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„„Er wollte uns halt reinlegen““, Veröffentlicht: Dienstag, 4. August 2020, 9.00 Uhr

„Er wollte uns halt reinlegen“

Seit vielen Jahren erscheinen – auch in der NRWZ – Anzeigen von „Spillermedic-Labor für Klinische Radionik in Villingen: „Was tun – wenn’s im Bauch zwickt und nichts hilft“ steht da. Wolfgang Spiller erklärt in der Anzeige, Ursache könnte eine „maskierte Lebensmittelunverträglichkeit“ oder ein „durch Erreger belastetes Immunsystem“ sein. Solchen Ursachen komme er mittels eines speziellen Testprogrammes auf die Spur. Er gebe „eine darauf aufbauende individuelle Therapieempfehlung“. In einem Spillermedic-Prospekt heißt es: „Zur Analyse benötigen wir einen Tropfen Blut.“

Anzeige in der NRWZ vom 18. April 2018.

Gelesen hat die Anzeige der Oberndorfer Allgemeinmediziner Dr. Klaus Müller. Beim Begriff „Radionik“ wird der Arzt im Ruhestand misstrauisch. In Wikipedia heißt es zur Radionik, es handle sich um eine „wissenschaftlich nicht belegte Heilmethode“, erfunden hatte sie um 1920  der Pathologe Albert Abrams. Die „American Medical Association“ habe Abrams deshalb den  „dean of twentieth century charlatans“, also den Dekan der Quacksalber des 20. Jahrhunderts genannt.

Skeptische Fragen

Die NRWZ ruft die Telefonnummer von Spillermedic in Villingen an. Es meldet sich eine Mitarbeiterin. Gefragt, ob es möglich wäre, einmal vorbeizuschauen und eine solche Radionik-Untersuchung  zu beobachten, weicht die Mitarbeiterin aus. Sie werde den Wunsch weitergeben und dann werde ich Bescheid bekommen. Ob ich wegen des Dr. Müller aus Oberndorf anriefe? Und eines Berichtes in einer Oberndorfer Tageszeitung?, fragt sie schließlich. Ja, auch, aber ich wollte mich eben bei Wolfgang Spiller direkt über seine Methode informieren, antworte ich ihr.

Der Test

Der Schulmediziner Müller hatte nämlich nach eigenen Angaben die Probe aufs Exempel gemacht und sich zwei Testsets schicken lassen. Kosten: je 77,35 Euro. Im Mai 2018 hatte er im Namen seiner Frau und im Juli 2018 im eigenen Namen den ausführlichen Fragebogen des „Labors für Radionik“ ausgefüllt.

Für sich selbst hatte Klaus Müller Fragen zu seinen Beschwerden nach seinen Worten so beantwortet: „Kreuzschmerzen nach langem Bücken und Sodbrennen.“ Und das habe er schon „seit etlichen Jahren“. Müller nennt in der „Vertrauliche(n) Patienteninformation für die Anforderung-Radionische Komplettanalyse“, die Medikamente, die er nimmt, berichtet von den Impfungen, die er erhalten, und welche Krankheiten er schon durchgemacht hat. Ähnlich verfuhr er bei seiner Frau.

Beide Male hat Müller das Testset für den Blutstropfen geöffnet und den jeweils erforderlichen „Blutstropfen“ mitgeschickt. Allerdings habe er für seine Frau das Blut eines Schweins, „den uns der Metzger unseres Vertrauens zur Verfügung stellte“, gewählt, wie er sagt. Der zweite rote Tropfen, der für ihn selbst, fand sich im Badezimmer, sagt er: Nagellack. Am 21. Juli 2018 geht auch dieses Set ab nach Villingen.

