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„„Aggressiv, nicht stoppbar“ – Urteile gesprochen“, Veröffentlicht: Mittwoch, 15. Dezember 2021, 15.32 Uhr

„Aggressiv, nicht stoppbar“ – Urteile gesprochen

Aufwändiger Prozess vor dem Amtsgericht Rottweil: drei mutmaßliche Schläger, junge Männer aus dem Nahen Osten, werden teils mehrerer brutaler Angriffe beschuldigt. Einer, der Hauptangeklagte, sitzt in Haft, wird bewacht, gilt als psychisch krank, der Gutachter sieht eine Psychose. Ein Typ, der im Konfliktfall gleich massiv zuschlägt, kaum zu bändigen. Der junge Mann lacht über die Vorwürfe. Ganz anders eines seiner mutmaßlichen Opfer. Der heute 64-Jährige bricht während der Vernehmung in Tränen aus, sagt, er habe um sein Leben kämpfen müssen. Zwei weitere Opfer, junge Leute, leiden bis heute unter der Tat, die ihnen widerfuhr, sind in Abwesenheit der Angeklagten vernommen worden. Für den Prozess waren zwei Verhandlungstage angesetzt. Am zweiten fielen die Urteile: Unterbringung und Haft für den ältesten und gefährlichsten, und fast eine Haftstrafe für die anderen beiden.

Hinweis: Dies ist ein Update eines bereits 14 Tage zuvor erschienenen Beitrags. Unter „Der Fall, die Täter, die Opfer – unser Beitrag über den ersten Prozesstag“ beginnt die Vorgeschichte.

Letzte Worte der Angeklagten vor dem Urteil

„Ich entschuldige mich für die Fehler.“ So das letzte Wort von Al S.

„Ich habe jetzt Frau und Kind, ich war mit falschen Leuten zusammen.“ Das sagte S.D.

„Ich war in der Vergangenheit ein Katastrophenkind. Aber ob Sie mir glauben oder nicht, ich habe mich geändert. Ich habe meine Arbeit und meine Wohnung. Es tut mir leid für die Vergangenheit, da war ich echt dumm. Ich hatte falsche Freunde und war blind.“ So das letzte Wort von A.J.

Zusammenfassung

Zur Erinnerung: Al S. ist 2002 in Damaskus geboren. Er wird im Prozess als „der Älteste, der Aggressivste“ beschrieben. Er sitzt in Haft, wird während der Verhandlung durchgehend von drei Sicherheitskräften bewacht.

S.D. ist 2003 in Aleppo geboren. Er hat heute Frau (nach islamischem Recht) und Kind. Jobbt als Leiharbeiter, hat also bereits ein kleines Einkommen.

A.J. ist 2003 in Mazedonien geboren. Trug während der Verhandlung sein Paketdienst-Outfit, einmal auch zwei Jacken übereinander, mit Stolz, wie es schien.

Alle drei, davon war die Kammer überzeugt, hätten einen älteren Herrn in der Schützenstraße, nahe einem Discounter in Rottweil, vor seinem eigenen Haus geschlagen, getreten, auch, als er schon am Boden lag. Das hätten die Zeugenaussagen ergeben. Der eine, der Hauptangeklagte, habe mehr zugeschlagen, der andere, der jüngste, weniger. „Es war eine gemeinschaftliche Tatausführung“, so die Vorsitzende Richterin. Eine spontane Tat, geprägt von hoher Aggressivität.

In Fall zwei, einem Angriff auf zwei junge Männer bei der Römerschule in der Altstadt, habe es sich um geplante Tätlichkeiten gehandelt. „Und wenn Kollege Al S. dabei ist, muss klar gewesen sein, wohin das führt“, so die Richterin. Dem Opfer dann noch mehrfach ins Gesicht zu treten, wie Al S. Es getan hat, sei „eine ganz miese Art der Körperverletzung“, sagte sie. „Es war eine rabiate Gewaltentfaltung gegen Schwächere“.

Beide Fälle hätten weit schlimmer ausgehen können. Für alle Opfer hätten sich zudem schwere psychische Folgen ergeben.

Ohnehin stand für die Kammer fest: Ein Angriff auf einen Taxifahrer in Dietingen und die Bedrohung der zufällig vorbeikommenden Menschen bis hin zu vier kleinen Mädchen hätten so stattgefunden, wie in der Anklageschrift vorgetragen (siehe unten).

Die Strafen

B. Al S. bleibt in der Psychiatrie. Zwangsweise, er bleibt gerichtlich untergebracht. „Auf der Reichenau“ ist er schon seit jenem Angriff auf den Taxifahrer. Ja, Al S. habe es in seinem Leben nicht leicht gehabt, so die Richterin, und ja, es sei noch Jugendstrafrecht anzuwenden. Dennoch habe eine Unterbringung angeordnet werden müssen, „es ging in diesem Fall nicht anders“, sagte die Richterin. Eine bei ihm vom psychiatrischen Sachverständigen diagnostizierte Schizophrenie würde ihn stark einschränken – er sei allerdings schuldfähig. „Diese Erkrankung hat maßgeblich zu den Taten beigetragen“, sagte die Richterin, weitere Taten gleicher Art seien laut dem psychiatrischen Gutachter zu erwarten. Al S. stehe immer in Begriff, weitere Straftaten zu begehen, ist „im Moment schlicht sehr gefährlich“. Der junge Mann bleibt also im psychiatrischen Landeskrankenhaus Reichenau. „Die Unterbringung wird vollstreckt“, so die Richterin. Zudem erhielt er eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren. Diese gewährleiste, dass er die Unterbringung ernsthaft angehe, erzeuge den notwendigen erzieherischen Druck. Allerdings könne sie nach erfolgreicher Behandlung während der Unterbringung schließlich zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von drei Jahren und vier Monaten wegen Körperverletzung, Beleidigung und schwerer räuberischer Erpressung gefordert.

