Donnerstag, 28. März 2024

Caritas: Wohnraumnot bekämpfen

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.
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Die Mietpreise steigen in den Städten, es fehlen günstige Wohnungen. Besonders betroffen sind Menschen mit niedrigem Einkommen.  2019 fehlten laut Caritas in Baden-Württemberg  etwa elf Wohnungen je 1000 Einwohner, also landesweit etwa 125.000 Wohnungen. Besonders betroffen vom Wohnungsmangel sind Menschen mit Behinderung. Ihnen falle es immer schwerer, eine geeignete Wohnung zu finden.

„Auch im ländlich geprägten Raum ist barrierefreier Wohnraum knapp, wenn er zugleich bezahlbar sein soll“, so die Caritas. Es fehle an barrierefreien Sozialwohnungen. Im Auftrag der Caritas Baden-Württemberg hat das Eduard Pestel Institut für Systemforschung in einer Studie untersucht, wie sich die Suche nach einer Wohnung für Menschen mit Behinderung gestaltet. Außerdem haben die Forscher nach Wegen gesucht, wie die Politik barrierefreien Wohnraum fördern könnte.

125.000 Wohnungen fehlen

Bei einem digitalen Pressegespräch, an dem auch Dr. Thorsten Hinz, Vorstand der Stiftung St Franziskus in Heiligenbronn, teilnahm, erläuterte Moderatorin Eva-Maria Bolay, zuständig für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit beim Caritasverband, ihre Organisation wolle ein Bewusstsein für das Problem Wohnungsmangel schaffen.

Die Studie hat Matthias Günther vom Eduard Pestel Institut in Hannover vorgestellt. Demnach hat sich der Wohnungsmarkt im Land in den letzten zehn Jahren stark gewandelt:   „Das Wohnungsdefizit ist von 1500 Wohnungen im Jahr 2011 auf gut 125.000 Wohnungen im Jahr 2019 gestiegen.“ Gerade die günstigen Wohnungen fehlten.

Zugleich sind die Nettokaltmieten seit 2015 um 33 Prozent gestiegen. Groteskerweise  erweist sich der Staat wegen „Hartz 4“ dabei als Mietentreiber, so Günther. Für knapp 2,5 Millionen Mieterhaushalte standen 2019 nur noch 55.300 Sozialwohnungen zur Verfügung. Gleichzeitig steige die Zahl armutsgefährdeter Haushalte auf den „Rekordwert“ von mehr als 800.000 im Jahr 2019.

Günther forderte deshalb, der soziale Wohnungsbau müsse angekurbelt werden. Dabei sollten die Kommunen einen Teil für Menschen mit Behinderungen reservieren. Immerhin etwa eine Million Menschen seien im Land schwerbehindert.

Menschen mit Behinderungen besonders betroffen

Dr. Thorsten Hinz, Vorstand der Stiftung St. Franziskus, Heiligenbronn erinnerte an die UN-Behindertenkonvention, wonach Menschen mit Behinderung selbst entscheiden können sollen, “wie, wo und mit wem sie wohnen möchten“. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sei seit 2016 in Kraft und habe “hohe Erwartungen ausgelöst“.

Doch bei der Umsetzung scheitere es oft an ausreichend barrierefreien Wohnungen, ambulanten Wohn-Angeboten und finanzieller Unterstützung. Eigentlich sollten die bisherigen stationären Wohnangebote abgebaut werden.“Wie soll das gehen, wenn es zu wenige Wohnungen gibt“, fragte Hinz.

Er forderte, dass bis 2025 im Land 5000 Wohnungen gebaut werden, um Menschen mit Behinderungen ein Angebot machen zu können. Das sei eine „ambitionierte Zahl“. Er forderte, dass die Bauherren auf Barrierefreiheit und die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung achteten. Besonders bei Jüngeren beobachte er den Wunsch nach eigenständigem Wohnen. „Das verlangt viel ab, besonders auch von den Betroffenen“, so Hinz.

