Der Tod des beliebten und erfahrenen Bürgermeisters von Rottweil, Werner Guhl, hinterlässt Leere und macht zutiefst betroffen. Die Stadt ist nicht anders, nicht leiser als sonst, doch es stimmt: Eine Persönlichkeit wurde aus unserer Mitte gerissen. Gelegenheit, Werner Guhl persönlich zu danken, blieb uns leider keine. Was bleibt, ist Trauer.

Vom Alten Rathaus weht sachte die Rottweiler Flagge. An ihr befestigt: der Trauerflor. Werner Guhl ist tot. Das Unerwartete und beinahe Unfassbare ist geschehen. Die Stadt hat seit Sonntag fast nur ein Thema und viele Menschen wissen noch nicht, wie sie sich diesem annähern sollen. Schock, Unglaube, Trauer. Wahrhaftig empfunden.
Rottweil hat nicht einfach einen städtischen Mitarbeiter verloren. Bei allem Respekt gegenüber den Lebenden: Rottweil hat den wichtigsten Mitarbeiter verloren. Denjenigen, der die Stadt und ihre Menschen kannte, als hätte er sie aufgebaut und als wären sie seine Familie. Denjenigen, der unermüdlich tatsächlich für ihr Wohl kämpfte oder jedenfalls das, was er dafür hielt: für Schuldenfreiheit und zuletzt für die Projekte Gefängnis, Aufzugtestturm, Kulturjugendherberge. Guhl gilt als eine und war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt. Als Finanzbürgermeister und Fachbereichsleiter hatte er immer alle wichtigen Positionen des städtischen Haushaltes fast bis auf den Cent genau im Kopf. Er war aufs Beste in der Stadt und darüber hinaus vernetzt.
Die Stadt hat denjenigen verloren, der für alles und jeden Verständnis und ein offenes Ohr — und eine Lösung hatte. Eine schnelle und zufriedenstellende. Wer eine Beschwerde zu etwas vorzubringen hatte, das die Verwaltung betraf, und wer das namentlich und direkt tat, der hatte sofort eine Antwort oder, noch häufiger, ein Lösungsangebot. Den kurzen Dienstweg beschritt Werner Guhl als Bürgermeister am liebsten. Eine geharnischte Mail eines zornigen Bürgers — nichts konnte Werner Guhl schneller zum Telefonhörer greifen und die Dinge regeln lassen. Zur Zufriedenheit des Bürgers, wenn irgendwie möglich.
Guhl konnte Schwäbisch und er verstand die Menschen hier. Er fand die richtigen Worte für fast jeden. Schwer mit ihm hatte es allenfalls jemand, der ihm nicht zuhörte und seine Argumente ignorierte. Beratungsresistente Menschen strengten Guhl an. Manchmal zeigte er ihnen das.
Guhl war begeisternder, bestens vorbereiteter Redner. Nicht nur bei seinen Haushaltsreden, auch etwa 2013 in Brugg sorgte er mit seiner Sicht von Freundschaft und Verbindungen zwischen den beiden Partnerstädten für große Begeisterung. Die Aargauer Zeitung notierte: „Donnernder Applaus für eine mitreissende Rede.”

Werner Guhl hatte Humor. Wie oft rettete er die Situation in langen Gemeinderatssitzungen, platzierte mit schlafwandlerischer Sicherheit ein kleines Späßchen, ohne jemals das Thema aus den Augen zu verlieren. Seine Auffassungsgabe: pfeilschnell. Seine Reaktionszeit: denkbar kurz. Seine Antworten: oft von Ironie geprägt, gerne auch gegenüber sich selbst. Seine Ansprüche an sich und seine Mitmenschen: hoch. Seine Gesprächspartner mussten hellwach sein, um ihm folgen zu können.
Nicht selten war daher durchaus auch ein Hauch von Enttäuschung sichtbar, wenn ihm klar wurde, dass sein Gegenüber sich gerade nicht die Mühe machte, die er sich zu machen jederzeit bereit war. Guhl konnte dann auch lauter, ungeduldig werden. Sein Tempo war herausfordernd, nicht jeder konnte das mitgehen. Das Leben aber — zu kurz für zuviel Zögerlichkeit. Vor allem, wenn doch längst klar war, was der richtige nächste Schritt ist. Das Ziel immer im Blick.