Al S. Anwalt wollte wenigstens die Jugendstrafe verhindern. „Er ist krank“, sagte sein Pflichtverteidiger. Man müsse auch berücksichtigen, dass seine beiden Kumpels ihn verantwortlich machten, sich auf seine Kosten freizuhalten versuchten. Aus seiner Sicht würde eine Unterbringung, die ja zeitlich unbefristet ist, vom Krankheitsverlauf abhänge und mehrere Jahre dauern könne, ausreichen. Eine zusätzliche Jugendstrafe könne er nicht nachvollziehen.

Al S. war der Polizei bereits vor dem Angriff auf den älteren Herrn „als Intensivtäter und Unruhestifter“ bekannt, wie eine ermittelnde Beamtin sagte. Der junge Mann wohnte damals in einer Flüchtlingsunterkunft in der Unteren Lehrstraße in Rottweil.

S.D., der erstmals wegen einer Gewalttat vor Gericht gestanden hatte, erhielt eine Haftstrafe von elf Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er muss mindestens einen Termin pro Monat mit seinem Bewährungshelfer machen. Außerdem muss er 150 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. Und: Er soll an einem Anti-Aggressionstraining teilnehme und sich schriftlich bei seinen Opfern entschuldigen, sein Verhalten reflektieren. Das Gericht will den Brief vorab sehen.

„Ganz gravierende schädliche Neigungen und charakterliche Defizite“ sah die Kammer bei S.D. Was er getan habe, habe er nicht ausreichend aufgearbeitet. „Hier ist wirklich viel passiert, ist es zweimal richtig aggressiv zur Sache gegangen“, so die Richterin. Immerhin seien jetzt positive Ansätze da – die Tätigkeit als Leiharbeiter, seine feste Beziehung, ein gemeinsames Kind. Auch sei es seine erste Jugendstrafe. Sie hoffe nun, dass er deutlich verstanden habe, dass er nun eine Chance bekommen habe. Sonst gehe es für ihn „relativ flott in den Knast.“ Er könne jetzt beweisen, dass er etwas kapiert hat. Und brauche einen sozialen Trainingskurs, „damit so etwas, was hier passiert ist, nicht noch einmal passiert.“

Das sah sein Pflichtverteidiger anders. Die Beweislage sei diffus. Er frage sich, warum der ältere Mann, der dann zusammengeschlagen worden sei, nicht eine andere Treppe genommen habe, wenn die eine schon von den jungen Herren besetzt gewesen sei (der Ablauf der Tat: siehe unten). Zudem sei der Hauseigentümer aggressiv aufgetreten. Somit habe er mit diesen „kleinen Dingen“ das spätere Geschehen ausgelöst. Der Verprügelte sei daneben ein emotionaler Mensch, dessen Aussage in Teilen in Zweifel zu ziehen sei. So habe er einerseits erklärt, in Embryonalhaltung auf dem Boden gelegen zu haben, andererseits aber gesehen haben wollen, wer wie auf ihn eingeschlagen habe. Habe S.D. aber nicht vielmehr schlichtend eingegriffen, habe versucht, den bereits prügelnden Al S. von seinem Tun abzubringen? Das könne für Zeugen dann auch wie eine Tatbeteiligung aussehen. Die Tatzeugen könnten schließlich allesamt nichts vom Beginn der Auseinandersetzung berichten. Fazit: Freispruch für die Prügelei beim Discounter.

Ähnlich beim Angriff bei der Römerschule (siehe unten). Er wolle die Verletzungen nicht kleinreden, so der Anwalt, aber es dürfe nicht vergessen werden, dass hier die damalige Freundin seines Mandanten „den Stein ins Rollen“ gebracht habe., indem sie dem als eifersüchtig bekannten Freund erzählt habe, dass die beiden Jungs, die späteren Opfer, schlecht über sie geredet hätten. Allerdings seien seinem Mandanten die erheblichen Verletzungen eines der beiden Opfer zuzurechnen. Vor allem auch die psychischen Verletzungen. Dennoch sei S.D. hier nur wegen einer einfachen Körperverletzung zu verurteilen. Nach dem, was „nötig, angemessen und erforderlich“ sei. Die Forderung der Staatsanwaltschaft jedenfalls – eine Jugendstrafe von zwei Jahren (ohne Bewährung!) – sei „völlig überzogen“, vielmehr brauche es eine Bewährungsstrafe, ein Anti-Agressionstraining außerdem.

