
Rottweil. Zu einer ganz besonderen Filmpräsentation hatte der Film Club am Donnerstag ins Central Kino geladen: Regisseur Lars Kraume, vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem deutschen Filmpreis – der Goldenen Lola – und dem Grimme-Preis, war eigens aus Berlin angereist, um den zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauern im Kino Rede und Antwort zu stehen, nachdem sein Film „Der vermessene Mensch“ dort vorgeführt worden war. Eine weitere Vorstellung ist am Freitag, 30. Juni, geplant.
Ein Gastbeitrag von Nicole Zeiler
Der Film, der bei der diesjährigen Berlinale seine Premiere erlebt hat und auch beim Deutschen Filmpreis nominiert war, greift ein Kapitel der deutschen Geschichte auf, das lange vergessen war, nun aber – Stichwort Benin-Bronzen – eine ganz neue Aktualität erhalten hat: Deutschland als Kolonialmacht, nicht zuletzt im südlichen Afrika, dem heutigen Namibia.
Der Regisseur schilderte die mühevolle Entstehungsgeschichte des Films, für den er insgesamt acht Drehbuchfassungen geschrieben hat. Immer wieder stellte er sich die Frage, wie man aus der heutigen Sicht und aus deutscher Perspektive den Vernichtungskrieg der kaiserlichen Truppen erzählen kann.
Jahrelange Recherchen in deutschen Archiven und vor Ort in Namibia gingen der eigentlichen Drehbucharbeit voraus. Schließlich entschied sich Kraume dafür, keinen Militärangehörigen, sondern einen jungen Ethnologen in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen – anders als in Uwe Timms Roman „Morenga“, der eine Inspirationsquelle für den Film war.
Dies erlaubte, Rassentheorien, die um die Jahrhundertwende auch in Wissenschaftskreisen en vogue waren, heute jedoch längst widerlegt sind, zu thematisieren. Der Film zeigt, wie rücksichtslos umfangreiche Sammlungen in Deutschland entstanden, nicht nur von Kunstgegenständen, sondern auch von menschlichen Schädeln und Skeletten.
Ob diese Grausamkeiten überhaupt von einem deutschen Regisseur in Szene gesetzt werden dürfen, ist eine Frage, die gerade in Zeiten von Wokeness und der Diskussion um kulturelle Aneignung vehement gestellt wird. So erging es auch Lars Kraume bei zahlreichen Publikumsgesprächen, die er nach der Festivalpremiere absolvierte. Realistischerweise, so Kraume, wäre der Film anders nicht zustande gekommen, denn eine Filmindustrie existiert in Namibia nicht. Dadurch, dass der Film überhaupt gedreht wurde, konnte das Thema der deutschen Kolonialvergangenheit, die in Deutschland ja weitestgehend vergessen ist, einer breiteren Öffentlichkeit nahe gebracht werden.
In Namibia, wo Kraume seinen Film selbstverständlich auch vorgestellt hat, stieß der Film auf sehr großes Interesse und überwiegend auf positive Resonanz. So auch etwa bei Nachkommen kaiserlicher Soldaten, die während ihrer Militärzeit in Afrika Kinder gezeugt hatten.
Diese Menschen, denen man ihre Abkunft ansieht, sind heute vielfach Opfer von Diskriminierung.
Auf die Frage, ob er nicht versucht gewesen sei, eine Liebesgeschichte zwischen dem jungen deutschen Ethnologen Alexander und der Herero-Dolmetscherin Kezia in die Story einzubauen, antwortete der Regisseur, dass er dies in einer der acht Drehbuchfassungen tatsächlich auch versucht hat, habe, dass er sich aber letztlich dagegen entschieden habe. Ein klassisches Happy End wäre den geschichtlichen Ereignissen gegenüber nicht angemessen gewesen.
Zum Schluss plädierte Kraume für eine offizielle Entschuldigung Deutschlands – idealerweise durch den Bundespräsidenten – für die Grausamkeiten, die kaiserliche Truppen im südlichen Afrika angerichtet haben. Nur so könnten seiner Ansicht nach die immer noch vorhandenen Wunden geheilt werden.
Andreas Schreitmüller, der den Regisseur zum Filmclub-Abend eingeladen hatte und das Gespräch moderierte, dankte Lars Kraume abschließend dafür, dass er die weite Reise von Berlin eigens für diese Vorführung auf sich genommen hatte – trotz des aktuellen Schienenersatzverkehrs.
Info: Eine weitere Vorstellung des Films ist am Freitag, 30. Juni, um 20.30 Uhr im Central-Kino Rottweil geplant.