An den Hagelfliegern scheiden sich die Geister: Auch in unserer Redaktion. Moni Marcel hat die Hagelflieger vom Donaueschingen besucht und ist von deren Arbeit überzeugt. Martin Himmelheber hat sich unter anderem mit einem erfahrenen Hobbyflieger unterhalten, der sagt, in eine Gewitterwolke zu fliegen, sei viel zu gefährlich. Lesen und entscheiden Sie selbst.

Silberjodid-Generatoren für die “Wolkenimpfung” Quelle: Hagelabwehr Rosenheim / Tegernseer Stimme
„Wir können das beweisen”
Autorin: Moni Marcel
Am 21. Juli erreichte den Verein für Hagelabwehr in Schwenningen ein Schreiben aus Villingendorf: „Da hätten wir Villingendorfer den Einsatz eines Hagelfliegers gebraucht, denn mit ungeheurer Wucht fegte ein Hagelgewitter über die Raumschaft Rottweil-Nord und Villingendorf und hinterließ durch den grobkörnigen Hagel viele Schäden.” Heinz Messner und Peter Hellstern, die dem Verein angehören, der den Hagelflieger in Donaueschingen betreibt, freut das schon. Denn sie warten seit langem darauf, dass auch der Kreis Rottweil einsteigt – Deißlingen ist die einzige Gemeinde im Landkreis, die pro Bürger und Jahr einen Euro an den Hagelfliegerverein zahlt. Und damit auch angeflogen wird, wenn Gewitter im Anzug sind.
Auf einem riesigen Bildschirm zeigen Messner und Hellstern die Wetterkarten, die sie vom DWD nach langen Verhandlungen bekommen haben. Denn mit denen möchten sie beweisen, was hierzulande noch arg umstritten ist: Dass das in die Wolken geimpfte Silberjodid tatsächlich hilft, Hagel zu vermeiden. Neue Forschungen bestätigen das, „wir können das beweisen”, so Peter Hellstern. So hat sich die Hochschule Furtwangen (HFU)mit dem Thema befasst und anhand dieser Wetteraufzeichungen belegt: Wo der Flieger vor die Gewitterwolken einen Teppich aus Silberjodid gelegt hat, sind die abgeregnet, der Boden kühlte ab, es gab weniger Thermik und die gefährlichen Wolken lösten sich auf. Die Wetterfilme, die Hellstern in seiner Schwenninger Firma abspielt, zeigen das. Man sieht die Schleifen, die der Hagelflieger machte, die roten, gelben und grünen Kreise, die die Hagelwolken symbolisieren, und die sich tatsächlich hinter den Schleifen auflösen. Und das immer wieder, Hellstern hat viele dieser Aufzeichungen.
Noch mehr Beweise? Die beiden erzählen gern von den Olympischen Spielen in Moskau und Peking: Der strahlend blaue Himmel über den Paraden ist Silberjodid-Impfungen zu verdanken. Im Weizengürtel der USA, in North Dakota, sind es längst die Versicherungen, die die Hagelflieger mitfinanzieren, nach Millionenschäden durch Hagel. Auch Daimler lässt den Hagelflieger des Rems-Murr-Kreises kommen, um seine im Freien geparkten Neuwagen zu schützen. Ebenso Rosenheim, das sich einen kommunalen Hagelflieger leistet und seitdem keine schweren Schäden mehr hatte. Auch die Kreise Schwarzwald-Baar und Tuttlingen haben seit dem Einsatz des Fliegers 2010 keine Hagelschäden mehr zu verzeichnen.
Trossingen und Villingen-Schwenningen waren schwer getroffen nach dem großen Hagel vom Juni 2006, und so entstand dann auch die Idee des Hagelfliegers, doch es war und ist ein schwerer Kampf für den Verein, den Einsatz jedes Jahr zu finanzieren. Einzig die Gothaer Versicherung unterstützt das Projekt von Anfang an. Erst jetzt spendierte Vorstandsvorsitzender Dr. Christoph Lohmann 5000 Euro, weitere 5000 sind zugesagt. „Vorbeugen ist besser als heilen”, sagt Lohmann, seine Versicherung hat allein 2016 über 18 Millionen Euro für Hagelschäden ausgezahlt. Die anderen Versicherungen zögern.
Hellstern vermutet gar, dass sie gar nicht an vorbeugenden Maßnahmen interessiert sind. Man erhöhe eben die Prämien, wenn es mal wieder größere Schäden gebe. Oder versichere Risikogebiete einfach nicht mehr. Dabei könnte man, sind Messner und Hellstern überzeugt, mit drei Fliegern, in Donaueschingen stationiert, die Region vom Schwarzwald bis Stuttgart schützen. „Wir hätten den schweren Hagel in der Region Reutlingen verhindern können”, ist sich Hellstern sicher.