A.J. erhielt eine Vorbewährung, bleibt also ebenfalls auf freiem Fuß. Das ist juristisch erst seit Oktober 2021 möglich, und nur im Jugendstrafrecht. Hier wird die Entscheidung über die Bewährung nicht im Urteil ausgesprochen, sondern im Urteil vorbehalten. Sie soll im Falle A.J.s in einem halben Jahr durch Beschluss ergehen. A.J. „bringt ein Jahr Bewährungsstrafe mit“, so die Vorsitzende Richterin, die abzuurteilende Tat hatte in der Bewährungszeit gelegen. Für ihn stand es Spitz auf Knopf, er „hätte sich nichts mehr zuschulden kommen lassen dürfen, hat aber dennoch Mist gebaut.“ Angesichts dessen, dass er nur bei einer Tat dabei gewesen und nicht der Führende gewesen sei, habe es bei einem Strafmaß von einem Jahr und acht Monaten bleiben können. Auch habe er sich eine Lebenssituation geschaffen, die für ihn gut sei. Nun die Vorbewährung. Darum gehe es beim Jugendschöffengericht, um Erziehung und Besserung.

Zunächst: „Bemerkenswert und ungeheuerlich“ – so bezeichnete der Pflichtverteidiger A.J.s das, was dem älteren Herrn vor seinem eigenen Haus passiert sei (siehe unten). Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Opfer damals jeden, den er in seinem Umfeld wahrgenommen, auch als Angreifer gesehen habe. Und eine der Zeugenaussagen vor Gericht sei in Details inzwischen von dem abweichend gewesen, was nach der Tat in Vernehmungen durch die Polizei protokolliert worden sei. Andererseits habe eine andere Zeugin erklärt, dass A.J. nicht handgreiflich geworden sei, nur verbal provoziert habe. Also: Freispruch.

Dem folgte die Kammer nicht. Der junge Mann muss sich nun ebenfalls bei seinem Opfer entschuldigen und muss sich zudem einmal pro Monat bei seinem Bewährungshelfer melden. Außerdem soll der Rottweiler Bewährungshilfeverein 1000 Euro in Raten von wenigstens 200 Euro erhalten. Und: Er darf an seiner Arbeitsstelle ab sofort sechs Monate lang nicht unentschuldigt fehlen. Er muss alles tun, damit er seinen Job behält. Andernfalls fährt er ein. Dann heiße es „Ab nach Adelsheim“, in den Jugendknast, so die Richterin.

Schadensersatz gefordert

Die Kammer hatte noch über einen sogenannten Adhäsionsantrag entscheiden. Damit können zivilrechtliche Ansprüche, die aus einer Straftat erwachsen, statt in einem eigenen zivilgerichtlichen Verfahren unmittelbar im Strafprozess geltend gemacht werden. Konkret ging es um Schmerzensgeld, das eines der jugendlichen Opfer nach der Prügelei bei der Römerschule (siehe unten) vom Haupttäter Al S. will. Die Amtsrichterin zeigte sich darüber genervt: Der Antrag sei „nicht im Sinne des Geschädigten, aber das ist manchmal auch etwas schwer einzusehen“, sagte sie. „Dieser Antrag kann den ganzen Prozess zum Platzen bringen“, so die Richterin. „Wenn man meint, dass man einen Gegner hat, bei dem man auch finanziell was holen kann“, können man das machen. Und so gab die Kammer dem Adhäsionsantrag statt. Doch den Weg der Zivilklage nach ihrem Grundsatzurteil über die Schadensersatzpflicht von Al S. sieht die Richterin nicht als Erfolg versprechend an.

Der Fall, die Täter, die Opfer – unser Beitrag über den ersten Prozesstag

Drei Jungs drehen mutmaßlich durch – und die Justiz fährt auf: drei Verteidiger, eine Staatsanwältin, einen Nebenklagevertreter, einen psychiatrischen Sachverständigen, eine Dolmetscherin für Arabisch, vier Vertreterinnen und Vertreter der Jugendgerichtshilfe – eine beobachtet das Geschehen aus dem Zuschauersaal – und natürlich die Kammer, das Jugendschöffengericht, bestehend aus einer Berufsrichterin und zwei Schöffen, zudem einer Justizsekretärin. Weitere Beteiligte: drei Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsunternehmens. Die bulligen Typen bewachen einen der drei Angeklagten etwa in der Zelle und beim Hofgang, er darf noch eine rauchen, bevor es losgeht. Der junge Mann ist an Händen und Füßen gefesselt, zwei der Security-Männer sitzen ständig unmittelbar neben ihm, der dritte sichert die Tür. Der Angeklagte grinst, wenn einer seiner Kollegen hereinkommt. Beide ignorieren ihn nach Kräften. Sie sind nicht in Haft. Außerdem für den Prozess geladen: 19 Zeugen.

Der Beginn der Verhandlung verschiebt sich. Ein Schöffe ist krank, ein Ersatz wird engagiert, das dauert ein wenig. Es wird coronakonform gelüftet. Im Saal ist es zugig und kalt, aber niemand wird gegen die Anordnung der Amtsrichterin opponieren.

