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„„Das sind oft ganz tragische Geschichten”“, Veröffentlicht: Samstag, 10. März 2018, 8.31 Uhr

„Das sind oft ganz tragische Geschichten”

Dietmar Greuter ist seit 24 Jahren Leiter der Spittelmühle. In zwei Jahren wird er in Rente gehen, und dann übernimmt Alexander Schiem die Leitung der Obdachlosenunterkunft. Neuland betritt Schiem damit nicht: Auch er ist bereits seit 16 Jahren im Team der Einrichtung. Wir haben uns mit beiden unterhalten, über die Arbeit mit den Wohnungslosen und die Schwierigkeiten, die nicht geringer werden.

Schwierigkeiten nämlich, Wohnungen zu finden. Günstige Wohnungen. Gebaut wird allerorten, aber vergleichsweise luxuriös, wer wenig verdient, findet nichts. Sozialer Wohnungsbau? Fehlanzeige. „Es war schon immer nicht einfach, günstige Wohnungen zu finden”, sagt Alexander Schiem.

Aber jetzt hätten Randgruppen gar keine Chance mehr. „Inzwischen hat man sogar als Normalverdiener schlechte Chancen.” Verändert hat sich aber auch das Klientel der Sozialarbeiter. „Leute, die von Ort zu Ort ziehen, gibt es nur noch vereinzelt”, weiß Dietmar Greuter. Dafür umso mehr mit psychischen Problemen.

Mietschulden, vermüllte Wohnungen – die Gründe, auf der Straße zu landen, sind vielfältig. „Diese Menschen brauchen mehr Ansprache, mehr medizinische Versorgung, nicht nur ein Dach über dem Kopf.” Und es gebe mehr, die länger in der Spittelmühle blieben. Auch, weil es keine Wohnungen für sie gibt.

Seit zehn Jahren arbeitet eine Heilerziehungspflegerin mit im Team, die den Menschen auch bei der Körperpflege hilft. „Das war früher bei den Berbern nicht so ein Problem”, weiß Greuter. Oft wird es eng unten im Neckartal, vor allem im Winter. Dann müssen schon mal im Gang Feldbetten aufgeschlagen werden. „Wir haben den Anspruch, niemanden auf der Straße schlafen zu lassen”, vor allem bei Kälte und schlechtem Wetter, aber auch, weil es immer gefährlicher wird.

„Auch hier wurden schon Leute verprügelt oder mit Brandbeschleuniger übergossen.” Allerdings führt das im Haus auch wieder zu Problemen, denn oft haben diese Leute massive Alkohol- oder psychische Probleme, und das nimmt ebenfalls zu.

Für den Notfall gibt es eine Absprache mit der Stadt, dass Leute kurzfristig in der Notunterkunft am Omsdorfer Hang untergebracht werden können. „Aber das reicht im Winter oft auch nicht.” Nötig wäre, finden die beiden, eine Lösung, ein Wohncontainer beispielsweise.
Denn seit der Osterweiterung der EU kommen auch immer mehr völlig mittellose Menschen an, denen irgendwer einen, meist dubiosen, Job in Deutschland versprochen hat. Zuständig für sie ist eigentlich niemand, die Spittelmühle kümmert sich trotzdem. „Das sind doch auch nur Menschen”, sagt Alexander Schiem. Kürzlich stand eine hochschwangere Frau vor der Tür, sie kampierte mit ihrer Familie in einem Zelt an der Prim. „Das sind oft ganz tragische Geschichten.”

Dabei ist es in Rottweil noch harmlos, wie Schiem weiß. In Großstädten sei das noch viel schlimmer, und da die Ämter sich meist nicht zuständig fühlten, seien solche Menschen auf den guten Willen von Hilfsorganisationen angewiesen. Da kommen Zweifel am Sozialstaat auf: „Das ist fast wie im Mittelalter, wenn die Menschen auf freiwillige Mildtätigkeit angewiesen sind”, findet Alexander Schiem.

Er wundert sich, dass die Kommunen hier nicht längst Alarm schlagen. Mehr einfacher Wohnraum, Regelungen wie in Tuttlingen, wo, wer Mehrfamilienhäuser baut, 30 Prozent Sozialwohnungen einplanen muss, das würde man sich in der Spittelmühle auch für Rottweil wünschen.

Doch dafür scheint noch immer kein Problembewusstsein vorhanden zu sein, findet Greuter. Trotz der steigenden Zahl Wohnungsloser, darunter auch viele Jüngere, die einer geregelten Arbeit nachgehen, aber keine bezahlbare Wohnung finden. Und die sich dann per Coachsurfing bei Verwandten und Bekannten durchschlagen. Ohne feste Adresse und damit auch ohne die Chance auf Sozialleistungen. „So was gab es früher nicht”, weiß Dietmar Greuter.

 

 

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