Eine Ära endet. Man darf es ruhig so sagen, denn Bernhard Rüth ist Ende November in den Ruhestand getreten. Er hat 33 Jahre lang die Kulturszene des Landkreises Rottweil als Kreisarchivar geprägt wie kein Zweiter, hat die Archivarbeit im Kreis auf neue Beine gestellt, und der Tourismus-Bereich findet weithin Anerkennung.
„Es war für mich kein Job, sondern das war und ist meine Lebensaufgabe“, betonte Rüth beim Gespräch. War – und ist? „33 Jahre – aber es geht weiter“, sagt er – „ein Ausstieg in Etappen.“ Es gilt, den Nachfolger Johannes Waldschütz einzuarbeiten, der im April sein Amt antritt. Rüth wird weiter seine ehrenamtlichen Funktionen behalten wie Kulturbeauftragter des Zweckverbandes Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), er wird weiter als Kurator von Ausstellungen tätig sein, in Organisationen wie Stiftungen und Verbänden. Und er will als Historiker Artikel veröffentlichen. „Für ein breites Publikum“, betont er, „nicht in Fachzeitschriften“.
Rüth ist „Alt-Württemberger“, er stammt aus Heidenheim an der Brenz. Am Anfang seines Berufsweges stand, nach dem Abitur am Hellenstein-Gymnasium seiner Heimatstadt, das Studium in den Fächern Germanistik und Geschichte in Stuttgart (wohin ihn die ZVS, Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, eingeteilt hatte. Über Zürich kam er nach Tübingen, „wo man als Württemberger eben studiert“. Zunächst schlug er eine Hochschul-Laufbahn ein, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an Historischen Seminar der TU Braunschweig und arbeitete anschließend am Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover. Dann machte er eine Ausbildung zum höheren Archivdienst, die er 1989 mit der Archivarischen Staatsprüfung abschloss. Im selben Jahr wurde er Archivar des Landkreises Rottweil – und dies sollte nicht nur seine erste, sondern wohl auch seine letzte Stelle als Archivar sein.
Doch es war nicht für ihn ein Anfang. Sondern er war auch der erste Kreisarchivar des Landkreises. Sein Vorgänger, der vor sechs Jahren verstorbene Egon Rieble, hatte den Titel „Kulturreferent“, und er verstand sich auch als solcher. Archivarbeit lief eher nebenbei. Das hat sich geändert: Bernhard Rüths Amtsbezeichnung war erst Kreisarchivar und Kulturreferent, dann Leiter des Bereichs Archiv, Kultur, Tourismus im Landratsamt. Diese drei anspruchsvollen Bereiche musste er natürlich nicht, wie seinerzeit Egon Rieble, alleine beackern. Sein Amt, eine „Stabsstelle“ (also nicht mehr „Amt“), besteht aus zwölf Beschäftigten, „engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, ein einsatzbereites und leistungsfähiges Team“. Das Kreisarchiv ist der Kristallisationspunkt der Kulturarbeit – „Modell Kreisarchiv plus“. „Im Landkreis Rottweil habe ich günstige Voraussetzungen für aktive Kulturarbeit angetroffen“, lobt Rüth: Kulturinteressierte Bevölkerungskreise, eine hoch aktive Kulturszene, aufgeschlossene Kreisräte und Landrat.
Das war wohl der fruchtbare Boden, auf dem die Kulturarbeit aufblühte. Dazu „Vernetzung als Erfolgsrezept“, wie er es selbst nennt Denn: Kulturarbeit funktioniert nicht im Alleingang. Aktive Kulturarbeit auf Kreisebene erfordert Kooperationsbereitschaft mit Städten und Gemeinden, mit Vereinen, Vereinigungen und Verbänden und insbesondere mit Kulturschaffenden“. Kurz: „Kontaktpflege ist das A und O der Kulturarbeit“.
So konnte gelingen, was die heutige Kultur im Kreis ausmacht. Also nicht nur in der Kreisstadt Rottweil. Sondern dezentral. Das Wilhelm-Kimmich-Museum in Lauterbach. Die von ihm initiiert Kunstschule „Kreisel“ mit Sitz in Oberndorf. Das Schloss Glatt mit seiner Galerie, deren Leiter er seit 2001 ist. Den Aufbau der Kunstsammlung des Landkreises kann sich Rüth auf seine Fahnen schreiben – rund 780 Einzelwerke und Werkgruppen sind da zusammengekommen. Von Null auf 780, sozusagen. Rüth hat an die 100 Ausstellungen zu Kunst und Kultur in der Region konzipiert, organisiert und präsentiert. Nicht zu vergessen die musikalischen Aktivitäten wie die Opernfestspiele im Schloss Glatt und die Konzertreihe „Dreiklang“. Stop – man könnte jetzt weitermachen, könnte die 90 Publikationen erwähnen, an deren Rüth mitgewirkt oder die er herausgegeben hat. Nein, gezählt hat er sie nicht – so viele Nennungen bekommt, wer auf der Seite der Landesbibliographie den Namen Rüth eingibt.
Ein wichtiges Anliegen war ihm auch, eine Landkreis-Identität zu schaffen, schließlich kamen hier Orte aus Württemberg, Baden und Hohenzollern zusammen (und vor Napoleon auch politisch die heute noch lebendige Reichsstadt-Identität).
Das alles erforderte vollen persönlichen Einsatz. „Meine Arbeit war nicht um 16, 18 oder 20 Uhr beendet“, berichtet er, und die Woche nicht am Freitag. Nicht 24/7 natürlich, aber voller Einsatz auch außerhalb der regulären Dienstzeiten.
Verstärkung erfuhr er durch seine Ehefrau Ingeborg, „meine wichtigste ehrenamtliche Mitarbeiterin“, die, selbst Germanistin und Historikerin, nicht nur Publikationen erstellt hat – „sie hat mich auch geerdet.“ Unter anderem ist sie Archivarin der VSAN, der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte. Die beiden wohnen in Flözlingen, dem württembergischen Dorf, und haben zwei Kinder.
An der Auswahl seines Nachfolgers hat Rüth auch mitgewirkt, nämlich bei der Vorauswahl der drei Kandidaten, die dem Kreistag vorgestellt wurden. Nachdem sich einer zurückgezogen hat, wurde von den Räten der Leiter des Stockacher Stadtmuseums und –archivs, der 40-jährige Johannes Waldschütz, gewählt. Er wird im April sein Amt antreten.
Nun also hat Rüth, trotz seiner Ehrenämter, mehr Zeit als bisher. Unter anderem für ein Hobby: „Ich sehe mich als Büchermensch“, verriet er. Und entsprechend war auch seine erste Aktivität im Ruhestand eine Fahrt nach Stuttgart – in die Württembergische Landesbibliothek.