Kreis Rottweil – Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut, das bedeutet nach EU-Definition, dass die Familie weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens hat. Bei einer vierköpfigen Familie liegt die Armutsgefährdungsgrenze bei 2896 Euro. Um Familien besser zu unterstützen und Kinderarmut zu bekämpfen, hat sich die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung der Kindergrundsicherung vorgenommen. Wie diese aussehen soll und worum gerade intensiv debattiert wird, das erläuterte jetzt die Bundestagsabgeordnete Stephanie Aeffner den Grünen aus dem Kreis Rottweil in einer Videokonferenz.
Das Hauptproblem sei dass es im Moment zwar zahlreiche Unterstützungsprogramme für arme Familien gibt, jedoch von den unterschiedlichsten Leistungsträgern wie Wohngeldstellen, Jobcentern, Sozialämtern oder Familienkassen. Zudem ist die Beantragung oft kompliziert, so die Abgeordnete. Daher nehmen beispielsweise zwei Drittel der Berechtigten den Kinderzuschlag überhaupt nicht in Anspruch. Gleichzeitig fördert der Staat Kinder aus Familien mit hohem Einkommen durch den Kinderfreibetrag monatlich mit bis zu 100 Euro mehr als solche mit geringeren Einkommen. „Ein Kind aus einer reichen Familie bekommt bis zu seinem 18. Geburtstag im Schnitt 22.000 Euro mehr als das das aus einer armen,“ so Aeffner.
Ziel der Kindergrundsicherung ist es nun, alle Leistungen bei einer Behörde zu bündeln. Sie soll aus zwei Bestandteilen bestehen: Einem Garantiebetrag, den alle Kinder bekommen – so wie das heutige Kindergeld. Und einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag, der mit steigendem Einkommen abgeschmolzen wird. Die Kindergrundsicherung soll aus der Holschuld der Eltern eine Bringschuld des Staates machen. Nach einem jährlichen Kindergrundsicherungscheck werden automatisch alle informiert, denen vermutlich der Zusatzbetrag zusteht. Diesen sollen sie dann einfach und digital beantragen können.
Die Höhe der beiden Beträge steht noch nicht fest, betonte Aeffner. Im Koalitionsvertrag der Ampel ist vereinbart, dass das Existenzminimum für Kinder durch das zuständige Arbeits- und Sozialministerium neu berechnet wird. Die interministerielle Arbeitsgruppe aller beteiligten Ressorts hat vereinbart, dass nach der Neuberechnung Kindern mehr Teilhabe ermöglicht werden soll. Aeffner betonte auch, dass derzeit im Regelsatz für ein Kind unter sechs Jahren etwa 1,12 Euro pro Monat für Bildung vorgesehen sind, Bücher zum Vorlesen kann man damit nicht kaufen, Hefte und Malstifte bis zum Alter von sechs Jahren enthält der Regelsatz nicht. „Ohne Kohle geht keine Bildung“, so die grüne Sozialpolitikerin.
Stephanie Aeffner verurteilte pauschale und stigmatisierende Vorurteile gegen arme Eltern aufs Schärfste. Aktuell würde immer wieder behauptet, das Geld käme gar nicht bei den Kindern an. Dabei sei das Gegenteil längst durch Studien belegt, beispielsweise durch eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung. Eher sparten die Eltern an sich selbst als an ihren Kindern.
Die Einführung der Kindergrundsicherung wird von einem sehr breiten Bündnis aus Sozial-, Kinder- und Familienverbänden sowie Gewerkschaften gefordert. Mit ihr könnten Familien bis in die Mitte der Gesellschaft besser unterstützt werden, die aus vielfältigen Gründen von den heutigen Leistungen oft nicht erreicht werden. „Für uns als grüne Bundestagsfraktion hat die Kindergrundsicherung absolute Priorität!“, so Aeffner. „Das ist ein Paradigmenwechsel, hinter dem wir geschlossen stehen“, so Sonja Rajsp-Lauer von den Rottweiler Grünen. Und Turid Pfautsch ergänzt: „Das ist absolut überfällig.“