Das Bluttropfentestset. Quelle: Homepage Spillermedic

 

Rückruf aus Villingen bei der NRWZ, es meldet sich die Mitarbeiterin von vorhin. Ich bitte sie um ihren Namen. Sie sei Frau Spiller, Beate Spiller. Seit 31 Jahren arbeite sie zusammen mit ihrem Mann in der Praxis. Wenn ich mich über ihre Arbeit und die Radionik informieren wolle, dann solle ich doch ein Buch darüber lesen. Sie geht an ein Regal und holt den Wälzer: „Radionik und die beseelte Welt“ von Werner Kosmus. Wenn ich das gelesen hätte, wüsste ich Bescheid. Das Buch hat 516 Seiten. Amazon sagt: „Das Buch ist derzeit nicht verfügbar.“

Ich frage also weiter, wie das denn mit den Blutstropfen und der Analyse funktioniere. Ob man den Tropfen unter dem Mikroskop untersuche oder in ein Laborgerät stecke, das müsste ich mir doch mal anschauen können. Beate Spiller in Villingen windet sich: „Für uns ist die Radionik ein diagnostisches Hilfsmittel.“

Software  im Hintergrund

Es gehe dabei nicht um eine chemische Analyse. Früher habe man das Blut noch direkt untersucht, heute gehe das maschinell. „Das ist ein computerisiertes Verfahren mit einer bestimmten Software“, erläutert die Co-Chefin von Spillermedic. „Unsere Software hat ein Physiker entwickelt“, berichtet sie, aber sie wisse auch nicht, „welche Hintergrunddinge da passieren“.

Der Software des Physikers muss jedenfalls verborgen geblieben sein, dass die Testblutstropfen nicht aus Frau und Herrn Müllers Adern, sondern von einem Schwein und aus einem Nagellackfläschchen stammten. Dennoch hat der Computer sehr detaillierte Angaben zum  vielfältigen Krankheitsbild der „Patienten Müller“ ausgeworfen. Beide Analysen sind im Aufbau gleich. Nehmen wir der Einfachheit halber nur die „Nagellackprobe“ für Dr. Müller.

Mit Datum vom 25. Juli 2018 erhält Klaus Müller seine „Komplettanalyse“: Als mögliche Ursachen für seine Funktionsstörungen stellt Wolfgang Spiller unter anderem fest: „allergische Reaktionslage, maskierte Nahrungsmittelunverträglichkeit, infekttoxische Belastung, Störfeldbelastung.“

In einer Tabelle hält er das Verhältnis der TH1- zu TH2-Zellen fest.

Auszug aus der Analyse für Klaus Müller.

Er diagnostiziert eine mögliche Belastung des Leber-Galle-Systems. Auch stellt er eine „immunologisch reaktivierte chronisch virale Belastung“ durch das Epstein-Barr-Virus fest.

Es folgt eine Auflistung von Lebensmitteln, die Dr. Müller während einer dreimonatigen Therapie meiden sollte. Am Ende schreibt Spiller: „Mit den unter Punkt 1 aufgeführten Funktionsstörungen können wir Fehlregulationen des Stoffwechsels und die Grundbelastungen Ihres Immunsystems erkennen.“ In der folgenden Therapieempfehlung biete er „in einem einzigartigen Konzept unter Mithilfe Ihres Therapeuten, die Möglichkeit, die gestörten Funktionssysteme Ihres Organismus nebenwirkungsfrei zu regulieren und Ihr Wohlbefinden zu verbessern“.

Medikamente per Zentraleinkauf

Es  folgt eine lange Liste von Medikamenten für die „Immunmodulation“ und eine Basentherapie. Auch bietet Spiller seinem Patienten an, die Medikamente zentral über mehrere Apotheken zu beschaffen. „Dadurch wird die Medikation für Sie günstiger.“

Klaus Müller hakt nach

Dr. Müller verzichtet auf eine Sammelbestellung. Vielmehr bittet er Wolfgang Spiller um eine Erklärung, denn auf Spillers Rechnung vom 25. Juli 2018  sind vermerkt: „Blutstatus“, „einfache mikroskopische Untersuchung“ und „aufwendiges Chemogramm von 28 Mineralien, toxischen und Spurenelementen“.

Hätte das tatsächlich stattgefunden, hätte Spiller doch der Schwindel mit dem Schwein, zumindest aber mit dem  Nagellack auffallen müssen?

Spillers Erklärung in einer  Mail, wonach seine Analyse auf dem „Core Inergetix System“ beruhe, keine ärztliche Diagnose ersetze und keine klinischen Befunde erhebe, überzeugt Dr. Müller nicht.