Persönliches

Der Inhaftierte, der Gefesselte, B. Al S.: 2002 in Damaskus geboren, er bezeichnet sich als Syrer. Wobei die Richterin ihm sofort vorhält, er sei Palästinenser, habe eine entsprechende Geburtsurkunde, die ihr die Polizei jüngst vorgelegt habe, die von seinem beschlagnahmten Handy stamme. Ihm steht, so scheint’s, eine Untersuchung wegen Urkundenfälschung ins Haus. Ergebnis der ersten fünf Minuten der Verhandlung. Die Richterin spricht inzwischen Deutsch mit ihm, das kann er ausreichend gut. Zuletzt wohnte er in Dietingen. Im Juni 2020 ist er festgenommen worden, kam in U-Haft. Dort soll er zwischenzeitlich durch aggressives Verhalten aufgefallen sein. Der psychiatrische Sachverständige regte eine sofortige Unterbringung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau an. Seit gut drei Wochen ist er dort.

B. Al S. wird später als „der Älteste, der Aggressivste“ beschrieben.

Das stützt die Aussage eines Sozialarbeiters des Landratsamts. Diesen soll er bei einem Hafttermin einmal wild beschimpft haben, soll ihm gedroht haben, ihm den Kopf abzuschneiden, ihn zu töten. Das nur, weil der Mann in Vertretung des bisherigen Landratsamtsmitarbeiters an dem Hafttermin teilgenommen hat. Er ist früherer Jugendhelfer des Mannes. Kennt ihn seit 2017. Es kam schon einmal in einer Wohngruppe zu einem Streit zwischen den beiden. Zu einer ersten Rempelei.

A.J., 2003 in Mazedonien geboren. Wohnt jetzt in Rottweil, ist offenbar Paketfahrer, trägt eine entsprechende Jacke. „Ich arbeite“ – „Das ist ja mal eine nette Nachricht von Ihnen“, so die Richterin.

Er gilt in dem Prozess als der Jüngste. Ihm kommt das Gericht entgegen, terminiert den weiteren Prozessverlauf so, dass er fast noch rechtzeitig an seinen Arbeitsplatz gelangen kann.

S.D., 2003 in Aleppo geboren. „Bei mir stimmen die Daten.“ Er wohnt in einem Rottweiler Ortsteil. Sein Name stehe auf dem Briefkasten, alles okay. Die Richterin nimmt ihn ein wenig in die Zange, er hält Stand.

Aus der Anklageschrift

Die Vorwürfe: Im Mai 2020 saßen sie alle drei laut Anklage vor einem Gebäude in der Schützenstraße in Rottweil. Dessen Eigentümer habe gebeten, ihm Platz zu machen. Die drei reagierten aggressiv, schlugen ihn, droschen weiter auf ihn ein, als er schon am Boden lag. Flüchteten erst, als Zeugen eingreifen wollten. Der Geschädigte wurde schwer verletzt.

Zwei von ihnen sollen im Juni 2020, am Pfingstmontag, nahe einer Schule in der Römerstraße in der Altstadt aufgetaucht sein. Suchten dort zwei Jüngere auf, weil die eine Freundin beleidigt hätten. Sie hätten ihre Opfer angegriffen, gewürgt, getreten, zu Boden geschlagen. Die Verletzungen: „nicht unerheblich“, so die Staatsanwaltschaft. Frakturen, Blessuren, Wunden, Kratzer. Eines der Opfer kam für mehrere Tage in ein Krankenhaus. Der dritte der drei Angeklagten war allerdings bei der Tat nur dabei und könnte Zeuge sein.

Beide Opfer leiden schwer unter der Tat. Einer der Jugendlichen, ein heute 16-Jähriger, befindet sich in therapeutischer Behandlung, leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, so sein Arzt in einem Schreiben ans Amtsgericht. Ein erneuter Kontakt mit den Tätern solle ausgeschlossen werden. Er habe damals Todesangst erlitten. Das zweite Opfer, ein Jahr älter, habe zwischenzeitlich Depressionen entwickelt. Auch er solle nicht in Gegenwart der mutmaßlichen Täter als Zeuge befragt werden. Die Richterin setzt das um. Logistisch ist das eine ziemlich große Nummer, weil die Angeklagten ja auch Fragerecht haben nach den Zeugenaussagen. Das indirekt ausgeübt werden kann, über die Richterin. Mehrfaches Hinaus- und Hineinführen des Gefesselten, mehrfacher Ab- und Zugang des weiteren Angeklagten. Immerhin kann ja einer der beiden aktuell sicher in der Gerichtszelle untergebracht werden.

Dieser, der Älteste der drei, wollte laut Anklage zudem im Juni von Dietingen aus per Rufbus zum Landratsamt nach Rottweil fahren, aber die Fahrt nicht im Vorfeld bezahlen. Für 2,50 Euro. Stattdessen habe er den Taxifahrer beleidigt („Hurensohn“, „Bastard“ etc.), getreten, mit einem Messer bedroht, erklärt, „ihn abstechen zu wollen.“ Einen Fahrradfahrer, der hinzukam, trieb der junge Mann mit seinem Messer in die Flucht, griff auch noch einen vorbeikommenden Autofahrer an, der sein Fahrzeug rasch von innen abschloss. Und bedrohte, weil der Taxifahrer bereits geflüchtet war, auf dem Heimweg mehrere kleine Mädchen, die ihm zufällig über den Weg liefen, fünf und sechs Jahre alt. „Mit der Halsabschneidergeste“, so die Anklagevertreterin.

