Gleich mehrere Krisen erschütterten 1923 die Weimarer Republik. In einer kleinen Serie geht die NRWZ der Frage nach, wie sich die dramatischen Geschehnisse vor hundert Jahren in Rottweil auswirkten und wie sie wahrgenommen wurden. Lesen Sie hier Teil Eins zu Ruhrbesetzung und Hyperinflation.
Schon zum Jahreswechsel lag Spannung in der Luft. Der zentrumsnahe „Schwarzwälder Volksfreund“ begrüßte die Rottweiler am 2. Januar 1923 mit der Überschrift „Deutschland auf der Wacht“ und erinnerte an die heikle Lage: Die junge Republik war Ende 1922 mit ihren im Versailler Vertrag festgesetzten Reparationsleistungen in Verzug geraten. Frankreich drohte daher mit Zwangsmaßnahmen – die Spannungen stiegen stetig.
Die „Schwarzwälder Bürger-Zeitung“, das von der Familie Rotschild herausgegebene in liberaler Richtung geführte Bezirksamtsblatt, hielt dagegen und schlug optimistischere Töne an: Obwohl „fernes Donnerrollen drohendes Unheil“ verkünde, solle man den Kopf nicht hängen lassen. „Den Mutigen und Hoffnungsvollen“ gehöre die Zukunft, lasen die Rottweiler dort am 2. Januar 1923.
Leider behielt der warnende „Volksfreund“ recht: Ab 11. Januar besetzten französische und belgische Truppen das gesamte Ruhrgebiet bis Dortmund. Auch die hiesigen Zeitungen ergriff der parteiübergreifende Sturm der Entrüstung, der sich daraufhin erhob.
„Bürgerzeitung“ und „Volksfreund“ informierten die Rottweiler engmaschig über die Geschehnisse im besetzen Gebiet, ebenso wie über die französischen Maßnahmen in Baden. Sie berichteten vom passiven Widerstand, von Repressionen und Gewaltexzessen der Besatzer, wie einer Beschlagnahmung am 31. März 1923 in Essen, bei der dreizehn Krupparbeiter ihr Leben verloren oder dem Gewaltausbruch in Dortmund am 11. Juni 1923, bei dem neun Menschen starben.
Beide Rottweiler Zeitungen waren stark patriotisch gestimmt. Die „Bürgerzeitung etwa sprach wiederholt von „unseren Helden im Ruhrrevier“. Bereits im Januar 1923 informierten die Zeitungen über die anlaufenden Solidaritätsaktionen: Appelle zur Unterstützung ergingen, etwa beim „Deutschen Volksopfer“ an die Bevölkerung als Ganzes. Zugleich gab es etliche Sammelaktionen, die Schulen, Firmen, Berufsgruppen und andere Vereinigungen aller Art organisierten. Am 17. Februar zog der „Volksfreund“ eine Zwischenbilanz, in der er beispielsweise für die Pulverfabrik 420.000 Euro „Ruhrspenden“ auflistete und von der „Mockerfabrik“ 69.000 Mark.

Auch die Zeitungen machten mit. So konnten die Rottweiler in den Geschäftsstellen sowohl der „Bürgerzeitung“ wie des „Volksfreunds“ Spenden abgeben. Nach der nationalen Kraftanstrengung war auch in Rottweil die Frustration groß, als im September 1923 der passive Widerstand schließlich aufgegeben wurde.
Eng mit der Ruhrbesetzung verbunden war ein anderes, für die Rottweiler zunehmend noch brisanteres Problem: eine Inflation, die zuvor unvorstellbare Ausmaße erreichte und letzten Endes jeden, der nur Geld aber keine Sachwerte besaß, wie Ernest Hemingway formulierte, zugleich zum Millionär und Bettler und machte.
Die deutsche Währung befand sich freilich schon vor der militärischen Eskalation auf einer abschüssigen Bahn. Schon um die Jahreswende waren Preiserhöhungen waren allgegenwärtig. So stimmte die „Schwarzwälder Bürgerzeitung“ die Leser am 3. Januar 1923 auf einen Anstieg der Milchpreise von 135 auf 160 Mark sowie auf 80 Prozent höhere Strompreise ein. Die Fernsprechgebühren schnellten sogar um das Neunundzwanzigfache in die Höhe.
Der Begriff Inflation war damals allerdings nicht so gebräuchlich wie heute. Maßstäbe für den Geldwert waren die Kaufkraft, die sich in den Preisen zeigte und vor allem der Wechselkurs zum US-Dollar. Über den hielten „Volksfreund“ „Bürgerzeitung“ die Rottweiler damals sehr genau informiert. Er war die Fieberkurve, auf die man gebannt starrte.