Günstiger Wohnraum knapp: Der Staat muss ran

Für Heiner Heizmann, Leiter des Kompetenzzentrum Sozialpolitik beim Diözesan-Caritasverband Rottenburg-Stuttgart, steht fest: „Je knapper Wohnungen werden, umso stärker ist die Ausgrenzung von Menschen, die es schon immer am Wohnungsmarkt schwer hatten.“ Um die wenigen bezahlbaren Wohnungen konkurrierten „Menschen mit zu kleinen Renten, Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Menschen in Arbeitslosigkeit, mit Flucht- oder Migrationshintergrund und eben auch Menschen mit Behinderung“. Seit Fazit: „Der Markt hat versagt.“

Deshalb müsse „die öffentliche Hand“ auf dem Wohnungsmarkt wieder aktiv werden, forderte Heizmann. „Nur so lässt sich der schwierige Markt wieder entspannen.“ Wohnen sei Teil der Daseinsvorsorge und damit auch eine staatliche Aufgabe. Da der soziale Wohnungsbau wirtschaftlich nicht attraktiv sei, müsse der Staat gezielt fördern und beispielsweise Grundstücksfonds ausweiten. Die Kommunen, besonders im ländlichen Raum, müssten „wieder in die Lage versetzt werden, ihrer Verantwortung für den kommunalen Wohnungsmarkt nachzukommen“, so Heizmann.

Lange Wohnungssuche

Wie schwierig es für Betroffene ist, eine Wohnung zu finden, schilderte Markus Scheibner aus Villingen-Schwenningen. Zusammen mit seinem Bruder hatte er ein Jahr lang vergeblich eine neue Wohnung gesucht. Die beiden hatten zuvor zwölf Jahre in Donaueschingen gelebt. Ihr Vermieter hatte wegen Eigenbedarf gekündigt.

Nur dank guter Beziehungen seines gesetzlichen Betreuers Georg Röhrle hatten die beiden Brüder eine neue Wohnung gefunden. Röhrle berichtete von Vorurteilen bei Vermietern. Diese hätten Sorge, die Menschen mit Behinderung schafften es nicht, die Wohnung in Ordnung zu halten. Deshalb komme es darauf an, entsprechende Unterstützungsleistungen anzubieten.

Bundesteilhabegesetz ist „Bürokratiemonster“

Auf Nachfrage der NRWZ bestätigte Stiftungsvorstand Hinz, dass das Bundesteilhabegesetz als „Bürokratiemonster“ begonnen habe. Das Gesetz habe ein Leistungspaket der Einrichtungen aufgeteilt in die Grundsicherung und die Teilhabe.

Die Grundsicherung umfasst die Miete, die Mahlzeiten beispielsweise, die Teilhabe die Arbeit in der Werkstatt, die Freizeitgestaltung. „Viele ehrenamtliche Betreuer haben die Betreuung aufgegeben“, berichtete Hinz. Die Bürokratie sei ihnen einfach zu viel geworden.

Teurer Neubau hilft nicht weiter

Nicht gelten lassen will Günther das Argument von Bauherren, durch den Bau von teureren Wohnungen würden günstigere Wohnungen frei. Der viel zitierte „Trickle-Down-Effekt“ existiere so nicht. Wenn günstige Wohnungen frei würden, dann könnten die Vermieter die Mieten anheben. „Und zwar bis zu zehn Prozent über die ortsübliche Vergleichsmiete.“ Caritas-Fachmann Heizmann ergänzt, solche Wohnungen seien für die ärmeren nicht  zu bekommen, sie gingen meistbietend weg.

Brücken zwischen Mieter und Vermieter bauen

Gefragt, ob es nicht gerade in kleineren Städten wie Schramberg auch zahlreiche leer stehende Wohnungen gebe, erwiderte Pestel-Institut-Leiter Günther, viele Hausbesitzer müssten nicht vermieten, seien finanziell abgesichert. Er fordert daher eine Reform der Grundsteuer. „Es muss weh tun, wenn ich Wohnraum nicht nutze.“

Heizmann berichtete von einer kirchlichen Wohnraumoffensive, mit der  man diesem Problem beikommen wolle. Viele Vermieter wollten nicht mehr vermieten: „Wir holen uns nur Probleme ins Haus.“  Da wolle die Caritas Brücken bauen. So leiste die Caritas beispielsweise eine Mietgarantie von einem halben oder ganzen Jahr. „Wir haben festgestellt, dass dann oft die ersten Sorgen ausgeräumt sind und Vermieter und Mieter gut miteinander auskommen.“

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