SCHENKENZELL (him) – Mit Anekdoten garnierten Anti-Atomkraft-Veteranen einen Film- und Diskussionsabend um das in den 70er Jahren geplante Atomkraftwerk bei Wyhl am Kaiserstuhl. Im Schenkhaus in Schenkenzell hatte sich – auf Anregung von Hans-Kurt Rennig – ein überwiegend älteres Publikum versammelt, um über den Widerstand und die Hintergründe mehr zu erfahren.
Hausherr Harald im Spring hieß unter anderem Hans Weide willkommen, einen pensionierten Polizeihauptkommissar, der bei der zweiten geplanten Platzräumung den Befehl verweigerte und auf Umwegen einen massiven Polizeieinsatz verhindert hat.
Der Vorsitzende der Bürgerinitiative Weisweil, Kurt Schmidt, berichtete über das Archiv der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen, das inzwischen bei Historikern auf großes Interesse stoße. Bernd Nössler, damals gerade 20 Jahre alt, erinnerte sich an seine erste Demonstration gegen das Atomkraftwerk in Fessenheim. Sein Fazit: „Die Geschichte hat uns Recht gegeben.“
In seiner Einführung berichtete Schmidt von den gigantischen Plänen der damaligen Regierungen in Europa: Von Südengland den ganzen Rhein entlang bis Norditalien war eine Industrieachse geplant. Entlang des Rheines sollten reihenweise Atomkraftwerke für billigen Strom sorgen.
Doch gleich in Breisach regte sich der Widerstand. Die Kaiserstühler Winzer befürchteten, die Nebelfahnen von den kühltürmen des Atommeilers würden ihre Weinlese gefährden. Als im elsässischen Marckolsheim eine Blei-Chemiefabrik gebaut werden sollten, kam es zur Platzbesetzung, und die Demonstranten verhinderten die Pläne eines Münchner Unternehmens erfolgreich. Auch in der Nordschweiz gab es Widerstand gegen das Atomkraftwerk Kaisersaugst. „Ohne Breisach, Marckolsheim und Kaisersaugst wäre Wyhl nicht möglich gewesen“, so Schmidt.
Der damalige Ministerpräsident Hans Filbinger, CDU, trieb die Bauplänen massiv voran, und seine Worte wonach Ende des Jahrzehnts „die Lichter im Land“ ausgehen, wenn Wyhl nicht gebaut werde, sind heute noch in allen Köpfen. Nach einer Abstimmung in Wyhl, die die Atomkraftwerk-Befürworter mit 55 Prozent für sich entschieden hatten, besetzten die Bürgerinitiativen aus vielen anderen Kaiserstuhlgemeinden, aus dem Elsass und der Schweiz den Platz im Wyhler Wald.
Mit einem massiven Polizeieinsatz am 20. Februar 1975 ließ die Landesregierung den Platz räumen. Doch nur eine Woche später gelang es den Bürgerinitiativen den Platz erneut zu besetzen. „Und diese Besetzung dauerte dann neun Monate“, so Schmidt. Damals entstand die Parole : „Nai hämmer gsait.“
Der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Lothar Späth erreichte ein friedliches Ende der Platzbesetzung. Gestritten wurde nun vor Gericht. Und erst 1982 entschied der Verwaltungsgerichtshof, es könnte gebaut werden. Do da hatte die Regierung die Lust am Atomkraftwerk in Wyhl verloren.
Nach einem Dokumentarfilm über die Auseinandersetzungen um Wyhl berichtete Polizeihauptkommissar a.D. Weide von seiner Befehlsverweigerung. Er sollte, obwohl nur stellvertretender Hundertschaftsführer, gleich die gesamte Bereitschaftspolizei bei der zweiten Platzräumung führen. Er hatte zuvor Sympathie für die Bürgerinitiativen gezeigt und auf deren Seite demonstriert. Weil er fürchtete, dass dieser Polizeieinsatz noch massiver als der erste werden würde, vertraute er sich einem Pfarrer an. Dieser kannte den damaligen Landesbischof Hans Heidland gut und der hatte einen direkten Draht zu Filbinger. Und tatsächlich, etwa eine Stunde später rief Heidland den Pfarrer am Kaiserstuhl an und sagte: Ich habe beim Ministerpräsident Erfolg gehabt, er hat den Einsatz nochmal verschoben.“
Die an dieser Aktion Beteiligten hätten sich geschworen nie darüber zu sprechen, denn für ihn, den Polizeibeamten, hätte der Verstoß gegen die Amtsverschwiegenheit schwere Folgen haben können. Erst 27 Jahre später habe der Pfarrer offenbar nicht mehr dran gedacht und die Geschichte auf einer SPD-Versammlung erzählt. Es sei nicht stolz auf seine Tat, denn er sei begeisterter Polizist gewesen, aber er hätte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, wenn er damals die Polizei geführt hätte, so Weide.
Bernd Nössler berichtete, dass er damals als Bäcker in Wyhl gearbeitet habe. Ihn hätten die Ereignisse von damals geprägt. Gerade, dass die Menschen aus drei Ländern mit unterschiedlichen Systemen den Widerstand geleistet hätten, habe viel zum gegenseitigen Verständnis beigetragen. Er bedauert, dass in Wyhl selbst die Ereignisse von damals nie richtig aufgearbeitet wurden. Es gab keinen runden Tisch. “Stattdessen bis heute hasserfüllte Briefe“, wundert sich Nössler.