Rottweil (gg). “Nein zum kurza Sprung.” Das prangt jetzt großflächig am Uhren-Stausschen Haus in Rottweils Innenstadt. Die Gegner des neuen Narrensprung-Verlaufs rüsten so ein bisschen auf vor der möglicherweise entscheidenden Hauptversammlung der Zunft am kommenden Freitag. Unterdessen hat sich die NRWZ unter Freunden der Fastnacht umgehört, und herausgefunden: Der “Möbelwagen” wurde abgehängt, der Narrensprung kann als “nachrangig” gelten und die Rottweiler Narren manchem als “lahmarschig.” Aber immerhin: Die Diskussion bleibt sachlich, der Ton anständig.

In ihrer Branche gilt Ulrike Stauss längst als Marketing-Expertin. Die Einzelhändlerin für Uhren und Schmuck versteht es, ihre Botschaft an die Kunden zu bringen. Jetzt setzt sie sich mit dem “Sprungtuch” an ihrer Fassade und mit selbst produzierten und verteilten Aufklebern für eine Kampagne ein, die die von der Narrenzunft beschlossene und geplante Änderung des Sprungverlaufs kippen soll. Das soll über einen Antrag an die Hauptversammlung der Narrenzunft am kommenden Freitag, 23. Januar, im Kapuziner geschehen.
Dieser Antrag liegt der Narrenzunft mit Stand Donnerstagabend nicht vor. Er muss bis Montag eingereicht werden. Dann will die Zunft ihn prüfen lassen – von Notar und Vorstandsmitglied Markus Schellhorn. Ist die Versammlung zuständig? Dann wird über den Antrag abgestimmt werden. Ist sie nicht zuständig? “Dann werde ich in meiner Eingangsrede darauf eingehen”, hat Narrenmeister Christoph Bechtold schon der NRWZ gesagt. In der Hand haben das beide nicht, Gegner oder Zunft. Denn das bestimmt die Vereinssatzung.
Derweil bleibt das Thema, wie immer man es betrachtet, auch sonst ein heikles.
Der “Möbelwagen”: abgehängt

Da ist zum Beispiel die Sache mit der Markthalle. Dem im Rottweiler Volksmund sogenannten “Möbelwagen”. Dorthin führten Sprünge, die “d’Stadt naus” gingen, bislang. Er ist nun abgehängt. Allerdings sei das überhaupt kein Problem, argumentiert Zunftschreiber Prof. Frank Huber. Er schreibt auf Nachfrage der NRWZ: “Zahlreiche Narren bringen mittlerweile in den Narrenkörben ihre Getränke selber mit. Die Markthalle diente häufig nur als Anlaufstelle, um die Blase zu leeren. Die Anwohner in der Wilhelmstraße dürften sich eher als Befürworter der Kürzung zeigen, dürfte der zurückgelassene Unrat unserer Narren nun nicht mehr auftauchen. Zudem denke ich, dass das Konzept der Markthalle nicht auf die Einnahmen an der Fasnet aufgebaut sein dürfte.”
Huber gibt zu bedenken: “Wenn wir alle Konzepte auch noch an den Interessen der Gastronomen ausrichten würden, hätte wahrscheinlich unsere Sprungführungsformel so viele Nebenbedingungen, dass eine Lösung gar unmöglich wäre. Denken Sie nur an die Sprungführung ‘nur nab’, da würden der Becher, die Hochbrücke und so weiter nicht sonderlich erfreut sein. Auch an den Lokalen Schantle und ehemaliges Rebstock führt der Sprung nicht vorbei.”
Einzug in die Markthalle an der Fasnet 2014. Foto: privat

Das sieht Jens von Stamm völlig anders. Er betreibt die Markthalle. Und er schreibt der NRWZ mit vielen Ausrufezeichen: “Natürlich bin ich von dieser Entscheidung (der Narrenzunft, Anm. d. Red.) sehr enttäuscht! Der Möbelwagen hat eine sehr lange Tradition in der Geschichte der Rottweiler Fasnet und des Rottweiler Narrensprungs!!! Der Möbelwagen ist nicht nur irgend ein gastronomisches Gebäude oder ein Gebäude, in dem die Narren nach dem Sprung nur ihre Notdurft verrichtet haben! Solch eine Aussage spottet jeder Beschreibung und zeigt eine große ‘Unsensibilität’ gegenüber der reichen Fasnets-Tradition des Möbelwagens! Nur ein sehr wichtiges Beispiel: Im Frühjahr 1960 war die städtische Turnhalle, der Möbelwagen, als Festhalle für den ersten Narrentag des Viererbundes (Rottweil / Oberndorf / Elzach / Überlingen) nach dem Zweiten Weltkrieg hergerichtet. Allein dieses Datum zeigt die lange Verbundenheit der Rottweiler Fasnet und der Narrenzunft Rottweil mit dem Möbelwagen!”