Rottweil hat sehr von seinem Bürgermeister profitiert. Wobei „sehr“ ein viel zu klein gefasstes Wort ist. Rottweil hat beinahe unermesslich von Werner Guhl profitiert. Ein selbstloser Macher, ein unermüdlicher Schaffer, der Respekt und Anerkennung schätzte, der aber nie ins Rampenlicht wollte, lieber knapp daneben stehen.
Die Repräsentationspflichten überließ Werner Guhl gerne anderen, Thomas J. Engeser und Ralf Broß. Ersetzt hätte er die beiden Oberbürgermeister nur im Notfall — der mit Engeser nach dessen unglücklichem Diskussionsbeitrag in der Gefängnisdebatte seinerzeit für Guhl allerdings eingetreten schien, seien wir ehrlich. Guhls Gedanken hörten erst in dem Moment auf, um den Oberbürgermeistersessel zu kreisen, als Kandidat Broß auf der Bildfläche erschien. Guhl hat dann immer wieder versichert: Bürgermeister sei ein Traumjob (inklusive Schofseggelzulage, wie er gerne grinsend sagte), Oberbürgermeister müsse er nicht sein.
Doch war Guhl für ein paar Wochen so etwas wie Oberbürgermeister. Der beste Rottweiler OB, den sich die Menschen in Rottweils Partnerstadt L’Aquila in der Zeit der Not wünschen konnten. Denn er war derjenige, der sofort wieder eine Lösung parat hatte, und diese kraftvoll und erfolgreich umsetzte. Er organisierte einen Hilfskonvoi mit Decken und Zelten, zudem eine finanzielle Soforthilfe in der von ihm als Bürgermeister nur mit der Zustimmung der Fraktionssprecher im Gemeinderat zu verantwortenden Höhe. Zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2009 war der scheidende Oberbürgermeister mit sich selbst beschäftigt, der kommende noch nicht da. Aber Werner Guhl war da. Das war wohl der Glanzpunkt in seiner Karriere.
Seither galt Werner Guhl als über fast jeden Zweifel erhaben — und das nicht, weil er nicht mehr beobachtet worden wäre. Aber er machte einfach alles richtig. Und wenn Fehler passierten, dann wusste Guhl auch den Weg aus dem Schlamassel. Ein echter Verwaltungsprofi. Einer, der nur mäßig politisch und diplomatisch sein wollte, einer, der dafür viel zu direkt, ehrlich, geradlinig und zielorientiert war und handelte.
Gerade machte er sich wieder auf, zu kämpfen — um die neue Feuerwache am beschlossenen Standort. Eine erneute Diskussion darüber, die wollte er nicht zulassen. Er wollte, dass wenigstens die Mehrheit im Gemeinderat den begonnenen Weg fortsetzt. Die Mehrheit, die reichte ihm, ein paar Kritiker hätten Kritiker bleiben dürfen, keinesfalls aber Verhinderer.

In der Karriere Guhls gab es viele Glanzpunkte, die genau zu definieren nun aber schwer fällt. So, wie es sich für einen am Projekterfolg interessierten Strippenzieher gehört, hat Werner Guhl darauf geachtet, dass die Dinge den richtigen Weg nehmen — hin zum Testturm, zum Gefängnis, für das er die finale Bewerbung gemeinsam mit Oberbürgermeister Ralf Broß nach Stuttgart brachte, hin zur Kulturjugendherberge, zur schuldenfreien Stadt, zur dauerhaft beständigen Schulstadt, zum attraktiven Wohnstandort. Werner Guhl hat aber aktiv nie den Erfolg eingeheimst. War nie daran interessiert, auch als der zu erscheinen, der er tatsächlich war. Das Lob konnte er anderen überlassen, das durften andere einstreichen.