Individuelle Prozessvorbereitung: Der älteste der drei hat aus der Haft heraus einen Brief an einen der beiden anderen geschrieben. Die Richterin fing das Schreiben ab. Es wurde beschlagnahmt, dient als Beweismittel. Der Inhalt: Anweisungen, was der Kollege im Prozess aussagen solle.

Hier ist „der alte Mann“ angegriffen worden. Foto: gg

Aussagen

Einer der drei erklärt sich zu der Schlägerei in der Schützenstraße. Der Mann aus dem Haus sei zunächst recht aggressiv aufgetreten, habe seinem Kumpel Hausverbot erteilen wollen, man dürfe nicht so auf der Treppe vor dem Haus sitzen, soll der Mann gesagt haben. Es habe sich ein Streit entwickelt, auch um Corona-Abstand. Sein älterer Kumpel, B. Al S., habe als Erster zugetreten, glaube er, sei sich aber nicht mehr sicher. Der junge Mann, A.J., berichtet davon in gebrochenem, aber verständlichem Deutsch. A.J. will schlichtend eingegriffen haben. Mit der Polizei gedroht und versucht haben, die sich bereits Prügelnden auseinanderzubringen. Wobei nur der ältere tatsächlich geprügelt haben soll.

Die Treppe, die Beteiligten, das schließlich auf dem Boden liegende Opfer, A.J. soll das alles aufzeichnen. Bekommt ein Blatt Papier und einen Kuli. Und klare Ansagen von der Richterin. Sie nimmt es genau. Wer hat tatsächlich den Mann angegriffen? Mehrere Jungs? Und hat die Freundin die Schlägerei noch angefeuert? „Lügen die Zeugen“, fragt die Richterin. Rhetorisch, sie wird das am Ende entscheiden müssen.

S.D. bestätigt die Aussage. „Der alte Mann“ aus dem Haus habe ihn von der Treppe vertreiben wollen. Ihm direkt Schläge angedroht. Er habe Platz gemacht. Al S. habe dagegen provoziert (mit den Worten: „Was willst Du, willst Du Stress?“), „der alte Mann“ habe nach ihm getreten. Dann ging’s los. B. Al S. tritt zurück. Der Mann stürzt, liegt in einem Beet, im Dreck. Al S. über ihm. Die anderen beiden hätten versucht, den Kumpel davon abzuhalten. „Er wollte immer weiter drauftreten, drauftreten, drauftreten“, so der junge Kollege des Angeklagten. Er, sein Kumpel und dessen Freundin hätten schlichtend eingegriffen. Nicht selbst geprügelt. „Ich habe sicher nicht geschlagen.“

Al S. macht keine Aussage. Sein Recht. Während sein Kumpel schildert, wie er „den alten Mann“ verprügelt haben soll, lacht Al S. Wie über einen guten Witz. Schüttelt sich im einen Moment, bewegt sich im nächsten wie in Zeitlupe. Lässt den Blick durch die Runde schweifen. Wirkt abwechselnd belustigt und genervt. Der Sicherheitsmann direkt neben ihm ist in Alarmbereitschaft. Der an der Tür döst.

Sitzungspause, es wird mal richtig durchgelüftet. Und bitterkalt im Saal. Ein Zuschauer behält die Wollhandschuhe an. Die meisten Zuhörer ihre Jacken.

„Kampf um Leben und Tod“

Eine erste Zeugenvernehmung, „der alte Mann“ erscheint. 64 Jahre ist er heute alt, ein Selbstständiger, mittelgroß, schlank. Hat an dem Nachmittag im Mai vergangenen Jahres in der Schützenstraße sein Bürogebäude verlassen, wollte Richtung Landratsamt. Der kleinste der drei habe ihn von hinten angesprochen. „Hey, Alter, Du kannst die andere Treppe nehmen.“ Er habe ihm deshalb Hausverbot erteilt. Daraufhin seien die drei auf ihn losgegangen, die Freundin des einen habe ihn zudem festgehalten. „Finger weg“, habe er noch gerufen. „Da sind die drei schon mit Schlägen und Tritten über mich hergefallen. Sie haben mich rückwärts über den Hof getrieben und niedergerissen. Und weiter auf mich eingeschlagen und getreten.“

Der Mann erzählt das mit fester Stimme. Aufrecht sitzend. Er habe damals versucht, sich zu wehren. „Aber sie haben weiter auf mich eingetreten. Es war ein Stakkato an Schlägen. Von allen dreien. Ich habe die drei direkt vor mir.“ Er habe versucht, sich zu verteidigen, sich „aktiv gewehrt“. Seine Kampfsporterfahrung aus der Jugend, mit Judo, habe ihm geholfen. „Für mich war das ein echter, schlimmer Kampf um Leben und Tod. Die drei waren entfesselt, nicht mehr von dieser Welt.“ Zeugen hätten sie dann abgelenkt. Er sei umgerissen worden, gestürzt, wieder auf die Füße gekommen. „Ihr bleibt jetzt hier, wir holen die Polizei“. Daraufhin habe sich der Älteste vor ihm aufgebaut: „Fi… Dich, Alter, ich mach’ Dein Gesicht kaputt.“ Anschließend seien die Täter geflüchtet. „Zehn Minuten später kam dann die Polizei.“ Auf deren Anraten hin ging der Mann zum Arzt, der Prellungen, Hämatome und Schürfwunden festgestellt, Schmerzmittel verabreicht habe. „Schmerzen am ganzen Körper.“ Es sei „ein Erlebnis“ gewesen, „das man nicht vergisst“.

