Die Parteien nominieren in diesen Tagen ihre Gemeinderats-Kandidaten. In Schramberg wie in Wellendingen, in Zimmern wie in Rottweil. Dort, in der Stadt am Neckar, tut sich bemerkenswertes: Dort will der eine Grüne aussteigen – und das nach nur einer Amtszeit. Er hat seine Gründe. Und der andere Grüne möchte wieder einsteigen. Nach sehr langer Zeit. Auch aus Gründen. Die NRWZ hat beide interviewt.
Der eine Grüne, das ist Jochen Baumann. Ihn hat der Protest gegen das bei Zepfenhan – seinem Heimatort – geplante Landesgefängnis in den Rat gebracht. Als ein Sprachrohr der Protestbewegung, als Hoffnungsträger seiner Zepfenhaner Mitbürger. Baumann zeigte sich dann in den vergangenen fünf Jahren als unaufgeregter, konzentrierter Zuhörer, Fragensteller und Stellung beziehender Stadtrat an der Seite von Ingeborg Gekle-Maier und Hubert Nowack. Nun zieht er sich aus dem Gemeinderat zurück – und erzählt der NRWZ, warum.
Der andere Grüne, das ist Frank Sucker. Er war für die Grünen im Gemeinderat, da waren die Erstwähler 2019 noch Sternenstaub. Und diejenigen, die nun zum zweiten, dritten und vierten Mal wählen dürfen, auch. In den 1980-ern war Sucker schon einmal Stadtrat. Jetzt will er es wieder wissen. Auch er erzählt der NRWZ, warum.

Jochen Baumann: „Irgendwann muss man anfangen aufzuhören“
NRWZ: Sie waren jetzt eine Legislaturperiode lang Stadtrat. Warum ziehen Sie sich aus dem Gemeinderat zurück?
Jochen Baumann: Neben Beruf und Familie bin ich aktuell in folgenden Funktionen parallel ehrenamtlich tätig: Fußball-Jugendtrainer beim FSV Zepfenhan (im 14. Jahr – derzeit A-Junioren), 1. Vorsitzender NAKU e.V. (im 9. Jahr), 1. Vorsitzender Bürgerverein Zukunft Zepfenhan e.V. (im 3. Jahr – davon 2 Jahre 2. Vorsitzender), Gemeinderat Stadt Rottweil (im 5. Jahr), Ortschaftsrat in Zepfenhan (im 5. Jahr).
Die parallelen Funktionen kosten sehr viel Zeit und Energie. Es bleiben wenig Freiräume für die Familie und einen selbst. Der Antritt für den Gemeinderat und eine erneute Wahl hätten mich für weitere fünf Jahre gebunden. Das Gemeinderatsamt beschränkt sich nicht nur auf die Sitzungen im Ratssaal sondern zieht weitere Termine nach sich – Ausschüsse und Kommissionen, Fraktionssitzungen, Ortsverband-Sitzungen, Bürgerversamlungen und so weiter.
In den vergangenen Jahren habe ich mich sehr stark für die Ortschaften und ihre Vereine engagiert – weit über das übliche Maß hinaus. Irgendwann muss man „anfangen“ aufzuhören, bevor es zu viel wird. Für den Ortschaftsrat werde ich erneut antreten und auch die anderen Funktionen werde ich vorerst behalten.
Wie sieht es mit Ihrem kommunalpolitischen Engagement bei den Grünen außerhalb des Gemeinderats aus?
Von Anfang an ist man mir auf allen Grünen-Ebenen freundlich und auf Augenhöhe begegnet. Hier habe ich auch meine politische Heimat gefunden, weil das Gesamtpaket stimmt. Ich fühle mich nicht als Parteisoldat und muss nicht mit allem einig sein, was auf Landes- und Bundesebene passiert. Nie gab es einen Fraktionszwang. Andere Meinungen wurden stets akzeptiert. Wir waren immer frei in unseren Entscheidungen – dennoch ergab es sich meistens, dass wir in die gleiche Richtung dachten.
