stemmen können. Damit setzen wir ein Zeichen für die Region, sichern Arbeitsplätze und machen deutlich, dass wir uns als Unternehmen langfristig in Deutschland am Standort Oberndorf sehen.

Die Schulden- und Zinslast ist erheblich. Wie wollen Sie da wieder rauskommen?

Das geht nur in kleinen Schritten, Schritt für Schritt. Mehr können wir nicht machen, es sei denn, es gibt eine Entschuldung. Und die kann nur über die Aktionäre kommen.

Vor einiger Zeit hat Ihr Unternehmen sich von den Ratingagenturen wie Moody’s verabschiedet. Es gab grottenschlechte Bewertungen. Wollen Sie sich wieder raten lassen?

Dafür gibt es keinen Anlass. Unsere Finanzierungsvereinbarungen machen ein Rating nicht nötig.

Wie sehen eigentlich die Prüfer das?

Wie gesagt, Deloitte hat uns in diesem Jahr ein uneingeschränktes Testat gegeben. Das ist wichtig für den hoffentlich noch in diesem Jahr entschiedenen Bundeswehrauftrag.

Sie sprechen vom Nachfolgegewehr für das G36.

Genau. Der öffentliche Auftraggeber will Sicherheiten, dass ein Unternehmen das auch wirtschaftlich stemmen kann. Das Testat zeigt, dass wir den Bundeswehr-Auftrag nicht nur mit Blick auf unsere Produktionskapazitäten, sondern auch finanziell stemmen können.

Die „Bild-Zeitung“ hat berichtet, das Vergabeverfahren verzögere sich, weil ein Wettbewerber gegen die Vergaberichtlinien geklagt habe. Ist das SigSauer wegen der US-Klausel?

Dazu kann ich nur sagen, dass wir es jedenfalls nicht sind, die geklagt haben. Unsere Soldaten sollen das beste Sturmgewehr auf dem Markt bekommen. Darum geht es uns.

Weiter berichtet „Bild“, dass der Bundestag erst im Oktober über die G36-Nachfolge entscheiden würde. Ist da etwas dran?

Auch dazu können wir als Unternehmen nichts sagen. Wir sind zwar mit zwei Waffen an dem Ausschreibungsverfahren beteiligt und rechnen uns gute Chancen aus. Doch in den politischen Entscheidungsprozess sind wir nicht eingebunden.

Dabei könnte Ihnen nun das Konjunkturpaket der Bundesregierung zu Hilfe kommen.

Das Paket sieht unter anderem vor, dass Investitionen bei Sicherheits- und Rüstungsprojekten mit hohem deutschem Wertschöpfungsanteil vorgezogen werden sollen. Wir sehen aber nicht, dass sich dadurch eine neue Lage in Bezug auf die Ausschreibung ergeben hätte. Das Bieterverfahren läuft schon, und wir reden über ein Auftragsvolumen von etwa 250 Millionen Euro. Im Vergleich zu den zahlreichen milliardenschweren Beschaffungsprojekten der Bundeswehr ist das ein eher kleiner Auftrag.

Zum neuen Sturmgewehr für die Bundeswehr kommen wir noch. Bleiben wir bei den Finanzen und Eigentumsverhältnissen. Die beiden Hauptaktionäre heißen Andreas Heeschen und Nicolas Walewski. Die beiden sind sich inzwischen spinnefeind, und es ist nicht klar, wem gehört eigentlich was?

Für Hecker & Koch ist es wichtig, dass in der Eigentümerfrage Klarheit herrscht. Der Antrag von Herrn Heeschen auf Übernahme eines Großteils seiner Anteile durch Herrn Walewski liegt schon mehr als 20 Monate beim Bundeswirtschaftsministerium zur Genehmigung. Zugleich zeigt aber unser aktuelles operatives Ergebnis, dass die Gesellschaft von der schwelenden Eigentümerfrage wirtschaftlich nicht beeinträchtigt wird.

Wem gehört der Betrieb?

Wie es heißt, forscht der Bundesnachrichtendienst nach Walewskis Verbindungen in die Karibik?

Sie müssten sich hierzu an den BND wenden.

Ein enger Vertrauter Walewskis, ein Anwalt auf den Bermudas, soll in den Panama-Papers im Zusammenhang mit Steuerhinterziehung aufgetaucht sein.

