KREIS ROTTWEIL, 29. Oktober – Nach nur zehn Monaten macht die mit Freude begrüßte Deißlinger Hausarztpraxis Dr. Steffen wieder zu. Der Arzt schrieb offenbar rote Zahlen. Das teilte Deißlingens Bürgermeister Ralf Ulbrich am Mittwoch mit. Bereits zum 1. November ist Schluss. Gegenüber der NRWZ erklärt Ulbrich die Situation zur ‘Bauchlandung’. Doch angesichts der niedrigen Zahl an Patienten, die tatsächlich die Praxis aufgesucht hätten, sei nur noch die schnelle Notbremsung geblieben, so der Schultes weiter. Als hauptverantwortlich für das Problem sieht der Bürgermeister die zu lange Übergangsfrist zwischen der Schließung der Vorgängerpraxis und der Eröffnung der Dr. Steffens.
Im Januar dieses Jahres ist mit großem Engagement der Gemeinde Deißlingen eine neue Hausarztpraxis in der Pfarrer-Huber-Straße eröffnet worden’, berichtet Ulbrich. ‘Nach nunmehr zehn Monaten Betriebszeit zeigt sich, dass diese Praxis entgegen allen Erwartungen nicht wirtschaftlich betrieben werden kann.’ Der Arzt, Dr. Wolfgang Steffen, sehe sich gezwungen, seine Praxis zu schließen.
Das bezeichnet Ulbrich als ‘unerfreuliche Entwicklung sowohl aus ärztlicher Sicht als auch aus Sicht der Gemeinde.’ Deißlingen ist für diese Arztpraxis – die dritte in der Gemeinde – mit einer Summe von knapp einer Viertelmillion Euro in Vorleistung gegangen, erklärt Ulbrich auf Nachfrage der NRWZ. ‘Wir sind Eigentümer des Gebäudes und der Vermieter von Dr. Steffen’, so der Bürgermeister. Mit diesem Schritt habe die Gemeinde versucht, die Versorgungslücke zu schließen, die es nach Ansicht von Experten gegeben habe – diese rechneten mit einem Arzt pro 1500 Einwohnern. Deißlingen hat 6000 und sollte deshalb vier Ärzte tragen, so die Einschätzung. Eine der beiden bestehenden Praxen ist eine Gemeinschaftspraxis mit zwei Ärzten, rechnerisch stimmte also alles.
Doch war die Zeit wohl zu lang zwischen der Schließung der Vorgängerpraxis und der Eröffnung der neuen, glaubt Ulbrich. Immerhin knapp fünf Jahre. ‘Die Patienten haben sich in dieser Zeit einen anderen Hausarzt gesucht’, erklärt Ulbrich. Den hätten sie dann nicht aufgegeben. So hatte die Praxis Dr. Steffen offenbar nicht mal die Hälfte der Patienten, die sie brauchte, um profitabel arbeiten zu können. Deshalb auch die schnelle Schließung jetzt und nicht etwa ein Ausharren und Hoffen bis zum Jahresende. Es habe sich auch nicht abgezeichnet, dass sich an der Situation etwas ändern könne, so der Bürgermeister, der zudem erklärt, von Dr. Steffen während der zehn Monate immer informiert worden zu sein über die schlechte Entwicklung.
Steffen selbst teilt mit, dass er die medizinische Versorgung in seiner Praxis in Deißlingen zum Ende dieser Woche beenden wolle, er aber weiterhin in seiner Praxis in der Rottweiler Helios-Klinik zur Verfügung stehe. Die Patienten der Praxis werden morgen Post bekommen und somit von ihm per Brief über die kurzfristig anstehende Schließung informiert werden.
Ulbrich ärgert sich einerseits über die Entwicklung, das wird im Gespräch mit der NRWZ deutlich. Er warnt aber auch davor, dass das Problem durchaus auf andere Lebens- und Dienstleistungsbereiche übertragbar sei. ‘Ein Tante-Emma-Laden kann nicht davon leben, dass ich nur geschwind die anderswo vergessene Butter bei ihm einkaufe’, umschreibt Ulbrich das Problem. Die Deißlinger sollten auch darüber nachdenken, wo sie welche Dienstleistung in Anspruch nehmen, fordert er. ‘Wenn alle nach Rottweil fahren’, sagt er, dann sterbe Deißlingen langsam aus.
Dass die Gemeinde mit ihrem Engagement für eine weitere Arztpraxis eine Bauchlandung hingelegt habe, gibt Ulbrich unumwunden zu. Er geht sogar noch weiter: ‘Ich glaube nicht, dass wir nach dieser Entwicklung nochmal einen Arzt für diese Praxis werden finden können.’ Dennoch wolle die Gemeinde die Praxisräume, die ihr gehören, nun nicht überstürzt abstoßen. Es gelte, wieder gemeinsam mit dem Gemeinderat zu überlegen, wie es weiter gehen solle.
Für die Praxis in der Pfarrer-Huber-Straße hatte Deißlingen neben den Räumlichkeiten auch die Einrichtung gestellt, die Möbel. Dr. Steffen musste nach Darstellung des Bürgermeisters nur das medizinische Gerät mitbringen. Auch sei die Miete niedrig angesetzt gewesen, so Ulbrich. Dennoch langte es hinten und vorne nicht.
Für die Zukunft nimmt der Bürgermeister mit, dass es ‘verdammt schwer ist, für den ländlichen Raum einen Arzt zu finden’ – anderen Gemeinden gehe es schließlich genauso. Die Verhandlungen mit Dr. Steffen hätten sich über mehrere Monate hin gezogen, bis sich beide Seiten einig gewesen seien und der Arzt das Experiment gewagt habe. Ulbrich kündigt auch an, im Falle einer anstehenden Schließung einer der beiden verbliebenen Hausarztpraxen in Lauffen und Deißlingen – etwa altershalber – früher aktiv werden zu wollen um keine jahrelange Lücke mehr entstehen zu lassen.