Für die Gemeinderats-Wahlen 2014 kam für mich nur die Grüne Liste als aus meiner Sicht „unverbrauchte“ Liste in Frage. Motivation war für mich, zumindest einen Draht in den Gemeinderat zu haben, der in der Vergangenheit nicht vorhanden war. Dass ich letztendlich in den Gemeinderat einziehen würde, hatte ich damals nicht erwartet.
Der Ortsverband Grüne ist eine wichtige Stütze für die Fraktion. Gerne möchte ich mich auch weiterhin hier einbringen.
Was ist Ihr Fazit nach einer Periode Stadtratsarbeit?
Der Schritt über die Bürgerinitiative in den Gemeinderat war nicht einfach. Die Anfangszeit war aufgrund der Historie schwer. Mit dem Gremium und dem Ratssaal verband ich keine angenehmen Erlebnisse. Sicher war das auch umgekehrt der Fall. Die Freude über „unsere“ Wahl war sicher sehr überschaubar.
Über die Monate und Jahre haben wir durch solide kommunalpolitische Arbeit bewiesen, dass man mit uns arbeiten kann. Die neue Grüne Fraktion hat sich in den letzen Jahren etabliert.
Die Tätigkeit im Gemeinderat eröffnet Möglichkeiten, sich direkt einzubringen, Dinge zu erreichen und mit zu entscheiden. Es gab in den letzten Jahren mehrere große Entscheidungen wie Turm, JVA, Hängebrücke oder auch zur Gartenschau.
Der städtische Haushalt sieht momentan gut aus – mit Blick auf die Anhebung der Hebesätze konnte auch ich meinen Beitrag dazu leisten.
Wählerstimmen erhielt ich vorwiegend von Neukirch und Zepfenhan. Eine Vertretung dieser Ortschaften war für mich die Basismotivation. Stets war ich wachsam und hatte ein offenes Ohr für die Ortschaft und die Vereine. Wir haben Dinge erreicht, die ohne Sitz im Gemeinderat nicht möglich gewesen wären – unter anderem die Wiedereröffnung des Kindergartens in Zepfenhan. Das Verhältnis Stadt / Gemeinderat / Neukirch / Zepfenhan ist ein anderes als vor fünf Jahren. Auch dazu habe ich gerne beigetragen.
Es war eine gut investierte und lehrreiche Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich möchte nicht ausschließen, dass ich irgendwann wieder antrete.

Frank Sucker: „Für eine Wahl wäre ich dankbar“
NRWZ: In den 1980-ern waren Sie bereits für die Grünen im Rottweiler Gemeinderat. Ist ein Rückzug also wirklich niemals endgültig und für immer?
Frank Sucker: Eine Rückkehr war nie vom Tisch. Menschen, die die Welt ein wenig verändern wollen, vergessen im Eifer gerne, sich selbst zu verändern. Ich wollte Neues probieren. War seit damals aber stets kommunalpolitisch aktiv: schreibend, in der Lokalen Agenda, bei Grüns, beim Entwerfen von Projekten. Halt mehr „Backstage“. Auch schön.
Was bewegt Sie aktuell zu dem Schritt, kommunalpolitisch wieder aktiv zu werden – und welche Chancen rechnen Sie sich aus?
Es sind diese beklemmenden Zeiten. Ich hatte nie geglaubt, dass die Gespenster der Vergangenheit wieder auferstehen: völkisches Denken, Nationalismus, autoritäre Politik. Mein Großvater mütterlicherseits wurde durch die Nazis von Stuttgart nach Rottweil strafversetzt, dann ins Exil getrieben. Die Nazibarbarei war in meiner Kindheit noch nah. All das prägte und ich schwor schon als Jugendlicher, meinen bescheidenen Teil beizutragen, dass das nie wiederkehrt.
