Stadtarchivar Carsten Kohlmann (rechts) führte über den Schramberger friedhof. Foto: dk
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Am vergangenen Freitag lud der Museums- und Geschichtsverein Schramberg zu einer Friedhofsführung mit Stadtarchivar Carsten Kohlmann ein, die trotz des heißen Wetters regen Anklang fand. Nach einem kurzen Grußwort durch ein Ausschussmitglied startete der Referent nicht auf dem Friedhof, sondern begab sich mit der Gruppe zuerst zum Paradiesplatz. Warum?








Dort befindet sich das Gebäude Tiersteinstraße 2. Dieses baute die Witwe des Rotgerbers Martin Hils, nachdem sie ihr ehemaliges Wohngebäude an die Stadt verkaufte, damit diese ein neues Rathausgebäude errichten konnte. In der Tiersteinstraße 2 befand sich einst eine Blumen-Halle der Familie Scholz, also quasi „der Tisso in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg“, wie Kohlmann scherzte.

Steinmetz Schaub

Auf dem Rückweg zum Friedhof machte der Historiker noch auf das abgerissene Gebäude des Steinmetzmeisters Cajetan Schaub (1864-1943) aufmerksam, der etliche Grabsteine auf dem Friedhof hergestellt hat. Auch sein Sohn Karl und sein Enkel Siegfried, der zuletzt auch noch Narrenlarven schnitzte, waren in diesem Betrieb über drei Generationen aktiv und auch in der Fasnet nicht wegzudenken.

Durch Fotos der alten Grabsteine, die Siegfried Schaub dem Stadtarchiv übergeben hat, sind manche so noch erhalten geblieben, auch wenn sie nicht mehr auf dem Friedhof zu finden sind. Der Schramberger Friedhof sei ohnehin fotografisch kaum überliefert, wie Carsten Kohlmann erwähnte. Von den Bildern waren einige als Beispiel für repräsentative Familiengräber an der Friedhofskapelle angebracht worden.

Interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer. Foto: dk

Test durch Biss in Zeh

Als es um den Leichenschauer Fuss ging, erzählte eine Teilnehmerin, dass dieser „jedem in den Zäh gebissen” hätte, um zu prüfen, “ob er auch tot ist.“ Dies sorgte für großes Gelächter unter den Anwesenden.

Zur Friedhofsgeschichte erläuterte Kohlmann, dass der Stadtteil früher den Namen Hummelberg trug, der Weg jedoch immer schon Tierstein geheißen habe. Mit dem Neubau der katholischen Stadtpfarrkirche zu Beginn der 1840er Jahre musste ein Großteil des ehemaligen Gottesackers weichen, von dessen Steinen einige in der Friedhofsmauer wiederzufinden sind.

Früher bestatteten die Gläubigen ihre Toten nämlich in unmittelbarer Nähe zum Altar mit der Reliquie des Schutzpatrons, da dieser beim jüngsten Gericht Fürsprache für die Verstorbenen einlegen sollte. Doch nicht nur der Neubau der Kirche, sondern auch gesetzliche Bestimmungen zur Hygiene verlangten nach einer Verlegung des Friedhofes, da der Marktflecken durch die Industrie rasch zur Stadt aufstieg.

Friedhof am Hummelberg

Die Entscheidung fiel für den Hummelberg, da dieser noch recht unbebaut war. 1872/74 erweiterte die Stadt den Friedhof, und nach dem 2. Weltkrieg entstand der Waldfriedhof als weitere Erweiterung. Von der ursprünglichen Friedhofskapelle ist nur noch eine Abbildung erhalten, die heutige hat Otto Ernst Schweizer (1890-1965) entworfen. In den 1990er Jahren sammelte Siegfried Schaub Spenden für eine kleine Glocke.

Auf dem Weg weiter hinauf meinte Stadtarchivar Carsten Kohlmann, dass „auf einem Friedhof nichts bleibt, wie es ist“ und verwies hierbei auf abgegangene Grabsteine. Wenn es keine Familienangehörigen mehr gibt und die Ruhezeit abgelaufen ist, dann wird das Grab geräumt. Hierbei sind schon viele Gräber, die von gesellschaftlich-kulturellem Wert gewesen wären, abgegangen, wie beispielsweise das Grab des ersten Bürgermeisters der Nachkriegszeit, Christian Beiter (1908-1979).

Welche Gräber erhalten?

Es sei sehr schwierig für eine Stadt zu entscheiden, welches Grab erhaltenswert ist und welches nicht. Deshalb habe er sich als Stadtarchivar eingeschaltet, um solche Gräber dauerhaft für die Nachwelt zu erhalten, was im Beispiel des Familiengrabes „Pappendeckel-Maier“ auch funktioniert habe.