So vermeldete der „Schwarzwälder Volksfreund“ am 18. Januar 1923, dass der Dollar, der im August 1922 noch bei 1.000 Mark gelegen hatte, schon über 21.000 Mark geklettert sei. Und es brauchte nur zehn Tage, bis sich dieser Wert nochmal verdoppelte.
Der „Volksfreund“ sprach angesichts dieser Entwicklung am 7. Februar 1923 von einem „Leidensweg der Deutschen Mark“, der vor allem bestimmt wurde durch die Kosten der Ruhrbesetzung und der Widerstandsmaßnahmen. Gleichzeitig gaben Rottweil und Nachbarkommunen bereits Notgeld aus, das neben den normalen Banknoten als Zahlungsmittel genutzt wurde.
Mit zunehmender Geldentwertung wurde für viele der Alltag immer schwieriger zu bewältigen. Das wird in den Zeitungen vielfach deutlich. Es zeigte sich beispielsweise an einer Zuschrift des Vinzenz-Elisabeth-Vereins an den „Volksfreund“ vom 1. März 1923, in dem angesichts täglich steigender Not um Spenden für Arme und Kranke gebeten wurde.
Was wir heute als Hyperinflation bezeichnen, war kein gradliniger Vorgang. Die Geldentwertung spitzte sich vor allem in der zweiten Jahreshälfte zu. So vermeldete die „Bürgerzeitung“ am 7. September 1923: „Dollar über 40 Millionen!“ und berichtete, die Ausgabe von Milliardenschein stehe bevor.
Während die Zahlen auf dem Papiergeld schwindelerregende Höhen erreichten, behalf man sich, wo dies möglich war, ergänzend mit Tauschwirtschaft. So bot der „Volksfreund“ seinen „Lesern vom Lande“ an, ihr Zeitungsabonnement auch mit Naturalien zu begleichen. Pro Vierteljahr konnte man wahlweise 60 Eier, drei Pfund Speck der vier Pfund Honig abliefern.
Gestoppt wurde die Hyperinflation erst durch die Einführung der Rentenmark am 15. November 1923. Die Not in Rottweil war damals so groß, dass die Stadt im Gasthaus zur Kanne eine Suppenküche und Wärmestube einrichtete. Allmählich kam es jedoch zu einer gewissen Beruhigung. Im Dezember 1923 jedenfalls füllten sich die Anzeigenspalten in den Zeitungen deutlich. Am 20. Dezember 1923 befand der „Volksfreund“, es habe sich eine gewisse Stabilität eingestellt, die eine „Wohltat“ sei.

Nimmt man das Jahr 1923 insgesamt in den Blick, ragt die Inflation in der historischen Bedeutung weit heraus. Sie ist eine der prägendsten und folgenreichsten Entwicklungen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts gewesen. „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation“, schrieb der damals weltberühmte Schriftsteller Stefan Zweig in seinen Erinnerungen.
„Denn der Krieg, so mörderisch er gewesen, er hatte immerhin Stunden des Jubels geschenkt und Glockenläuten und Siegesfanfaren“, fuhr Zweig fort. „Und als unheilbar militärische Nation fühlte sich Deutschland durch die zeitweiligen Siege in seinem Stolze gesteigert, während es durch die Inflation sich einzig als beschmutzt, betrogen, erniedrigt empfand; eine ganze Generation hat der Deutschen Republik diese Jahre nicht vergessen und nicht verziehen und lieber seine Schlächter zurückgerufen,“ bilanzierte der Literat.

Am Ende des Jahres herrschte daher vor allem Erleichterung darüber, dass es vorbei war. Ein Redakteur des „Volksfreund“ charakterisierte das scheidende 1923 als „übeltätig“ und „bitter. In der „Bürgerzeitung“ zeigte man sich hingegen auch bei diesem Jahreswechsel als bereit zu Optimismus, lenkte den Blick auf das wieder erstarkende Licht, berichtete vom regen Treiben an der städtischen Rodelbahn bei der Öhlmühle – und wünschte ein glückliches 1924.
Info: In Teil Zwei der NRWZ-Serie geht es um die im Krisenjahr 1923 ausgefallene Fasnet.