(Meinung). Drei Tage, zwei Nächte, nicht viel mehr als 48 Stunden lang war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Rottweil – und er hat in dieser kurzen Zeit die Stadt ein wenig verändert. Er hat ihre Menschen bewegt, hat viele zum Lächeln, einige zum Lachen gebracht. Er hat Nähe hergestellt. Wer hätte das gedacht, dass in diesen Post-Pandemiemaßnahmen-Zeiten ausgerechnet ein Berliner Politiker so viel Freude verbreiten kann?
Bilder von Begegnungen sollten während der „Ortszeit Deutschland“ entstehen, eine Bilderflut der Bürgernähe ist es tatsächlich geworden. Fotos von strahlenden Menschen, die einem nahbaren Steinmeier begegnet sind. Ungezählte Videos und Selfies.
Jungs, gerade volljährig, die „Hallo Herr Steinmeier“ sagen, ganz höflich. „Dürfen wir ein Foto mit Ihnen machen?“ Etwas nervös. „Klar“, antwortet der Gefragte und hinterlässt zwei gelöste junge Leute, die zu ihren Freunden flitzen, breit strahlend, erzählen, dass sie „es wirklich gemacht“, sich getraut haben. Später werden sie zugeben müssen: Es war gar nicht so schwer.

Den Bundespräsidenten ansprechen, das trauen sich noch andere. Der Pfleger Simon Steinwandel, etwa. Er passt Steinmeier kurz nach dem Verlassen des Hotels noch in der zugigen Kameralamtsgasse ab. Nähert sich ihm durch die Entourage aus Sicherheitsleuten und Begleitern durch. Und Steinmeier konzentriert sich darauf, was der Mann zu sagen hat. Thema: Pflegenotstand, die prekären Bedingungen, unter denen Pflegende arbeiten müssen.
Der Bundespräsident tut, was man von ihm erhofft, was man aber sicher nicht mit dieser Hingabe erwartet hat: Er hört zu. Er hört einfach zu. Dann bringt er den einen oder anderen zusammenfassenden Satz an, hat offenbar verstanden. Und hört wieder zu. Die Tour über den Wochenmarkt, der Termin mit der Narrenzunft, die können warten. Steinwandel wird Steinmeier noch weiter begleiten, mit Abstand. Scheint ein wenig gefesselt von dem Mann.
Auf seinem Weg durch die Stadt kommt das Staatsoberhaupt immer nur ein oder zwei Meter voran, dann warten bereits wieder Menschen auf ihn. Eine Gruppe aus einem Kindergarten in Wellendingen. Eine Rollstuhlfahrerin. Menschen, Menschen, Menschen. Manche wollen ein Foto mit ihm, andere ein Autogramm, eine Buchsignatur, viele wollen ihm auch etwas sagen. Er beugt sich zu allen hin. Kommt näher als all seine Begleiterinnen und Begleiter. Er ist ganz nah und hört zu. Hat in diesem Moment jeweils scheinbar unendlich Zeit. Und er schaut den Menschen ins Gesicht, in die Augen, widmet sich ihnen. Auch sein knalliges „Hallo!“, das er mal hierhin, mal dorthin pfeffert, hat jeweils ein zuvor ausgemachtes Ziel. Das ist nicht so dahingeworfen. Kommt ein Spruch zurück, dann hat Steinmeier eine passende Replik parat.