Wenn das Wirtschaftsministerium der Ansicht ist, die Vermögens- und Finanzverhältnisse eines möglichen künftigen Eigentümers ausgiebig überprüfen zu müssen, dann ist das im Interesse aller. Denn Heckler & Koch ist nicht irgendein Unternehmen, sondern ein sicherheitsrelevantes Unternehmen für Deutschland. Unser Credo lautet, dass unsere Waffen nur in den richtigen Händen, also in denen von Soldaten und Polizisten, zur Sicherheit der Bevölkerung demokratischer Staaten beitragen. Und ebenso wichtig ist, dass auch unser Unternehmen in den richtigen Händen ist.

Steckt da vielleicht auch eine Verzögerungstaktik dahinter?

Wie gesagt, wir finden es richtig und plausibel, dass die Bundesregierung die Übernahme ausgiebig prüft.

Ein paar wenige Aktien haben sich die sogenannten kritischen Aktionäre gekauft, und die mischen nun bei Ihren Aktionärsversammlungen mit. Stört Sie das?

Im Gegenteil. Der Vorstand sieht sich in wichtigen Punkten durchaus auf einer Linie mit den kritischen Aktionären. Beide Seiten wollen in sicheren Verhältnissen leben. Deshalb liefern wir unsere Waffen überwiegend nur noch in EU- und Nato-Staaten oder in andere demokratisch verfasste Länder. Wir wollen unbedingt vermeiden, dass unsere Soldaten irgendwann einem Gegner gegenüberstehen, der ebenfalls mit unseren Waffen kämpft. Für diese Selbstbeschränkung werden wir in der deutschen Verteidigungspolitik gelobt. Und in der Rüstungsindustrie sind wir damit ein Vorreiter, der zeigt, dass Waffengeschäfte ethisch und profitabel zugleich sein können.

Bei Heckler & Koch gab es in den letzten Jahren innerhalb der Belegschaft sowie zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung immer wieder Auseinandersetzungen. Das Sparpaket haben die IG-Metaller mit gerade einer Stimme Mehrheit beschlossen, habe ich gehört. Was tut die Firmenspitze für eine gedeihlichere Zusammenarbeit?

Es hat in den vergangenen Jahren einige Dissonanzen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat gegeben, die in den Medien besprochen wurden. Seit gut einem halben Jahr kann man feststellen, dass die Zusammenarbeit sehr konstruktiv und noch kooperativer geworden ist. Alle Seiten haben verstanden, dass eine permanente, zum Teil öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung dem gesamten Unternehmen schadet. Das hat nicht zuletzt mit den handelnden Personen zu tun.

Traditionell gibt es eine enge Verbundenheit zwischen Belegschaft und Unternehmen. Gürtelschnalle eines HK-Mitarbeiters bei einem IG-Metall-Warnstreik im Sommer 2013. Archiv-Foto: him

Mit Bodo Koch und Björn Krönert gibt es zwei neue Chefs…

Die beiden Vorstände sind seit zwei Jahren im Unternehmen und seitdem hat sich vieles zum positiven geändert. Das sieht man schon an den Zahlen. Richtig ist aber auch, dass es insbesondere das Verdienst der Belegschaft ist, dass sich HK auf dem Weg der Konsolidierung befindet. Nicht nur, weil unsere Mitarbeiter gute Arbeit machen, sondern auch, weil sie 2018 dem Abkommen von IG Metall und Südwestmetall zugestimmt haben und bis Frühjahr 2021 unter anderem zwei Stunden unbezahlte Mehrarbeit leisten. Sie beteiligen sich also aktiv an der Sanierung ihres Unternehmens.

Die Auftragslage bei HK ist sehr gut. Aber wie schon gesagt, ist immer noch nicht entschieden, ob HK das Nachfolgemodell für das G36-Sturmgewehr der Bundeswehr baut.

HK ist nach wie vor mit zwei Waffen in der Ausschreibung. Es gibt einen weiteren Wettbewerber, aber formal wissen wir nicht, wer das ist. Über den Stand des Verfahrens kann ich nichts sagen, weil es noch läuft.

Ist es normal, dass es so lange dauert?

