Region Rottweil – „Es sind herausfordernde Zeiten, umso wichtiger ist es zusammenzukommen“, sagte Vorsitzender Tobias Schlier zu Beginn der evangelischen Bezirkssynode des Kirchenbezirks Tuttlingen, die sich am vergangenen Freitag in Rottweil traf. Wenn Schlier von herausfordernden Zeiten sprach, dachte er dabei auch an die hohe Zahl der Kirchenaustritte, mit denen sich die Bezirkssynodalen eingängig befassten. Denn zu diesem Thema war Dr. Fabian Peters aus Karlsruhe angereist.
Fabian Peters, geboren 1987, ist Leiter des Haushaltsreferats und des Kompetenzzentrums Statistik und Datenanalyse der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Dem dreifachen Familienvater und Ehemann einer Pfarrerin spürte man ab, dass es ihm um mehr als theoretische Zahlen geht, ihm ging es auch um die Zukunft der evangelischen Kirche. So verstand er es, die nüchternen Zahlen spannend zu deuten und trotz großer Mitgliederverluste auf die vorhandenen Handlungsspielräume hinzuweisen.
Dabei erstaunte Peters teils mit verblüffenden Statistiken und Umfrageergebnissen: „Zwei Drittel der Ausgetretenen sagen wenige Wochen nach ihrem Kirchenaustritt, dass sie es wichtig finden, dass es die evangelische Kirche gibt.“ Denn anders als früher, spiele der Solidargedanke für viele nur noch eine geringe Rolle. Das ließe sich am besten mit einer Mitgliedschaft im Fitnessstudio erklären. „Für mich ist es mit der Kirche wie mit einem Fitnessstudio, für das ich einen Beitrag zahle, aber nie hingehe“, würden vier von fünf Ausgetretenen sagen. Dass die Kirche ihre Angebote in Folge der Austritte drastisch zurückfahren müsse, hätten die meisten dabei nicht im Blick. Peters regte darum an, stärker über die Verwendung von Kirchensteuern und ihre Wirksamkeit zu sprechen. Eine Möglichkeit, so Peters, sei der Hinweis auf die Kampagne „Kirchensteuer wirkt“, die transparent aufschlüsselt, wofür die Kirchensteuern verwendet werden.
Eine weitere überraschende Erkenntnis aus den Statistiken und Umfragen der letzten Jahre: In fast allen Fällen seien die Kirchenaustritte nicht auf das Handeln der Gemeinden vor Ort zurückzuführen. So gut wie immer hätten die Austritte andere Gründe. Statistisch lässt sich nachweisen, dass die bundesweite mediale Berichterstattung über Missbrauch in der katholischen Kirche zu großen Mitgliederverlusten auch in der evangelischen Kirche geführt hat. Aber auch die höhere Inflation hätte in den letzten Monaten zu mehr Austritten geführt. Sicher spiele auch die innere Distanz zum christlichen Glauben eine Rolle.
Ob es denn nicht dort, wo eine Gemeinde besonders aktiv sei, etwa in der Jugendarbeit oder der Hochschulseelsorge, weniger Austritte gäbe, hakte Pfarrer Andreas Wiedemann aus Deißlingen nach. Dies lasse sich anhand der Statistiken nicht feststellen, so Peters, und fügt mit einem Anflug von Humor hinzu: „Sie können in ihrer Gemeinde machen was Sie wollen, Kirchenaustritte lassen sich statistisch signifikant nicht mit der Arbeit in der Kerngemeinde erklären.“
Auch wenn in einer Projektion mit einer Halbierung der Mitgliedszahlen bis 2060 gerechnet wird, dürfe man nicht vergessen, dass fast 1,8 Millionen Mitglieder gerne Mitglied der Evangelischen Kirche in Württemberg seien, etwa die Hälfte davon zahle Kirchensteuern und unterstütze damit direkt die Angebote der Landeskirche. Sehr viele Angebote werden nicht nur von ihren Kirchenmitgliedern gerne angenommen. Dabei hob Peters die Bedeutung der Konfirmation hervor. Die meisten erlebten die Konfirmandenzeit als wertvolle Erfahrung. Für ihn als Statistiker sei die Konfirmation die wohl bedeutendste Gelegenheit zum Kircheneintritt, die es in der evangelischen Kirche gibt. Gleichzeitig gelte es zu überlegen, welche neuen Kontaktpunkte mit Kirche gerade für jüngere Kirchenmitglieder geschaffen werden können. Dabei schlug Peters vor über neue Kasualien nachzudenken wie einem Gottesdienst zum Abitur oder einem zehnjährigen Konfirmationsjubiläum. Ferner schlug Peters vor, Eltern intensiver zur Taufe ihrer Kinder einzuladen.
Der Aldinger Pfarrer Ulrich Dewitz, der interimsmäßig die Dekansaufgaben im Kirchenbezirk übernommen hat, ermutigte offen für Veränderungen zu sein und zitierte dabei Gustav Heinemann: „Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“ Vorwärts gehen und etwas machen, auch wenn wir Fehler machen, das sei die Devise. Dabei ermutigte er, in allen Veränderungsprozessen Gott zu vertrauen und sprach vom Hoffnungspropheten Jesaja, der selbst in der Wüste Neues wachsen sah.
Info: Der Evangelische Kirchenbezirk Tuttlingen umfasst 17 Kirchengemeinden mit 50.000 Gemeindegliedern in den Landkreisen Schwarzwald-Baar, Rottweil und Tuttlingen. Zu den Aufgaben der Bezirkssynode gehört die Beratung grundsätzlicher Fragen des kirchlichen Lebens, insbesondere im Kirchenbezirk. Ihre gewählten Mitglieder werden aus den jeweiligen Kirchengemeinderatsgremien entsandt.