Der mutmaßliche Täter lacht, das Opfer weint

Bei dieser Aussage strahlt „der Älteste, der Aggressivste“, der Gefesselte über beide Backen. Selbst, als die Richterin ihn auffordert, vorübergehend die Maske abzunehmen. Der junge Mann lacht. Als würden Witze gerissen. Der kälteste Moment in diesem Prozess, bisher. Laut dem psychiatrischen Sachverständigen liegt eine psychische Erkrankung vor. „Muss ich das (Lachen) akzeptieren“, fragt die Richterin den Gutachter, „ja“, antwortet dieser klar. „Der Älteste, der Aggressivste“ hatte sich da gerade geschüttelt vor Lachen.

Das Opfer bricht unterdessen in Tränen aus, im Zeugenstand. „Es ist nicht normal, mittags um vier in Rottweil um sein Leben kämpfen zu müssen.“ Es wühle ihn einfach auf, immer noch. Er benötigt ein Tempotaschentuch. Die Staatsanwältin hatte ihn gefragt, ob er unter Langzeitfolgen leide.

Keinen der drei auf der Anklagebank kann der 64-Jährige klar einer bestimmten Tat, eines bestimmten Schlages oder Trittes bezichtigen. Es sei ein Tumult gewesen.

Weitere Zeugenaussagen

Eine zweite Zeugin. Die nach islamischem Recht mit dem mittleren der drei jungen Männer, mit S.D. verheiratete Frau. Sie haben ein Kind miteinander, gelten nach deutschem Recht als Verlobte. Aussagen müsste sie deshalb nicht, tut es aber. Wie sie sich erinnert: Der Mann, der aus dem Haus gekommen sei, habe als Erster zugetreten. In den Intimbereich des Ältesten der drei, „das habe ich mit meinen Augen gesehen.“ Zwei der drei jungen Männer hätten zuvor auf der Treppe gesessen. „Wir haben ganz normal geredet, bis dieser Mann dann kam.“ Dieser sei gleich aggressiv aufgetreten, habe anlasslos zugetreten, deshalb sei der Streit ausgebrochen. Der artete aus: Ihr damaliger Freund, S.D., aber habe versucht, den nunmehr angreifenden Al S. von dem Mann wegzuziehen. Sie schildert ihn, „den Ältesten, den Aggressivsten“, als den eigentlichen Täter. Als den einzigen Schläger. Sollte das Gericht zu einer anderen Auffassung kommen, droht der Frau eine Anklage wegen uneidlicher Falschaussage. Mit ihren Angaben bei der Polizei deckt sich die Aussage der jungen Frau vor Gericht nun schon einmal nicht, klärte die Richterin auf. „Ich war damals sehr nervös“, begründet das die Zeugin. „Und ich würde niemals etwas gegen meinen Freund sagen.“

Eine weitere Zeugin, sie war damals gerade zufällig in der Nähe, kam aus einem Discounter, beobachtete das Geschehen. Will zwei junge Leute gesehen haben, die den Mann angegriffen, geschlagen, getreten, gestoßen hätten. Der jüngste der Drei soll laut ihr etwas abseits gestanden haben. Gegenüber der Polizei, am Tag der Tat, hatte sie ihn noch als Schläger geschildert. „Ich war noch nie Zeugin eines solchen Vorfalls, ich war damals aufgeregt“, entschuldigt sich die Frau. Sie wisse es einfach nicht mehr genau. Zwischenzeitlich hat sie Besuch von einem der Angeklagten bekommen, freundlich, nicht bedrohlich, die beiden kennen sich vom Sehen. Es sei darum gegangen, dass er doch nicht geschlagen habe. Offenbar hat der junge Mann die beiden anderen aber angefeuert. „Er war nicht ruhig, er hat verbal schon mitgemacht.“ Das Opfer, der ältere Mann, habe sich gewehrt. Aber keine Chance gehabt gegen die Angreifer. In Embryohaltung habe er auf dem Boden gelegen.

Das Verfahren hatte sich laut Richterin deshalb so in die Länge gezogen, weil der älteste der drei, „der Aggressive“ psychiatrisch untersucht werden musste.

