Dieser Tage hielt der Theologieprofessor Werner Thiede in Schiltach einen Vortrag in der Friedrich-Grohe- Halle. Diakon Reiner Lehmann hat uns dazu den folgenden Gastbeitrag geschrieben:
Ein spannender, hochinformativer Vortrag fand in Schiltach statt zum Thema „5G und die digitale Fortschrittsfalle. Drohen der Gigabit-Gesellschaft freiheitliche und gesundheitliche Rückschritte?“. Schon zu Beginn des gut besuchten Abends wurde deutlich, dass Theologieprofessor Werner Thiede mit großer Kenntnis und Sachverstand Wissenschaftler, Philosophen und Experten in punkto Digitalisierung zitieren konnte. Gerade in der Zeit der Corona-Pandemie werde die Digitalisierung von vielen Politikerinnen und Politiker quasi als „Allheilmittel“ gesehen. Dabei wird laut Thiede zu wenig untersucht, welche Auswirkungen sie zunehmend auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des einzelnen Menschen habe. Er zitierte in diesem Zusammenhang Angela Merkel, die bereits mehrfach betonte, die Chancen und Risiken der Digitalisierung lägen nahe beieinander. Umso weniger verständlich sei die Warnung der Kanzlerin vor „digitaler Ängstlichkeit“.
Politisch steht Digitalisierung ganz zentral auf der Agenda – in Zeiten von Corona mehr denn je. Thiede erklärte als evangelischer, ethisch engagierter Theologe: Man tut allenthalben so, als handele man beim technologischen Ausbau gemäß einem Naturgesetz – und frönt damit doch nur einem naiven Fortschrittsglauben, ja dem lobbyistisch vermittelten Diktat von Wirtschaft und Industrie. Die begründete Sorge gehe indessen um, dass die milliardenschweren Digitalisierungsprogramme unserem Land, unserer Gesellschaft und unserem Planeten auf die Dauer keineswegs gut tun.

Das gelte nicht zuletzt für die neue Mobilfunk-Generation 5G, die der „Gigabit-Gesellschaft“ unverzichtbar erscheint und gleichwohl international schwerwiegende Bedenken gesundheitlicher Art weckt. Rund die Hälfte der Bevölkerung sehe den bereits begonnenen 5G-Ausbau mit Besorgnis. Deshalb fragte Thiede: Wo bleibt die in den EU-Verträgen verankerte Vorsorge? Baut sich nicht eine gigantische „Fortschrittsfalle“ auf, wie auch der Titel einer von ihm verfassten Broschüre besagt? Und gehört es mit zu dieser Falle, dass das Wahr- und Ernstnehmen der drohenden Gefahren dank digitaler Verführungskünste, aber auch dank „digitaler Demenz“ bereits weitgehend unter den Tisch fällt?
Der Pfarrer und Publizist warnt in Büchern und Vorträgen vor einem wenig aufgeklärten Fortschrittsdenken, das wohl notgedrungen in eine Katastrophe lenken könnte. Christen dürfe es nicht einfach gleichgültig sein, was sich derzeit im Dienst an der forcierten Digitalisierung auf dem Mobilfunksektor tue. Es gehe da um die bald flächendeckende Bestrahlung der Bevölkerung mit einer stärker gepulsten und zum Teil höherfrequenten Strahlung von viel mehr Sendestationen aus. Von kirchlicher Seite höre man leider keinerlei Protest gegen den umstrittenen 5G-Ausbau. Dabei wisse der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedfort Strohm genau: „Fortschrittseuphorie nennt in aller Regel nicht den Preis, den andere zu zahlen haben, und sie spricht auch nicht davon, wie klein die Zahl derjenigen ist, die davon profitieren.“ Die Kirche sollte nicht mit künstlicher Intelligenz, sondern mit geistlicher zu Wege sein, wenn sie ihrem Auftrag nachkommen wolle, Zeuge Jesu Christi zu sein, so der Referent.
In zehn Thesen machte Thiede deutlich, dass es bisher zu wenig Studienmaterial gebe, die die Gefahrlosigkeit des 5G-Netzausbaus belegten. Bisherige Studien wiesen eher darauf hin, dass die erhöhte Strahlenbelastung durch den Netzausbau der Gesundheit abträglich sei. Aus theologisch-ethischer Sicht stehe unsere Gesellschaft in der Gefahr dem „Fortschrittswahn“ zu erliegen, gemäß dem Motto: „Immer schneller, immer mehr, immer egozentrischer“. Biblisch gesprochen erinnert es Thiede an den Turmbau zu Babel, wo der Mensch vergeblich und mit katastrophalem Resultat versucht hatte, Gott „ähnlich“ oder „gleich“ zu sein. In diesem Zusammenhang tritt immer wieder die Kernfrage zutage: Ist es ethisch vertretbar, diesen Weg der ungebremsten Digitalisierung einfach immer weiter zu gehen? Wäre es nicht sinnvoller, die unverletzbare Würde des Menschen wieder konsequent in den Mittelpunkt von Politik und Wirtschaft zu stellen?
Konkret bedeutet dies für den Referenten, sich politisch und gesellschaftlich einzumischen, Leserbriefe zu schreiben, bei Umweltverbänden Mitglied zu werden, Aktionen durchzuführen, ja eventuell auch juristisch Widerstand zu leisten. Statt ungebremsten Wachstums ist für Thiede vermehrt Verzicht angesagt. Er beendete seinen 70-minütigen, foliengestützten Vortrag mit einem Zitat des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz, der in einem Brief an Theresa von Avila geschrieben hatte: „Ich will die Welt verändern und habe beschlossen, bei mir zu beginnen. Schließt du dich mir an dann sind wir schon zwei.“ Lang anhaltender Beifall bewies, dass Werner Thiede die Hörerschaft überzeugen konnte.