Außerhalb dieser offiziellen Termine und angekündigten Rundgänge: spätabendlicher Hock mit Wirt Gotthard Silberer am Stammtisch im „Rädle“, wo sie am Abend zuvor noch gewitzelt haben, „Du, Gotthard, morgen kommt der Bundespräsident“, nichts ahnend, dass der tatsächlich auftauchen würde, völlig unangemeldet. Frühmorgendlicher Besuch auf dem Wochenmarkt, noch in Jeans und T-Shirt. Brezelbacken bei Bäcker Mink. Um die Mittagszeit ins „Schweizer Lädele“ abbiegen, zuvor in den „Buch Greuter“, einfach so. Aus Interesse. Er sorgt damit jeweils für das Tagesgespräch in den besuchten Betrieben.
Die Wege, die der Bundespräsident nimmt – abseits der geplanten Routen entscheidet er sich spontan, ist von seinen Begleitern zu hören. Der Nase nach, zu den Menschen hin. Das ist weder gestellt noch geplant.
Steinmeier beweist: Er ist ein Menschenfreund. „So verstellen kann man sich nicht“, urteilen einige. „Das kann man nicht spielen“, sagen andere. Sein Lächeln, sein Lachen sind echt. Und das offenkundig stundenlang. Er gibt augenscheinlich nicht nur vor, sich zu interessieren, er interessiert sich wirklich.
Klar ist auch: Was ihm alles auf den Weg gegeben wird, das kann er vielleicht mitnehmen, das kann sein künftiges Tun beeinflussen, aber wirklich verändern wird er wenig. Man scheint ihm jedoch vertrauen zu können, dass er die eine oder andere Sorge, das eine oder andere Anliegen tatsächlich weitertragen wird an einen Adressaten. Auch das unterscheidet diesen Kleinstadt-Besuch des Bundespolitikers etwa von einem Wahlkampfauftritt.
Für alles andere gibt es eine Visitenkarte einer seiner Mitarbeiterinnen, die diese gerne den Bürgerinnen und Bürgern aushändigt. Mögen sie ihre Wünsche noch einmal schriftlich einreichen, bitte.
Das können auch die Vertreter der regionalen Querdenker-Szene tun. Die nun als die Verlierer dieses Besuchs des Bundespräsidenten gelten müssen. Mit einem ihrer Sprecher, mit Günther Stronczek, hat Steinmeier sich auf dem Wochenmarkt unterhalten. Hat auch ihm zugehört. Und hat ihn zur „Kaffeetafel kontrovers“ eingeladen, zu Kaffee und Kuchen und Sahne ins „Johanniterbad“ am selben Tag. Der Mann, er hat zuletzt die Montags-Spaziergänge als Demonstrationen angemeldet, sagt zu. Um dann einen Rückzieher zu machen, kurzfristig. Begründung: Er misstraue den Medien, die an der Kaffeerunde beteiligt sind, heißt es aus dem Bundespräsidialamt.
Eine ehrliche Einladung ausschlagen, das kann man machen. Doch derselbe Mann steht nur wenige Stunden später, gegen 19 Uhr, vor dem Alten Rathaus und wiegelt eine Masse aus 370 Demonstranten auf, ihre Anliegen möge man bis nach Berlin hören. Ob er gemerkt hat, wie er sich und seine Bewegung mit diesem Verhalten weiter isoliert? Wie sich die ganze Bewegung isoliert? Eine Bewegung, die noch immer Diktatur wittert, einen Polizeistaat, korrupte Politiker – und die sich doch frei durch die Stadt bewegen kann, trommelnd, pfeifend, krakeelend. Und die Polizei beobachtet sie nur, greift allenfalls lenkend ein, wenn sie bei ihrem Spaziergang falsch abzubiegen, von der vereinbarten Strecke abzuweichen drohen.
Steinmeier jedenfalls ist nachhaltig verärgert von diesem Verhalten.
Man kann nicht nur querdenken. Man muss auch mal mitdenken. Und vielleicht sogar umdenken. Sonst gehört man eines Tages zu den neuen Ewiggestrigen.


Aber apropos Polizei. Manche waren erstaunt darüber, was für ein Aufwand für den Bundespräsidenten betrieben wird. Der Johannserort, in dem sein Hotel liegt, gehörte an diesen drei Tagen wohl zu den am besten gesicherten und überwachten Bereichen der Republik. Vor allem am Mittwochabend sah man viele Beamte des Polizeipräsidiums Einsatz, viele Streifen- und Mannschaftswagen. Sprengstoffspürhunde. Und eine Drohne über der Stadt. „Wer zahlt das alles?“, fragte da ein Rottweiler Bürger sorgenvoll.
Dazu ein Beobachter der Szenerie, reif an Jahren: „Die Beamten würden ihr Geld auch bekommen, wenn sie gerade nicht in Rottweil, sondern woanders im Einsatz wären“, sagte er lächelnd. Das wäre geklärt. Und übrigens: Die Beamten, ob vom BKA für den Bundespräsidenten, vom LKA für den Ministerpräsidenten, vom Polizeipräsidium Einsatz oder vom örtlichen Revier und der Motorrad-, der Hubschrauber- und der Hundestaffel haben einen klasse Job gemacht. Immer im richtigen Maß.



Ein Fazit: Dieser kurze, aber intensive Besuch hat sicher beiden schöne Bilder, gute Erinnerungen, wichtige Begegnungen gebracht: dem Bundespräsidenten sowie Rottweil und seinen Bürgerinnen und Bürgern. Ein ganz besonderes Ereignis, das ganz besonders gelungen ist. Auch aus Sicht der Einsatzkräfte seitens der Polizei.
Nun, an diesem Donnerstagmittag, können wir sagen: „Auf Wiedersehen, Herr Steinmeier.“ Und: „Schön, dass Sie da waren. Man mag oder muss politisch nicht mit allem übereinstimmen, was Sie vertreten, aber Ihre Menschlichkeit hat gutgetan.“

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