Ein weiterer Zeuge, ein 56-jähriger Elektroingenieur. Er wollte damals mit seiner Frau zum Einkaufen beim Discounter, bekam die „verbale Auseinandersetzung“ mit. „Das gibt es aber öfter“, er ignorierte das zunächst. Erst als der Streit andauerte, als er gesehen habe, dass drei junge Leute auf einen älteren Herrn eingetreten haben, der bereits am Boden gelegen habe, sei er hin, habe „Aufhören“ gerufen. Und sei sofort von zwei der drei angemacht, angeschrieen worden. Der dritte habe weiter auf den auf dem Boden liegenden Mann eingetreten und -geschlagen, die beiden anderen kümmerten sich um den neu Hinzugekommenen. „Aufgeheizte Stimmung, es war ziemlich laut, es war dann noch ein verbaler Schlagabtausch“, – und dann seien die drei und das Mädchen gegangen. Auf deren Ansage hin: „Jetzt ist Abmarsch!“. „Wir haben auf die Polizei gewartet.“

Der Angriff nahe der Römerschule: „Ich wollte die nicht schlagen, ich wollte nur mit denen reden“

Die Mittagspause an diesem Prozesstag ist zu Ende, eine halbe Stunde. Der zweite Fall wird zum Thema. Der Angriff bei der Schule in der Altstadt. B. Al S. schweigt weiter, S.D. sagt aus. Seine damals neue Freundin (eine andere Frau als die, mit der er mittlerweile ein Kind hat) sei beleidigt worden. Zwei Jungs hätten in der Schule herumerzählt, die Neue sei keine Jungfrau mehr. Grund für ihn damals, der Sache nachzugehen. Er habe die beiden jungen Leute bei der Schule gestellt. Einem von beiden habe er „eine Schelle gegeben“, der Junge solle nicht schlecht über Mädchen reden. B. Al S. sei bei der Aktion dabei gewesen. Betrunken. Und der sei dann sofort auf den anderen Jungen losgegangen. Habe ihn geschlagen. S.D. beschreibt Al S. als aggressiv und kaum zum stoppen. Der angegriffene Junge habe schon auf dem Boden gelegen, Al S. habe dennoch zunächst weitergemacht. „Ich wollte die nicht schlagen“, so der junge Mann aus Aleppo. „Ich wollte nur mit denen reden.“ Einen Kopfstoß habe er seinem Opfer nicht gegeben. Sein damaliger Kollege, A.J., macht später als Zeuge zunächst eine gleichlautende Aussage. Die „Schelle“ nennt er „Backpfeife“.

Im Übrigen sei seine damalige Freundin schon nicht mehr Jungfrau gewesen, als die Jungs herumerzählt hätten, sie sei keine Jungfrau mehr. Die Vorsitzende Richterin arbeitet das heraus. Es ging also um eine wiederherzustellende Ehre, die schon nicht mehr wiederherzustellen war, offensichtlich.

Ab 14.10 Uhr sagt der eine der beiden bei der Römerschule angegriffenen Jungs aus. Ein junger Mann aus Rottweil, heute 16 Jahre alt, Schüler, Brillenträger. Er erzählt, was an dem Tag im Juni 2020 aus seiner Sicht passiert ist. Hatte sich Notizen gemacht, die er auf Anweisung der Richterin sofort zur Seite legt. Die Aussage muss aus dem Gedächtnis kommen. Er berichtet: „Die kamen angerannt und haben auf uns eingeschlagen.“ Der eine habe ihn gegen eine Wand gedrückt, ins Gesicht geschlagen, am Hals gepackt und gewürgt. Der andere habe sich seinen Freund geschnappt, ihn zu Boden geschlagen und auf ihn eingeprügelt. Minutenlang. Irgendwann sei sein Kumpel so kaputt gewesen, dass dessen Peiniger sich ihm zugewandt habe. Auch ihn mehrfach geschlagen habe. Mit der Faust, massiv. Ihm die Nase gebrochen, ein blaues Auge zugefügt, die Zahnspange kaputtgeschlagen. Später benötigte er psychologische Betreuung, hatte Schlafprobleme, Angst, das Haus zu verlassen. „Bis heute gehe ich ungern in die Stadt, allein schon gar nicht“, er hat Angst, die Beteiligten von damals zu treffen, etwa die vermeintliche Jungfrau und ihre Kumpels. „Die drehen mit dem Auto ihre Runden.“

Damals, nach dem Angriff, hätten sie flüchten können, ins Haus einer Familie. Auch, weil der Jüngste aus dem angeklagten Trio seinerzeit dazwischen gegangen sei.

15 Uhr, der zweite Junge, der damals angegriffen worden ist, wird vernommen. Ein weiterer junger Mann aus Rottweil, 17 Jahre alt, Schüler, ebenfalls Brillenträger, er hat bereits eine tiefe Stimme. Er schildert, was er „mit meinem besten Freund“ erlebt hat. Wie damals jene vermeintliche Jungfrau „mit vier Männern“ ankam. „Wir hatten ein komisches Gefühl“, sie hätten sich deshalb auf die Socken gemacht. Sie werden angebrüllt, die Angreifer kommen auf sie zugerannt, B. Al S., berichtet er, auf ihn. Der tritt nach ihm, schlägt ihm ins Gesicht, schubst ihn an eine Wand. „Ich bin zusammengesackt, währenddessen habe ich einen Tritt oder Schlag ins Gesicht bekommen.“ Er ging zu Boden. „Der Mann hat mich mehrmals ins Gesicht getreten, sechs oder sieben Mal. Er hat mit meinem Kopf Fußball gespielt. Ich hatte wirklich Todesangst. Ich dachte, es ist vorbei.“ Bis heute fühlt sich der junge Mann „öfter mal verfolgt, wenn ich mich umdrehe.“ Schläft schlecht ein, hat Alpträume.