Er fordert Heilpraktiker Spiller auf, ihm doch die „genauen Analysewerte, beziffert und mit Maßeinheiten“ zu schicken.

…und so sieht das Gerät wohl aus. Foto aus einem Katalog im internet

Der antwortet laut einer Mail an Müller kurz und knapp: „Da eine radionische Blutanalyse versicherungstechnisch nicht anerkannt wird, verschicken wir bei Privatpatienten sogenannte ‚Analogziffern‘“. Er werde Klaus Müller gern eine korrigierte Rechnung schicken, die dieser dann aber wohl nicht erstattet bekomme.

Nachdem Dr. Müller die zweite Rechnung nicht bezahlt hatte, erhielt er Ende August 2018 eine Mahnung. Er ruft Spiller in Villingen an, hält ihm vor, dass das ganze doch „Betrug“ sei, wenn er den „Bluff“ nicht erkenne und aus einem Tropfen Nagellack eine „allergische Reaktionslage, maskierte Nahrungsmittelunverträglichkeit, Organbelastung- schwäche“ und so weiter analysiere. Dr. Müller spottet: „Der Nagellack erhielt die Empfehlung während der vorgeschlagenen dreimonatigen komplexen medikamentösen Therapie folgendes zu meiden: Milch und Milchprodukte, Fleisch (außer Geflügel und Fisch), Zucker, Alkohol….“

„Das Gerät ist nicht darauf ausgelegt“

Wie das denn sein könne, dass Spillermedic weder beim Schweineblut noch beim Nagellack den Bluff bemerkt hat, frage ich wiederum Beate Spiller. „Das Gerät ist nicht darauf ausgelegt“, so ihre Erklärung. Und: „Wir machen diese Testungen schon seit 15 Jahren.“

Ich frage noch mal, wie die Proben untersucht werden. „Es wird nicht unters Mikroskop gelegt oder chemisch untersucht“, so Beate Spiller. Im Übrigen wisse man ja gar nicht, ob es wirklich Nagellack und Schweineblut war, was der Doktor Müller da geschickt habe. Das System liefere Informationen, die vor dem Hintergrund der Angaben des Patienten über sein Beschwerdebild bei Spillermedic ausgewertet würden. Daraus würde eine Therapieempfehlung entwickelt. „Das Denken nimmt uns das System nicht ab.“ Auch brauche es gar nicht unbedingt einen Blutstropfen, bei Tieren genügten Haare oder Fell.

Dr. Müller findet das Verhalten der Spillers unverantwortlich, deren Arbeit entbehre „jeder wissenschaftlichen Grundlage“, ja, das Ganze sei ein offensichtlicher „Betrug“, erklärt er. Und: „Einer eventuellen Klage wegen Verleumdung sehe ich gelassen entgegen.“ So seine Sicht der Dinge, die NRWZ kann das nur wiedergeben.

Die Klage kam nicht. Auch keine weitere Mahnung. Bei seinem damaligen Gespräch mit Spiller habe dieser zur Frage der unbezahlten Rechnung gesagt, „dann lassen Sie es halt“, erzählt Dr. Müller und lacht.

„Die Patienten interessiert nicht, wie wir zu unseren Ergebnissen kommen.“

An Beate Spiller prallt die Kritik des Schulmediziners Müller ab: Nach drei Monaten machten sie bei ihren Patienten Kontrolluntersuchungen, und die meisten würden Verbesserungen angeben. „Die Rückmeldungen geben uns recht, auch wenn wir unwissenschaftliche Methoden anwenden. Die Patienten interessiert nicht, wie wir zu unseren Ergebnissen kommen.“

Zum Schweineblut- und Nagellacktest meint Beate Spiller: „Der gute Dr. Müller wollte uns halt hereinlegen.“ Ihr Mann und sie seien inzwischen in einem Alter, in dem sie mit der Praxis aufhören könnten. Das würde sie aber sehr schmerzen. Denn die Arbeit für die Patienten machten sie „mit Herzblut.“

 

 

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