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„„Ich war nicht der Mensch, den ich kenne. Ich war wie ein Roboter““, Veröffentlicht: Donnerstag, 31. Mai 2018, 19.09 Uhr

„Ich war nicht der Mensch, den ich kenne. Ich war wie ein Roboter“

Dreizehn Prozesstage lang hat Drazen D. beharrlich geschwiegen, sich höchstes Mal mit seinen Anwälten unterhalten. Am Mittwoch hat er endlich geredet zum Mord an seinem sechsjährigen Sohn Dario und zwei Erwachsenen. Dabei ist die Beweisaufnahme fast abgeschlossen, und es bleibt eigentlich nur ein Schluss: D. selbst hat seinen Sohn und die beiden anderen Opfer erschossen, so wie es ihm die Staatsanwalt auch vorwirft.

Seine Worte kommen zögerlich. Er hat sich einiges notiert, braucht immer wieder Pausen. Drazen D. erzählt von seiner Kindheit in Bosnien, vom Krieg, in dem er als Jugendlicher auf kroatischer Seite gekämpft und schlimmes erlebt haben will: Ein Dorf, in dem sich die Schweine über die Leichen der Bewohner hermachen. Zwei aufgespürte gegnerische Soldaten, von denen einer wohl zuviel redet und der kurzerhand mit 60 Schüssen umgebracht wird. „Kein schöner Anblick“, so D.

Dann Deutschland, Drogen, Alkohol, schließlich ein Job und eine kroatische Frau, zwei Kinder. Eigentlich sei alles ganz normal gewesen, außer eben seine Alkoholprobleme. Nein, da sei keine Gewalt gewesen, aber seine Frau habe ihn ständig angegriffen, weil sie ihn in Verdacht hatte, dass er fremdgehe.

Als sie schließlich mit den Kindern ins Frauenhaus flieht, lernt er vier Monate später J. kennen, die bald von ihm schwanger wird, damals mit dem wesentlich älteren Besitzer eines Swingerclubs verheiratet ist. Sie habe ihn gebeten, sie da rauszuholen, erzählt D., ihr Mann verkaufe sie an andere Männer, sie habe für 50 Euro Sex in einem Tigerkäfig haben müssen. Doch später sei J. immer wieder zum Ex-Mann zurückgegangen, er habe ihr Geld und Getränke gegeben. Und sie habe nicht nur ihn abgezockt, sondern auch andere Männer. Und habe dann wieder bei ihm Schutz gesucht.

Wieder habe es keine Gewalt gegeben, so D., später gibt er dann Schläge zu. Aber gedroht habe er ihr nie. Sie habe den gemeinsamen Sohn immer wieder für Monate nach Lettland zu ihren Eltern geschickt, er sei ihr im Weg gewesen, sagt D. Sie habe sich nur für ihr Aussehen interessiert. Und auch einen Escort-Service in der Schweiz betrieben, das könne er beweisen. Dann berichtet er von einer letzten Begegnung mit seinem Sohn vor seinem Tod, bricht in Tränen aus. Er liebe ihn, habe der kleine Dario gesagt, mehr noch als die Mutter.

Als J. dann nach Villingendorf zog, mit dem neuen Partner, und ihm die Besuche bei Dario verbot, habe er schnell die Adresse herausgefunden, er habe ja gewusst, wo sie arbeitete. Und bei einem Besuch des Jugendamts in Tuttlingen habe er auf dem Bildschirm einer Mitarbeiterin die Adresse lesen können.

Das Gewehr, so D., habe er schon lange gehabt, er habe es in einem Schuppen versteckt. In Kroatien habe er sich eine Pistole kaufen wollen, die er immer bei sich tragen konnte, denn er fühlte sich vom neuen Lebensgefährten von J. bedroht. Und er habe dort die Munition für die Tatwaffe bekommen. „Was haben Sie dafür bezahlt“, will da Richter Karlheinz Münzer wissen. Er habe sie so bekommen, sagt D.

Das Gewehr habe er dann mit Kabeln unter seinem Auto befestigt. Sei mehrfach so nach Villingendorf gefahren. Am Tattag schon ganz früh, er habe aber nicht gewusst, dass Dario da eingeschult werden sollte. „Sonst wäre ich vielleicht wieder zurückgefahren. Ich
wollte ihm die Feier ja nicht versauen!“ Nein, er habe keine Kinder mit Schultüten gesehen. Und er habe mit J.nur reden wollen, als er bewaffnet und mit vorgehaltener, schussbereiter Waffe auf die Terrasse kam.

Dass ihr Freund dagewesen sei, habe ihn überrascht, denn der habe ja eigentlich in Dauernachtschicht gearbeitet. „Er hat mich komisch angeschaut. Meine Finger am Abzug haben gezittert. Und dann habe ich geschossen.“ Dass er die Cousine auch angeschossen hatte, habe er gar nicht gemerkt. Sie habe eine Bewegung gemacht, sich wohl unterm Tisch verstecken wollen. Das habe ihn erschreckt.

„Ich war nicht der Mensch, den ich kenne. War wie ein Roboter.“ Dass er danach in die Wohnung ging, wo er die Dreijährige sah, dann wieder hinaus und noch einmal hinein, wo er dann aus nächster Nähe auf seinen Sohn schoss, scheint er noch immer nicht realisiert zu haben. „Vielleicht hat er geweint. Vielleicht hat er geschrien. Vielleicht habe ich ihn von der Fensterbank geholt und ihm gesagt, er brauche keine Angst zu haben“, sagt er. „Ich weiß es nicht. Ich war in einer anderen Welt.“

Und dass er im Hinausgehen noch einmal auf den am Boden liegenden Mann geschossen und dann mit der Cousine gesprochen habe. Sie habe wohl gesagt, dass er nicht auf sie und ihr Kind schießen solle. Er habe sich dann eine Zigarette vom Tisch genommen, das Feuerzeug, das wie eine Pistole aussah und das dort liegende Handy in eine Hecke geworfen.

Dann habe er sich im Wald versteckt, mit Blättern und Zweigen zugedeckt, als er den Polizei-Hubschrauber über sich hörte. „Ich glaube, ich befinde mich immer noch im Trancezustand, kann immer noch nicht begreifen, dass eine solche Katastrophe passiert ist.“

Ihm sei erst während des Prozesses das Ausmaß der Tat klar geworden, „Kinder haben ihre Eltern verloren. J. hat einen Sohn verloren. Ich hoffe, dass ihr neuer Sohn gesund ist.“ Und: „Ich habe meinen Sohn über alles geliebt.“ Dario wäre heute sieben Jahre alt geworden.

 

 

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