Die Aussagen der beiden decken sich.

Eine heute 16-jährige Schülerin aus Rottweil erinnert sich als Zeugin an nicht mehr viel. Aber daran, dass B. Al S. den einen der beiden Jungs geschlagen und getreten habe, „und zwar echt heftig.“ Und der andere habe zugleich den anderen Jungen gewürgt.

Das alles sei aus dem Nichts gekommen. Ohne Erklärungen, ohne Worte.

Auch ein schüchternes junges Mädchen ist da, Schülerin, heute 17. Damals sei sie mit S.D. zusammen gewesen. Habe gehört, dass ihre Jungfräulichkeit Thema sei unter Jungs in der Altstadt. Habe das ihrem Freund gesteckt. Der sei mit seinen Kumpels los. Und sie sei zunächst mit, dann stehen geblieben, habe nichts gesehen. „Ich habe keine Bilder mehr im Kopf.“ Einer der Jungen habe schließlich weinend am Boden gelegen. Die Richterin wird massiv. Droht mit Ermittlungen wegen einer uneidlichen Falschaussage. „Ich glaube, er hat ihn getreten“, antwortet die junge Frau verunsichert. Sie habe „nur noch so ein Standbild in meinem Kopf.“ Auf die Nachfragen von Richterin und Staatsanwältin: „Ich weiß es nicht.“ Immer wieder.

„Hurensohn, Ar…loch“

Abschließend noch die dritte Tat. Zunächst der Angriff auf den Taxifahrer. Ende Juni 2020. Der Mann – kariertes Hemd, untersetzt, Ohrringträger, 61 Jahre, aus Schramberg – hatte seine Begegnung mit dem Angeklagten nach seinen Worten im Juni vergangenen Jahres. Er war als Rufbusfahrer bestellt, nach Dietingen. Sollte B. Al S. auflesen. Über einen Zuschlag in Höhe von 2,50 Euro seien beide in Streit geraten. Sein Fahrgast will nicht zahlen, wird beleidigend – „Hurensohn, Ar…loch, das macht mir nichts aus, das ist gang und gäbe bei denen.“ Der Angreifer fuchtelt mit einem Messer herum (Straftatbestand: räuberische Erpressung). Beide verlassen das Fahrzeug. Dort habe er ihn dann angegriffen, sagt der Taxifahrer. Habe ihm zunächst dreimal mit dem Fuß gegen die Brust getreten, zweimal gegen das Bein. „Da habe ich aber keine Wirkung gezeigt.“ Unterdessen sei der Fahrradfahrer hinzugekommen, habe sich der Angreifer kurz mit diesem beschäftigt. Der Taxler nutzte das: Er sei davongefahren. Augenzeugen rufen die Polizei. Etwa eine Anwohnerin, die aber ihre Tochter vorschiebt, als die Streifenbeamten eintreffen, sie selbst will nichts gesehen haben.

Auch der Fahrradfahrer wird vernommen, ein großer, schlanker, junger Mann. Seine Eltern begleiten ihn zur Verhandlung. Er war damals gerade zu einem Freund unterwegs, als er sieht, wie der Angreifer den Taxifahrer tritt. Da habe er gerufen, dass er aufhören solle. Woraufhin der junge Mann auf ihn zugekommen, ziemlich beleidigend geworden sei. Und „willkürlich aggressiv, nicht stoppbar“, so der Fahrradfahrer. Er habe ihn treten wollen, es dann nicht getan. Habe gerufen, dass er abhauen solle. Dem kam der Fahrradfahrer dann nach. „Sonst hätte er auch mir Gewalt angetan.“

Beide potenziellen Opfer weg – der Angeklagte wollte offennbar zurück nach Hause. Und trifft auf eine Familie, die gerade von einer Familienfeier kommt. „Mit leerem Blick, er war nicht bei sich“ sei er auf den Wagen zugekommen, so der Familienvater. Drinnen er, seine Frau, seine achtjährige Tochter. Der Angreifer habe gegen das Auto gespuckt und getreten. Er sei dann losgefahren, so der Mann, weg von dem Aggressor. Am Wagen sei nur ein minimaler Schaden entstanden. Im Auto herrschte dagegen Angst vor. Der Familienvater fuhr Frau und Kind nach Hause. Und rief dann die Polizei. In der Verhandlung bittet er darum, seine Adresse nicht nennen zu müssen.

Nach dem Ausraster in Dietingen kassiert die Polizei B. Al S. ein. Er kommt ins Vinzenz-von-Paul-Hospital, später in Untersuchungshaft nach Stuttgart und zuletzt in die Psychiatrie Reichenau. Und jetzt eben auf die Anklagebank. Die er an diesem Tag erst gegen 18 Uhr verlassen kann. Gefesselt.

Der Prozess wird am 14. Dezember fortgesetzt.

 

 

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