Die 12. Kleine Strafkammer am Landgericht Rottweil verhandelt am nächsten Dienstag 4. August über einen Fall wegen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften. Bei einer Wohnungsdurchsuchung im März 2015 hatte die Polizei eine Wohnung in einer Gemeinde im Landkreis Rottweil mehrere tausend Bild- und mehrere hundert Videodateien kinder- und jugendpornographischen Inhalts entdeckt.
Nach drei Jahren kam es zu einer Gerichtsverhandlung in Oberndorf. Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer verurteilte den einschlägig vorbestraften und geständigen, damals 57-jährigen Angeklagten zu anderthalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Heuer hatte in seiner Urteilsbegründung scharfe Kritik an Polizei und Staatsanwaltschaft wegen der überlangen Verfahrensdauer geäußert und dem Angeklagten deshalb drei Monate Strafrabat gewährt.
„Hochgradig rückfallgefährdet“
Heuer hatte damals die Verhandlung unterbrochen und eine zweite Durchsuchung beim Angeklagten angeordnet. Dieser hatte erklärt, seit der ersten Durchsuchung 2015 habe er „mit solchen Sachen“ nichts mehr zu tun. Die Polizei fand allerdings erneut jede Menge verbotene Kinderporno-Dateien.
Ein erfahrener Gutachter bezeichnete den Angeklagten als „kern-pädophil“ und hochgradig rückfallgefährdet“. Deshalb hatte Heuer keine Bewährungsstrafe ausgesprochen. Er meinte, es sei für die Öffentlichkeit nicht hinnehmbar, dass ein solches Verfahren so lange dauert und ein Täter auf freiem Fuß sei. (Die NRWZ berichtete damals ausführlich.)
Schwierige juristische Abwägung
Gegen das Urteil hatte der Angeklagte Berufung eingelegt, und die 11. Kleine Strafkammer des Landgerichts Rottweil hat am 2. Mai 2019 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und das Verfahren wegen Verfahrenshindernisses eingestellt.
„Hintergrund der Einstellung des Verfahrens durch das Landgericht und der Aufhebung durch das Oberlandesgericht ist die rechtliche Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit der Anklageschrift zu stellen sind – das sogenannte ‚Bestimmtheitsgebot‘“, schreibt Pressesprecher Richter Bernd Koch in einer Pressemitteilung.
Auf Nachfrage der NRWZ erläutert Koch, es gehe bei diesem Bestimmtheitsgebot darum, dass „eine Tat individuell bestimmbar sein“ müsse. Nach Ansicht des Richters am Landgericht habe es nicht ausgereicht, wenn in der Anklageschrift von kinderpornografischen Bildern auf USB-Sticks ganz allgemein die Rede war. Vielmehr müsste der Sachverhalt so konkret als möglich beschrieben werden. Sonst bestünde die Gefahr, dass der Täter für den Besitz ein und desselben Bildes zwei Mal bestraft werden könnte. Mehrere tausend Bilder und hunderte von Videos detailliert und unverwechselbar zu beschreiben – eine schier unlösbare Bedingung.
Die Staatsanwaltschaft Rottweil hat gegen dieses Urteil ihrerseits Revision beim Oberlandesgericht in Stuttgart beantragt – und dieses hob „durch Urteil vom 18. Oktober 2019 (Az.: 2 Rv 16 Ss 795/19) das Einstellungsurteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Rottweil zurück“, wie Pressesprecher Koch mitteilt. Deshalb werde der Fall nun bei der 12. Kleinen Strafkammer neu verhandelt.
Rottweiler Entscheidung aufgehoben
Die Stuttgarter Richter stellen in ihrem Urteil fest, die Tat müsse durch bestimmte Tatumstände „so konkret beschrieben werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welches Verhalten dem Angeklagten zur Last gelegt wird. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll, wobei die Schilderung umso genauer sein muss, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat.“ Sie schreiben aber auch: „Übertriebene Anforderungen dürfen an die Konkretisierung der Tat dabei allerdings nicht gestellt werden.“
Die Anklage im Oberndorfer Fall bezeichne das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten ausreichend genau, „indem sie den ihm vorgeworfenen tateinheitlichen Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften nach Ort und Zeit bestimmt sowie die Bild- und Videodateien nicht nur beziffert, sondern vor allem durch die Angabe der bei ihm zur Tatzeit sichergestellten Speichermedien und die … Darstellung ihres Inhalts konkretisiert. Mehr bedarf es entgegen der Auffassung der Strafkammer nicht, um den Verfahrensgegenstand in persönlicher und sachlicher Hinsicht präzise festzulegen.“
Mehr als fünf Jahre nach der Tat wird immer noch verhandelt
Nun also die Neuauflage eines Prozesses, der eigentlich schon viel zu spät 2018 vor dem Amtsgericht stattgefunden hatte. Weshalb das Landgericht Rottweil für sein erstes Urteil, nämlich das Verfahren einzustellen, mehr als ein Jahr gebraucht hat – und weshalb seit dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2019 bis zum neuen Prozess noch einmal acht Monate ins Land gingen?
Richter Koch meint, es sei eine juristisch schwierige Abwägung gewesen und verweist darauf, dass es sich in diesem Fall nicht um eine Haftsache handle. Angeklagte, die in Untersuchungshaft sitzen, gingen eben vor. Für die lange Dauer gebe es aber auch „keine verfahrensbezogenen Gründe“, merkt er an.
Info: Die Entscheidung des OLG Stuttgart findet sich hier. Der Prozess beginnt am 4. August ab 10 Uhr im Sitzungssaal 013 im Landgericht Rottweil.