Man muss wissen, dass die Bundeswehr ihren Beschaffungsprozess überarbeitet hat. Er ist sehr viel komplizierter und langwieriger geworden. Die Verträge sind stärker von juristischen Aspekten geprägt. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit, als sich Beschaffungsprojekte teils massiv verzögert haben und finanziell aus dem Ruder gelaufen sind, will der Bund nun im Vorfeld mögliche Risiken ausschließen. Das ist verständlich, aber für die Unternehmen heißt das, dass sie ihrerseits wieder Zeit brauchen, um diese Vertragsvorgaben zu prüfen. Dieses umfangreiche Prozedere trägt sicherlich mit dazu bei, dass noch keine Entscheidung über die G36-Nachfolge getroffen wurde.

Demonstranten vor der Urteilsverkündung im Mexikoprozess im Januar 2019 in Stuttgart. Archivfoto: him

Gibt es bei HK Überlegungen, auf andere Produkte statt Waffen zu setzen? Die Technologien, die HK beherrscht, könnte man ja auch für andere Produkte einsetzen?

Im vorigen Jahr haben wir unsere Waffen zu 97 Prozent in „grüne“ Länder geliefert, also EU- und Nato-Staaten und diesen vergleichbaren Staaten wie Australien. Die Nachfrage nach Waffen von HK in diesen Ländern ist nach wie vor groß, sodass wir derzeit keine Notwendigkeit sehen, über Konversion nachzudenken.

Die drei anderen Prozent – wohin gingen die?

Ich möchte da in erster Linie Indien nennen. Das indische Innenministerium kooperiert seit vielen Jahren mit den deutschen Sicherheitsbehörden. In diesem Zusammenhang hat das indische Innenministerium unter anderem Maschinenpistolen MP5 bei HK bestellt und bekommen. Da geht es unter anderem um die Polizei, die Staatsgäste beschützt. Als die Bundeskanzlerin in Indien war, ist sie genau von diesen Polizisten beschützt worden.

Gibt es noch alte Verträge mit nicht-grünen Ländern oder ist das alles abgewickelt?

Wir reden hier überwiegend von Ersatzteilen oder anderen Produkten, zum Beispiel Schmiermittel, aber nicht über größere Aufträge. Das ginge auch nicht, weil wir an der Auslastungsgrenze arbeiten.

In der Vergangenheit gab es Lizenzvergaben für das G3-Gewehr an die Türkei, Saudi-Arabien, den Iran mit verheerenden Folgen…

Die G3-Lizenzen an die genannten Länder hat die Bundesregierung in der Zeit des Kalten Kriegs vergeben. Sie war und ist Besitzer der G3-Lizenz, nicht Heckler & Koch. Bei der Einschätzung dieser Lizenz-Vergaben sollte man allerdings die sicherheitspolitischen Verhältnisse berücksichtigen, in denen die Entscheidungen damals getroffen wurden.

Der Schah im Iran war ein guter Freund des Westens…

Das liegt inzwischen mehr als 40 Jahre zurück. Und auch damals schon musste jede Ausfuhr unserer Waffen von der Bundesregierung genehmigt werden. Was mir bei der Debatte über Waffenexporte häufig zu kurz kommt, das ist der Umstand, dass es sich dabei nicht nur um Wirtschaftspolitik, sondern auch um Außen- und Sicherheitspolitik handelt. Die Bundesregierung verfolgt mit der Genehmigung von Waffenexporten deutsche Interessen. Wir wünschten uns, dass sie das gelegentlich deutlicher herausstreichen würde. Damit würde sich dann vielleicht auch die Klage etwas relativieren, dass HK-Waffen heute in Ländern sind, in denen sie möglicherweise besser nicht wären. In den 1960er Jahren galten Iran und Saudi-Arabien für die damalige Bundesregierung als „Bollwerk gegen den Kommunismus“, die entsprechend unterstützt werden sollten.

Das ist wohl danebengegangen.

Ich tue mich schwer damit, heute über damalige Politik zu urteilen. Wichtig ist, dass Heckler & Koch mit der Vergabe von Lizenzen für den Bau von Handfeuerwaffen sehr verantwortungsvoll umgeht.

Ist das eine Lehre, die Ihr Unternehmen aus der Vergangenheit gezogen hat?

Wenn man nicht aus der Vergangenheit lernen würde, dann hätte man keine Zukunft.

Die Fragen stellte Martin Himmelheber

 

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.