Wo gibt es das schon: Sieben unterschiedlichste Beteiligte bringen all ihre Interessen in einem einzigen Projekt unter. Zur Zufriedenheit aller, ohne, dass einer von ihnen einen Kompromiss eingehen müsste. Zur Zufriedenheit fast aller – Meckerer gibt es immer. In diesem speziellen Fall aber sind sie außen vor. Außenstehende.
Diesen Sieben hilft das:
- Sozialdezernent Bernd Hamann vom Landratsamt Rottweil, händeringend auf der Suche nach Wohnraum, bekommt Platz für 70 auf einen Schlag. Er muss keine Unruhe vor Ort befürchten, denn …
- … die Nachbarn – Beteiligte Nummer zwei – bieten die Unterkunft selbst an. Sie bestimmen damit die Zukunft des leer stehenden Gebäudes selbst, was ihr Antrieb ist. Sie müssen keinen auswärtigen Investoren befürchten, der Was-auch-immer aus dem Gebäude macht. Den Bürgern zurechnen kann man vielleicht die Vertreter des Ortschaftsrats mit ihrem Vorsteher Walter Keller, die das Vorhaben befürworten.
- Oberbürgermeister Ralf Broß – als Vertreter der Stadtverwaltung Beteiligter Nummer drei bei diesem Projekt – kann den Zeitpunkt, zu dem eine Sporthalle belegt werden muss, weiter hinaus zögern. Auch er hat 70 Plätze auf einen Schlag bekommen in einem Gebäude, das eigentlich der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gehört. Den Gemeinderat hat er im Boot.
- Diese Rottweiler AWO – Beteiligte Nummer vier – mit ihrem Geschäftsführer Peter Hirsch hat ihr seit April 2013 leer stehendes Gebäude, für das sie aufkommen muss, es aber nicht mehr nutzen kann und möchte, endlich los. Dass die künftige Nutzung sich mit ihren unternehmerischen Zielen deckt, ist ein schöner Nebeneffekt.
- Die Landesregierung in Stuttgart ist Beteiligte Nummer fünf. Vereinfacht gesagt, benötigt auch sie Unterkünfte für Flüchtlinge, vor Ort wickeln die Landratsämter das ab. In diesem Falle aber geht es um Frauen und Kinder aus Kriegsgebieten, weswegen die Landesregierung ein besonderes Interesse hat, diese unterzubringen. Bestenfalls, wenn auch bei Bedarf vor Ort die Möglichkeit einer therapeutischen Begleitung besteht, heißt es von Seiten der Landesregierung. Therapeutische Begleitung – bei diesem Stichwort horchte Bernd Pfaff, Fachbereichskleiter in Rottweil, auf. Dafür gibt es Profis in der Stadt: im Vinzenz-von-Paul-Hospital. Pfaff brachte Profis und Platz zusammen: 70 Frauen und Kinder in Vaihingerhof, laut OB Broß “in absehbarer Zeit” weitere 100 Frauen und Kinder im ehemaligen Spital mit ambulanter Betreuung nach Bedarf vor Ort – damit nimmt Rottweil der Landesregierung eine ganze Menge ab.
- Christine Hamp von Geno-Immobilien – Beteiligte Nummer sechs – hat den “Schafstall” in Vaihingerhof aus dem Angebot, hat ihn erfolgreich vermitteln können. 60 Besichtigungen waren notwendig, mit Interessenten teils aus der Schweiz, zwei Bieter gab es am Ende, zum Zug kommen die Bürger, der Verkauf läuft aber dennoch über das Immobilienunternehmen.
- Und schließlich die Flüchtlinge – Beteiligte Nummer sieben. Hier geht es um besondere Flüchtlinge: um Frauen und Kinder aus umkämpften Gebieten. Um Frauen und Kinder, die wie bei einer Schiffskatastrophe zuerst gerettet werden, aus einer humanitären Verpflichtung heraus. Sie sind keine Balkanroutenwanderer, sie werden spätestens am 15. Dezember per Flieger in Stuttgart eintreffen, im Rahmen des Hilfsprogramms ausgeflogen aus einem Kriegsgebiet. Sie werden ein sicheres, ruhiges Zuhause für eine Übergangszeit – Flüchtlingskoordinator Hamann schätzt für zwei bis drei Jahre – vorfinden, ein aufnahme- und hilfsbereites Umfeld. Und wenn ihnen der Vaihingerhof doch zu abgelegen ist, gibt es ein Alternativangebot mit derselben Betreuung in einem Gebäude des ehemaligen Spitals mitten in Rottweil, dem Vinzenz-von-Paul-Hospital sei Dank.
Das ist ein richtig rundes Angebot. Kreisrund, ohne eine einzige erkennbare Delle. Selbst die betroffenen Bürger stehen dahinter, nehmen eigenes Geld in die Hand, um die Flüchtlingsbetreuung vozufinanzieren. Nehmen damit auch wieder Geld ein, wie ihr Sprecher Paul Seifriz erklärte, und erwirtschaften sich so die Grundlage für ein selbstbestimmtes Folgeprojekt in zwei, drei Jahren.
Unglaublich, aber das scheint mitten in Deutschland möglich.
Da müssten den Meckerern eigentlich die Argumente ausgehen. Doch: Natürlich gibt es immer noch Meckerer. Sie finden sich etwa auf Facebook zusammen und verurteilen das Projekt an sich – meist, ohne die Details zu kennen. Und teils holen sie aus: Den Flüchtlingen werde das Geld in den Hintern geblasen, an die Obdachlosen, beispielsweise, denke niemand.
Zitat: “Für mich unvorstellbar 😕 es ist ja alles recht und gut wenn man hilft…aber hat sich einmal jemand Gedanken über die eigenen Leute gemacht? Jetzt kommt der Winter und wir haben genügend Obdachlose Wann hat man sich jemals so den Arsch auf gut deutsch aufgerissen für die eigenen Leute????? Nie …weil die eigenen gehn alle am Arsch vorbei
Und dann wundert sich jeder warum der Hass immer größer wird.”
Unabhängig davon, dass sich bis vor ein paar Wochen niemand um die Obdachlosen geschert hat, hinkt der Vergleich. Gerade die Arbeiterwohlfahrt und die örtlichen Kirchen haben schon sehr lange gute und genutzte Angebote für Nicht-Sesshafte und Hilfsbedürftige. Und in Hamburg, wo sie der Frage nachgegangen sind, hat sich heraus gestellt, dass selbst hiesige Obdachlose betreten schweigen, wenn sie sich eines der Massenquartiere für Flüchtlinge mal selbst angeschaut haben. So wollten auch sie nicht leben. Oder die Wohnungen: Etwas mehr als vier Quadratmeter, eine Fläche von rund zwei mal zwei Metern, wird einem Flüchtling zugestanden. Kaum ein anderer Mensch lebt in Mitteleuropa so. In einem Haus, das der Rottweiler Stadtkapelle zu klein ist, werden bald 35 Flüchtlinge untergebracht. Diese kommen nicht für einen Abend zum proben. Diese werden dort leben.
Deshalb wäre es jetzt an der Zeit, einfach mal zu schweigen. Mindestens, die Meckerei einzustellen. Es wäre an der Zeit, hinzuschauen, wie sich das Projekt in Vaihingerhof entwickelt. Und gegebenenfalls, sich selbst einzubringen, denn der Zeitplan ist sehr ehrgeizig. Bis 15. Dezember muss alles bereit sein, spätestens.