Meine Chancen kann ich schwer einschätzen. Natürlich kennen jüngere Leute mich nicht. Ich bin auch kein Netzwerker. Bin freundlich, mache aber bei niemandem lieb Kind. Vielleicht hat sich aber das, was ich eher im Verborgenen gemacht habe, doch irgendwie herum gesprochen und findet Achtung. Womöglich sogar bei Leuten jenseits des grünen Milieus. Für eine Wahl wäre ich dankbar. Brauche sie aber nicht für mein Ego. Man kann auch außerhalb des Gemeinderats gestalten. Bin da ganz cool.
Welche neuen Themen wollen Sie explizit in Rottweil angehen?
Vier Beispiele: Ich habe das Projekt einer „E-Bike-Modellstadt“ Rottweil im Kopf. Passt ideal zur Topographie, Altersstruktur und Größe unserer Stadt. Wäre ein innovatives Alleinstellungsmerkmal und ein Segen für unsere belastete Innenstadt. Googeln Sie mal diesen Begriff. Im Rahmen des Großprojekts Landesgartenschau würde ich darauf drängen, dass dieses positive ökologische Fußabdrücke setzt in Biodiversität, Mobilität, Klimaschutz.
Was das „Museum“ angeht, frage ich mich, ob dieser Begriff nicht selbst museal ist. Ist es nicht produktiver, über eine echte Begegnungsstätte nachzudenken, in der die Bürgerschaft – angeregt durch wechselnde, spannende Ausstellungsobjekte – über unterschiedliche Rottweiler Vergangenheiten und mögliche Zukünfte nachdenkt? Das auf der Höhe des digitalen Zeitalters?
Und dann hätte ich gerne von Experten untersucht, ob eine Seilbahn als öffentliches Verkehrsmittel zwischen Bahnhof und Innenstadt nicht attraktiver ist als ein neuer Ringzughalt mit verzwickten Umsteigebeziehungen.
Und welche alten aus den 1980-ern sind aus Ihrer Sicht immer noch aktuell und ungelöst?
Damals hatten wir begonnen, die Obere Hauptstraße zu beruhigen. War das noch ein Aufreger! Jetzt geht’s um die historische Innenstadt. Dieser fossile Autoverkehr beleidigt deren Pracht und Schönheit. Tag für Tag. Und verlärmt sie noch in später Nacht. Damals hatte ich einen guten Draht zu Siegfried Rettich, dem damaligen Leiter der Stadtwerke. Der führte unter Zutun anderer zur Auszeichnung „Freie Energiestadt Rottweil“. Diese lässt sich heute mit altem Reichsstadt-Stolz neu deuten: dezentrale Energieversorgung mit solaren Energien. Schauen Sie mal auf Rottweils Dächer und Parkflächen: Was da noch brach liegt!
Sehen Sie die Grünen allgemein im Aufwind, auch etwa in Rottweil und rechnen Sie daher mit mehr Sitzen für Ihre Partei in den kommenden fünf Jahren?
Umfragen sind wechselhaft wie’s Aprilwetter. Aber: Wir haben unter anderem mit Baerbock, Habek oder Kretschmann zugkräftige Menschen vorne. Nachdenkliche, selbstkritische Geister, die für Inhalte brennen. Ohne aalglatte Politikersprache. Die mit neuen Worten neue Realitäten beschreiben können. Wäre schön, wenn dieser Schwung auch uns Rottweiler Grünen zugute kommt. Überhaupt wünsche ich mir angesichts der Gefahren für unser Europa und des autoritären Drucks auf unserer Demokratie eine „politischere“ Gemeinderatswahl als früher. Da sind Parteien einfach aussagestärker. Bieten mehr Orientierung als diffuse Wählervereinigungen.
Werden Sie zugunsten der Gemeinderatssitzungen und der Parteiarbeit auf Italienreisen verzichten?
In der Tat: Selten bin ich dem Glück so nah wie beim Wandern auf ligurischen Höhen überm Meer. Das gebe ich nicht auf. Parteiarbeit vernachlässige ich selbst dort nicht dank Internet. Außerdem handelt es sich um Kurztrips. Klappen sogar zwischen Sitzungen. Der Weg ist kürzer als nach Hannover.