Vor allem der Familienangehörige Professor Karl Friedrich Maier (1905-1993) sei hierbei entscheidend gewesen, da er Nationalökonomie lehrte und gleichzeitig das Familienunternehmen in der Schiltachstraße weiterführte. Er war Wegbereiter der Wirtschaftsreform und weiterhin ein Verfechter der deutsch-französischen Annäherung. Sein Grab stellt das einzige Denkmal an ihn dar und ist daher von Bedeutung für die Stadt. Außerdem bildet das Familiengrab die Stützmauer des Hanges und ist nicht ohne weiteres wegzudenken.

Die Gräber der Familie Junghans

Kohlmann führte auch noch weitere Gräber an, die erhalten werden und auf einem eigens dafür vorgesehenen Teil des Friedhofes künftig Platz finden sollen. In jedem Fall hat der Gemeinderat die Entscheidungsgewalt zum Erhalt auf der Grundlage eines umfangreichen Gutachtens. Das Grab der Familie Erhard Junghans (1849-1923) wird derzeit noch von seiner Ururenkelin Renate Junghans in Stuttgart gepflegt, doch wer kümmert sich nach ihr um das für die Stadtgeschichte bedeutende Grab?

Dieses müsste dereinst von der Stadt übernommen und gepflegt werden. Auch das Grab seines Vaters Erhard (1823-1870) und seiner Mutter Luise Tobler (1820-1910) hat eine Veränderung erfahren, da einst eine abgebrochene Säule an den mitten im Leben verschiedenen Ehemann und Vater erinnerte.

Erst mit dem Tod seiner Frau entstand ein repräsentatives Familiengrab, das einer Unternehmerfamilie würdig ist und mit dem Zusatz als erste Uhrenfabrik im Schwarzwald nach amerikanischem System produziert zu haben, versehen worden ist, was nicht ohne Protest anderer Uhrenfabriken blieb. Die ursprüngliche Säule ist auf Initiative des Nachfahren Thomas Poller nun wieder rekonstruiert worden.

Das Grab von Erhard Junghans. Foto: dk

Ein Friedhof als Erinnerungsort

Die Bedeutung eines Friedhofes reicht jedoch über „genealogische Quellen“ hinaus, so Carsten Kohlmann, denn „sie erinnern an Menschen und man ist froh, dass man sie gekannt hat“. Deshalb verweilten die Anwesenden auch am Grab von Erich Maier (1930-2021), der das Stadtarchiv in seinem Ruhestand leitete. Weiter sagte Kohlmann, dass ein Grab wie ein offenes Geschichtsbuch sei.

Die Feuerbestattung kam erst Ende des 19. Jahrhunderts auf und war ein Produkt der sozialen Arbeiterbewegung. „In Erdgräbern liegen gute Katholiken und die Protestanten, Roten und Braunen sind in der Niesche“, überspitzte Carsten Kohlmann. „Baumbegräbnisse sieht man an vielen Stellen des Schramberger Friedhofs“, wie die Anwesenden durch Schilder an Bäumen wahrnahmen.

Kriegerdenkmal und “erste Reihe”

Als nächstes führte Kohlmann die Teilnehmenden zum Kriegerdenkmal. Dieses sei „ein Ehrenmal ohne Pathos, ohne verklärtes Heldentum in sehr neutraler und sachlicher Weise“. Neben den Tafeln der Kriegsgefallenen beider Weltkriege und den Muschelkalksteinkreuzen befindet sich weiter oben ein Bereich, der an die Bombenopfer vom 21. März 1945 erinnert. Außerdem findet an dieser Stelle der Volkstrauertag statt, doch „die Gedenkkultur sei verklungen“, so Kohlmann.

Die Führung endete bei den „Gräbern in erster Reihe“ namentlich den Firmenfamiliengräbern Schweizer, Kern sowie den Ehrenbürgern Ursula Plake (1919-1999) und Dr. Konstantin Hank (1907-1977). Der anschließende Applaus sprach für sich, und alle waren sich einig, dass eine weitere Führung mit dem Schwerpunkt auf dem Waldfriedhof folgen solle.

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David Kuhner (*2002) geboren in Rottweil und aufgewachsen in Schramberg. Nach dem Abitur am Gymnasium Schramberg im Jahr 2020 absolvierte er ein FSJK im Stadtarchiv und Stadtmuseum Schramberg. Sein großes Interesse gilt der Lokalgeschichte seines Heimatortes Schramberg. Seit dem Wintersemester 2021/22 studiert er an der Eberhard Karls Universität Tübingen Geschichtswissenschaft im Hauptfach und katholische Theologie im Nebenfach.