KREIS ROTTWEIL – Die Landesarbeitsgemeinschaft Taubblindheit/Hörsehbehinderung in Baden-Württemberg (LAG tbl BW) kämpft weiter um die Rechte der Menschen mit doppelter Sinnesbehinderung.
Jedes Jahr am 22. Oktober findet der europäische Tag der Menschen mit Taubblindheit statt. Das baden-württembergische Expertengremium LAG tbl BW, bestehend aus Menschen mit Taubblindheit / Hörsehbehinderung, deren Angehörigen und Fachpersonen, konnte an diesem Tag in einer Sondersitzung des Sozialausschusses im Landtag all das zur Sprache bringen, was nach wie vor im Argen liegt. Trotz der Anerkennung von Taubblindheit als eigenständige Behinderungsform im Jahr 2016, besteht auch vier Jahre später erheblicher Handlungsbedarf.
Mit der Einführung eines Merkzeichens „TBl“ im Schwerbehindertenausweis kam für die Betroffenen vor vier Jahren endlich der gesetzliche Anspruch auf eine sogenannte Taubblindenassistenz. „Das ist eine speziell ausgebildete Begleitperson, erläuterte Sabine Wanner, Tochter einer taubblinden Mutter, Gebärdensprachdolmetscherin und selbst Taubblindenassistentin. Taubblindenassistenz ist eine der wichtigsten Dienstleistungen für taubblinde/hörsehbehinderte Menschen.
Sehr eindrücklich schilderte Jacqueline Laier, taubblind und Vorsitzende des Taubblindenvereins Baden-Württemberg, welche enormen Barrieren sich immer noch bei der Antragstellung in den Ämtern auftun. Die anwesenden Abgeordneten konnten die lebhafte und sehr anschauliche Beschreibung der Problematik von Laier nur deshalb verstehen, weil die Gebärdensprachdolmetscherin Tanja Lilienblum-Steck für den Taubblindenassistenten von Laier das Gesagte in Gebärdensprache übersetzte.
Jörg Schlund, selbst gehörlos und ausgebildeter Taubblindenassistent, sorgte wiederum dafür, dass die Kommunikation zu Jacqueline Laier sichergestellt war. Schlund übertrug die gesamte Sitzung in die taktile Gebärdensprache. Eine beachtliche Höchstleistung, die für die Teilhabe taubblinder Menschen unerlässlich ist.
Jedem Laien ist eigentlich klar, dass jemand, der zugleich nichts sieht und nichts hört, stärker mit Einschränkungen im Leben zu kämpfen hat als diejenigen, die von ‚nur´ einer Sinnesbehinderung betroffen sind. Schwer haben es auch Menschen, die hörsehbehindert sind. Die Tatsache, dass sie noch ein wenig hören oder ein wenig sehen können, verursacht leider eine Verharmlosung dieser Behinderungsform. Hörsehbehinderung wird bis heute falsch wahrgenommen.
„Dennoch findet man die Begriffe ‚Hörsehbehinderung und Taubblindheit´ in den meisten Gesetzen, wie im Landesbehindertengleichstellungsgesetz oder in der Versorgungsmedizinischen Verordnung nicht.“ so Margherita Hepp, Ehefrau des taubblinden Diakons Peter Hepp aus Rottweil.
Die Konsequenzen daraus sind für jeden einzelnen Betroffenen fatal. So schildert Ute Neumann, hörsehbehindert, Vertreterin für die Selbsthilfeorganisation Leben mit USHER-Syndrom , ihren seit Jahren andauernden gerichtlichen Streit. Die Krankenkasse verweigert die Finanzierung spezieller Hörhilfen: „Es fehlen hierfür schlichtweg die gesetzlichen Grundlagen, wonach die Kassen die Finanzierung übernehmen müssen. Ich bin doch hörsehbehindert und nicht schwerhörig. Ich habe mir diese Behinderung nicht ausgesucht.“
Carolin Feßer, hörsehbehindert und Vertreterin für den Landesverband der Schwerhörigen und Ertaubten, Baden-Württemberg , ergänzt die Aussage deutlich: „ohne mein Cochlea-Implantat bin ich taub.“ Eine bedrohliche Situation für jemanden, der bereits eine Sehbehinderung hat. „Ich habe immer gekämpft. Ich wünsche mir, dass noch mehr taubblinde / hörsehbehinderte Menschen eine Chance auf einen Beruf und eine ordentliche Arbeit haben. Das wollen wir mit unserem deutschlandweiten Projekt „Wege in den Beruf“ erreichen, schließt die studierte Sozialmanagerin und Mitarbeiterin der Nikolauspflege in Stuttgart.
Kämpfen müssen nicht nur die betroffenen Menschen selbst. Wieviel Kraft ein jahrelang andauernder Krieg mit den Behörden auch Angehörigen abverlangt, schildert Frau Nicole Rittner, Mutter einer taubblinden Jugendlichen, sehr deutlich und mahnt zugleich davor, die familiäre Belastung nicht zu unterschätzen.
In Baden-Württemberg gibt es drei große und bedeutende Einrichtungen der Behindertenhilfe – die Stiftung St. Franziskus in Schramberg-Heiligenbronn, die Nikolauspflege in Stuttgart und die Paulinenpflege in Winnenden – die seit Jahrzehnten neben dem Schwerpunkt der Förderung von Menschen mit Hörbehinderungen oder Sehbehinderungen auch Unterstützung für Menschen mit doppelter Sinnesbehinderung anbieten. Welchen Mehrbedarf an Zeit und Personal das bedeutet, schildert Sigrid Andrä, Verantwortliche für die Taubblindenarbeit in der Paulinenpflege: „oftmals muss für jeden Einzelfall mühsam verhandelt werden, bis beispielsweise eine notwendige zusätzliche Assistenz genehmigt und finanziert wird.“
Sämtliches Fachpersonal sowohl innerhalb von Einrichtungen als auch außerhalb muss speziell geschult werden. Die Stiftung St. Franziskus qualifiziert im Auftrag der LAG tbl BW seit fünf Jahren sogenannte Taubblindenassistenten teilweise mit Unterstützung von Geldern der Landesregierung. „Ein nicht unerheblicher Anteil der Kosten fällt jedoch zu Lasten der Einrichtung“, berichtet Beate Mayer, Abteilungsleiterin Wohnen und Fördern . Sie appelliert dringend an die finanzielle Unterstützung durch das Land.