So trifft das ironische Zitat Werner Guhls eigentlich nicht: dass es ihm egal sei, wer unter ihm Oberbürgermeister ist. Das hat Guhl so gesagt, aber nicht so gemeint. Broß und Engeser waren nie unter ihm. Beide hat Guhl schalten und walten, bestimmen und gestalten lassen. Er hat sicher versucht, deren Weg mitzubestimmen, hat sie auf ihrem Weg aber nach Kräften unterstützt. Guhl genoss es, wenn er einer Diskussion den entscheidenden Beitrag zuliefern konnte, aber er konnte auch Steigbügelhalter sein. Er konnte den Pass spielen, den der andere dann einfach noch verwandeln musste. Er ertrug es, dafür anschließend nicht gelobt zu werden, nicht auf der Scorer-Liste aufzutauchen.
Unzulänglichkeiten regten ihn auf, er konnte sie aber zulassen, wenn es sein musste. Und er konnte Entscheidungen, die er für falsch hielt, etwa des Gemeinderats, mittragen, wenn sie dann doch entgegen seinem Rat gefallen waren. Er wusste zwar später noch, dass er gewarnt hatte, er rutschte aber nie in die Rechthaberei ab. Das hatte er einfach nicht nötig.
Doch wenn ein entscheidender Mitarbeiter der Stadtverwaltung in seinen Augen zur Belastung wurde, dann konnte Guhl eingreifen. Er tat dies in wenigstens einem Falle und schaffte damit ein Problem aus der Rottweiler Welt. Typisch Werner Guhl: Das geschah im Hintergrund. Das bekam kaum einer mit.
Bei allem beruflichen Erfolg, der ihm eine Art Star-Appeal in Rottweil verschaffte, blieb Guhl immer bürgernah und leutselig. Er genoss es sichtlich, auch im Mittelpunkt oder nahe diesem zu stehen, hatte aber immer für alle ein paar Worte. Ein wenig wie ein Pfarrer ohne den moralischen Überbau. Mehr einfach so. Im genau richtigen Ton.
Was nun besonders tragisch ist an Werner Guhls allzu frühem Tod — außer, dass die Stadt einen humorvollen, intelligenten, informierten Gestalter verloren hat: Wenn ein Macher geht, dann bleibt zwangsläufig ein Vakuum. Wer unersetzlich ist, kann schwerlich nur ersetzt werden. Wer alle Zusammenhänge kennt und ein System nach seinen Vorstellungen geformt hat, hinterlässt Sprachlosigkeit und Unwissen. Rottweil konnte sich immer auf seinen Bürgermeister verlassen — und nun? Auf wen jetzt? Ein fähiger Nachfolger ist, jedenfalls auf den ersten Blick, nicht in Sicht. Und der Mann auf Position eins ist ausgelastet.
Der König ist tot, lang lebe der König — dieser Satz gilt nur für die Nummer eins und damit nicht für Werner Guhl. Rottweil ist ohne Guhl an sich nicht denkbar. War es bis Sonntag nicht. Muss es jetzt gedacht werden.
Auch das Quartett der Fachbereichsleiter, alles fähige Leute, mit ihrem Gruppenersten Werner Guhl: zerrissen. Das Bindeglied zum Oberbürgermeister fehlt. Das Team steht ohne seinen wichtigsten Spieler da. Die Mannschaft müsste sich zurückziehen, sammeln, neu aufstellen, kann sich aber keine Pause gönnen.
Das führt zu dem Schluss, dass Werner Guhl nie hätte sterben dürfen. In einem Buch, einem Film hätte man das dem Autoren, dem Regisseur nicht verziehen. Der Tod reißt immer lieb gewonnene, unersetzbare Menschen aus unserer Mitte, bei Werner Guhl trifft dies aber ein wenig umfänglicher zu. Die Betroffenheit, die dieser Tod auslöst, ist deshalb umso größer.

Und das Schlimmste, vielleicht: Keiner konnte ihm persönlich sagen, was er schon längst so sehr verdient gehabt hatte: Vielen Dank für alles, Werner Guhl. Was bleibt, ist ein Kondolenzbuch. Das ist nicht leicht zu ertragen.
Vielen Dank für diesen Artikel. Kann ich 100% zustimmen.