Am 28. Juli zog ein schweres Gewitter den Neckar hinauf und sorgte für Schäden in Höhe von 3,6 Milliarden – Rekord in Deutschland. Aus Schaden wird man klug, zumindest teilweise: 2015 stieg Reutlingen in die Hagelabwehr ein, ein zweites Flugzeug in Donaueschingen flog jetzt los, wenn Gewitterwolken den Neckar aufwärts zogen. Doch das Geld fehlt, der Flieger steht nun in Stuttgart und kann nur noch diesen Monat fliegen, dann ist Ebbe in der Kasse. Ein Problem, das auch die Schwenninger haben, sie sehen die Hagelabwehr als Aufgabe der Landkreise. „Das ist eine Sache für den Katastrophenschutz.” Das könne nicht dauerhaft von Ehrenamtlichen getragen werden. Sie hoffen daher, dass die neuen Erkenntnisse der HFU überzeugen. Etwa die Verantwortlichen im Landkreis Rottweil.
”Sinnloser Quatsch”
Autor: Martin Himmelheber
Für den Erfolg der Hagelfliegerei gibt es keinerlei wissenschaftlichen Beweis. Darin sind sich die meisten Wetterforscher einig. Einer der prominentesten und heftigsten Gegner der Hagelflieger ist Jörg Kachelmann. In einem „Spiegel”-Interview aus dem Jahr 2014 sprach er von „Wahnsinn”, der in Deutschland um sich greife: „Politiker, die dafür Steuergelder verplempern, müssten haftbar gemacht werden.” Er spricht davon, dass Winzer in den USA und Frankreich auf diesen „sinnlosen Quatsch” verzichteten, weil er nachweislich nicht funktioniere.
Kachelmann bezweifelt, dass die Hagelflieger tatsächlich in die Nähe der Hagelzellen flögen. Das sei viel zu gefährlich. Auch der erfahrene Hobbypilot Stefan Link aus Schramberg sieht die Hagelfliegerei kritisch: „Vor oder unter einer Gewitterwolke rumfliegen, ist sehr gefährlich”, sagt Link. „Nicht umsonst machen große Airliner einen großen Bogen um die Gewitterwolken.” Er kann sich auch ganz praktisch nicht vorstellen, wie die Impfung funktionieren soll: „Eine große Gewitterzelle hat oft Tausende Tonnen Wasser in sich, da bringt eine Impfung mit ein paar Kilogramm Silberjodid meiner Meinung nach recht wenig.”
Schließlich fragt Link, wie der Hagelflieger entscheiden soll, welche Zelle wird geimpft? „Bei Gewitterlagen gibt es oft sehr viele Gewitterzellen.”

Bis heute gibt es keine wissenschaftliche Studie, die den Erfolg der Hagelfliegerei belegen würde. Das gerne zitierte Papier aus der Fachhochschule Furtwangen ist eine bessere Hausarbeit eines Studenten, der die verschiedenen Berichte zur Hagelfliegerei zusammenfasst, aber keine eigenen Forschungsergebnisse präsentiert. Die immer wieder herangezogenen Erfolge bei den Olympischen Spielen von Peking erweisen sich bei näherer Betrachtung als Märchen. In Peking seien zwar hunderte Bauern bereit gestanden, um Regenwolken zu beschießen. Es habe auch tatsächlich nicht geregnet: „Aber es hatte sich auch kein Wölkchen blicken lassen”, so die Welt am 7. Mai 2010. Und weiter: Beim G‑8-Gipfel in St. Petersburg 2006 wollten russische Metereologen Wolken mittels Silberjodid-Impfung zum Abregnen bringen, am Ende standen die Politiker im Wolkenbruch.
Das Beispiel North Dakota erweist sich ebenfalls als wenig überzeugend. Von Kachelmann gefragt, wie das denn sei mit den Erfolgen der Hagelflieger, antwortete der „National Weather Service” aus Bismarck, ND: „Unglücklicherweise fehlt es an wissenschaftlichen Untersuchungen auf diesem Gebiet.” Die offizielle Regierungswebseite schreibt, man habe „keine negativen Einflüsse” durch die Hagelfliegerei festgestellt. Na, immerhin. Ein Großversuch von Wissenschaftlern aus der Schweiz, Frankreich und Italien in der Schweiz zwischen 1977 bis 1981 ergab, dass es statistisch keinen Unterschied bei den Hagelzellen gab, ob sie nun geimpft oder nicht geimpft waren.
Auch das Argument, es habe keine größeren Hagelschäden gegeben, seit die Hagelflieger starten, sei Humbug, findet Jörg Kachelmann: Ein Gewitter mit großem Hagel an einem bestimmten Ort in der Baar komme im Schnitt nur alle 15 bis 20 Jahre vor. Da sei es also ganz normal, dass es eine Weile Villingen-Schwenningen nicht getroffen habe. Kachelmann im Südkurier: „Mit der gleichen Logik des Hagelflieger-Blödsinns könnten auch Leute Geld machen, indem sie behaupten, eine Maschine gegen Weltuntergang erfunden zu haben. Jeden Morgen protzen: Seht her, wieder kein Weltuntergang!”