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„„Man wünscht den Ukrainern auch ein Wunder““, Veröffentlicht: Sonntag, 13. März 2022, 8.22 Uhr

„Man wünscht den Ukrainern auch ein Wunder“

Gefühlt ist es eine Ewigkeit her, seit 2017 die Entscheidung fiel, für die Predigerkirche eine – leicht abgewandelte – Kopie der „Madonna von der Augenwende“ zu erstellen. Nach langem Hin und Her ist es nun soweit: Die Bildhauerin Andrea Wörner hat mit den Schnitzarbeiten begonnen. Und denkt dabei viel an die Menschen in der Ukraine.

Wenn sie das Deckengemälde in der Predigerkirche betrachte, das zeigt, wie Rottweil 1643 unter dem Schutz der Madonna gerettet wurde, dann rückten für sie das 17. und das 21. Jahrhundert ganz nah zusammen, sagte Wörner im Gespräch mit der NRWZ: „Dann wünscht man sich so eine wunderbare Rettung auch für die Menschen heute in der Ukraine!“

So hat Joseph Wannenmacher (1722-1780) im einem monumentalen Deckenfresko in der Predigerkirche den rettenden Einfluss der „madonna von der Augenwende“ auf die Geschicke Rottweils 1643 großformatig gerühmt. Archiv-Foto: al

Trotz allem Mitfühlen: Bei der Arbeit an einem anderthalb Meter hohen Lindenholzblock, die vor einigen Tagen begonnen hat, darf sich Wörner nicht ablenken lassen. In ihrer Werkstatt im Schramberger Junghans Gewerbepark nimmt die ausgewiesene und gefragte Expertin für derart heikle Aufgaben mit dem Punktiergerät Maße an einer Kunststoff-Kopie der „Madonna von der Augenwende“ ab – und überträgt sie Schritt für Schritt auf das Holz.

Die Replik, die als Vorlage dient, wurde anhand von Daten gedruckt. Diese wiederum entstanden bei einem Scan der Originalen Madonna im Rottweiler Münster im vergangenen Juli. Ursprünglich war sogar geplant, dass Andrea Wörner die neue Madonna in einem Arbeitsraum direkt anhand des Originals im Münster erstellt.

Für einige Monate befand sich die „Madonna von der Augenwende“ wieder an ihrem ursprünglichen Heimatort in der Predigerkirche. Archiv-Foto: al

Der Kunststoff-Druck ist passabler Behelf. An das Original komme er aber nur teils heran, sagt Wörner. Klar, die äußeren Abmessungen stimmen millimetergenau. Aber es fehlt alles, was darüber hinausgeht. Wörner vergleicht es mit einem Schoko-Nikolaus: „Ohne farbige Hülle ist der höchstens die Hälfte“.

Bei der Madonna gelte das noch viel mehr: „Es fehlt die Tiefe, die Körperlichkeit“. Zum Beispiel bei den virtuosen Röhren-Faltenwürfen des Gewandes. Oder bei der Haut. Da sei es besonders augenfällig: „Ohne das Inkarnat der Haut, die ganzen Nuancen der Farben, ist da keine Lebendigkeit“. betont die Künstlerin. „So steht eben eine kalte Kopie der Madonna vor mir, wie aus weißer Schokolade gegossen“.

Das Vorankommen bremst diese Einschränkung freilich nicht mehr. „Endlich kann ich an der Madonna arbeiten“, sagt Wörner – und wirkt erleichtert, fast schon befreit. Ebenso wie Dr. Albrecht Foth, der zweite Vorsitzende des evangelischen Kirchengemeinderates. „Ich bin sehr erleichtert, dass die Arbeiten nun begonnen haben“, erklärte Foth, der sich in dieser Sache sehr engagiert hat, auf Anfrage der NRWZ.

Über Jahre hatten sich die Vorbereitungen hingezogen, mehrfach ausgebremst von widersprüchlichen Vorgaben der Denkmalbehörden. Fast hätte das Gezerre überdeckt, warum die Idee von einer Replik überhaupt entstanden war: Als 2016 im Zuge der Innensanierung des Münsters die Madonna, der seit der Rettung Rottweils vor französischen Truppen 1643 Wunderkräfte zugeschrieben werden, in die Predigerkirche zurückkehrte, staunten viele. Denn es wurde deutlich, wie stark der 1743 ganz auf die Madonna hin barockisierte Raum und die um 1520 geschaffenen spätgotische Skulptur aufeinander bezogen sind. Beseelt von diesem stark von ökumenischer Verbundenheit getragenen Eindruck votierten die Gremien, für eine – komplett durch Spenden finanzierte – Replik.

Die Zwillings-Madonna soll dem Original weitgehend gleichen, sich in kleinen Punkten aber dennoch unterscheiden – um keine stupide „Kopie“ darzustellen, aber auch aus theologischen Gründen. Die Abwandlungen setzen an Stellen an, die teils im 19. Jahrhundert umgestaltet wurden und die Madonna stark dem katholischen Symbolkosmos zuordnen.

Gefragte Expertin: Andrea Wörner hat im süddeutschen Raum bereits etliche diffizile Restaurations- und Schnitzarbeiten ausgeführt. Archiv-Foto: al

So soll das Königsszepter durch ein Lilienszepter ersetzt werden. Letzteres weist in alter Tradition auf die Jungfräulichkeit hin, während die Königs-Ikonografie von den konfessionellen Frontstellungen des 19. Jahrhunderts zeugt. Zudem soll das Christuskind in der Hand einen Apfel halten. Dies verweist auf die Aufhebung des Südenfalls und die Deutung Christi als Weltenherrscher – womit sich das symbolische Gewicht etwas von der Marienfigur auf das Jesuskind verschiebt.

Und schließlich soll bei der Zwillings-Madonna die Mondsichel entfallen, auf der die Madonna im Münster derzeit – entsprechend katholischer Marien-Mystik – steht. Damit wird das neue Figurenpaar in der Symbolsprache gleichsam etwas evangelischer als das Original.

Diese Ideen kann Andrea Wörner nun endlich Gestalt werden lassen. Wie lange es bis zur Fertigstellung dauern könnte? Da möchte sich die Künstlerin allerdings nicht festlegen: „Es gab bei dieser Madonna schon so viele Zeitpläne, die dann hinfällig waren – da bin ich vorsichtig geworden“, sagte der Bildhauerin der NRWZ. Eines immerhin ist nun klar: Es geht endlich voran.

Wo geschnitzt wird…: Blick auf den Boden der Werkstatt Andrea Wörners in Schramberg. Foto: privat

 

 

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