Auch ökonomisch sei der Fasnetsmontag ein wichtiges Ereignis für die Markthalle / den Möbelwagen, so von Stamm: “Die Narren brachten meinen Pächtern an diesem Tag viele tausend Euro Umsatz! Natürlich wurde auch viel Unrat von den Narren in der Wilhelmstraße hinterlassen. In der oberen Hälfte der Wilhelmstraße haben die Markthallen-Pächter und ich persönlich jedoch jedes Mal den Unrat zusammengesammelt und danach sogar aufgefegt.” Nachbarn könnten das bestätigen.
Hinzu komme, so von Stamm, “dass die Narren nach dem Sprung im Möbelwagen nicht nur gegessen und reichlich getrunken, sondern auch fröhlich weitergefeiert haben.”
Der Narrensprung: “nachrangig”

Sollte er dabei gewesen sein, wird das dem ehemaligen Zunftschreiber und Stadtarchivar Dr. Winfried Hecht eventuell gefallen haben. Er mag die pure, nicht organisierte Fasnet. “Ich brauche das Brimbamborium nicht”, so Hecht gegenüber der NRWZ. Mit “Brimbamborium” meint der die Narrensprünge. “Meine Fasnet ist eine andere”, so Hecht weiter, “ich gehe zu den Leuten, zu einem Karl Villinger nach Hause, zum Beispiel. Durchs Fenster hört man dann und wann den Narrenmarsch, dann sagt man auf, macht ein bissle Gaude miteinander, es gibt was zu trinken, manchmal ein Süpple, dann merkt man, dass der Besuchte müde wird, dann zieht man weiter.”
Der Narrensprung, das militärische, das Marschierende, das stamme ohnehin erst aus Kaiser Wilhelms Zeiten, so Hecht. “Ich würde mir eine Fasnet wünschen wie 1880, zum Beispiel, wo die Narren auf den Straßen und in den Gassen unterwegs waren und noch ohne die ganze Organisation einfach ihre Fastnacht gefeiert haben.” Insofern gebe es auch nicht die Tradition der Narrensprünge – sondern die der Fasnet an sich.
Hecht schreibt den Narren ins Narrenbuch: “Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Leute diesen Narrensprung und dieses klare ‘D’Stadt nab’ brauchen, um nicht selbst kreativ sein zu müssen.”
Wäre er noch am Ruder, “würde ich darauf hinwirken, dass der Fokus weg geht von diesen Narrensprüngen und hin gelenkt wird zur eigentlichen Straßenfastnacht.” Deshalb sei es am Ende auch zwar nicht egal, aber doch nachrangig, wo die Sprünge entlang führen, so der ehemalige Zunftschreiber. Die Sprünge “sollten sich auf dem historischen Straßenkreuz abspielen, wo immer schon prozessiert wurde, wenn es einen Anlass für eine Prozession gab, aber welche Richtung der Sprung nimmt, ist dann nicht so wichtig.” Was zähle, so Hecht gegenüber der NRWZ, das sei das Narren selbst. Das Aufsagen, die individuelle Ausgestaltung der Fastnacht. Damit befindet er sich im höchsten Einklang mit der Sicht von Narrenmeister Bechtold und Co. Deren Lösungsangebot, der auf die Innenstadt begrenzte Sprungverlauf, das will Hecht aber nicht als die ultimativ beste Lösung beurteilen.
Die Atmosphäre: aufgeheizt, aber anständig
Zu schlimmeren Worten gegenüber seinen Nachfolgern in den Spitzenämtern bei der Zunft ist Hecht nicht bereit. Auch andere, Leserbriefschreiber, beispielsweise, kassieren zunächst schriftlich an die Redaktionen übermittelte Spitzen gegen die Zunft später wieder. So müsse das nicht veröffentlicht werden, man wolle die Wadlkappen ja nicht verärgern. Und in der Facebookgruppe “d’Stadt nab am Fasnetsmontag”, wo sich die Gegner der Sprungänderung online formieren, sind harsche Worte verpönt. Mitglied Sebastian Gerlich schreibt etwa: “So Ihr Narren jetzt reicht’s aber langsam mal … Es ging hier in dieser Gruppe darum, dass wir am Montag ‘d’Stadt nab’ jucken können. Hier soll nicht unsinnig gegen die Narrenzunft gehetzt werden und auch nicht gegen andere Narren! Jedem zur Freund und niemand zum Leid …”
Dass Zunftschreiber Huber die Belange des Markthallenbetreibers von Stamm so unrichtig einschätzte mag zudem daran gelegen haben, dass er zwischen Job und familiären Pflichten von der NRWZ befragt worden ist und von der NRWZ zudem oft befragt wird in diesen Tagen. Er schreibt ironisch: “Blöderweise ist die Schriftführertätigkeit für mich nur ein Ehrenamt. Wenn doch bloß dieser Hauptberuf nicht wäre …”

Die Atmosphäre ist also durchaus etwas angespannt. Die Leute von der Narrenzunft wissen, dass sie eine unpopuläre Entscheidung getroffen haben und haben das oft genug kommuniziert. Sie werben zugleich um Verständnis und Vertrauen.
Die Narren: “lahmarschig”
Das hindert manche nicht daran, ein wenig einzuheizen. So hat NRWZ-Leser Gert Zimmermann beim Blick auf vergangene Narrensprünge seine ganz eigene Meinung. Er hat sich Bilder der Rottweiler Webcam, die am Alten Kaufhaus hängt, angeschaut. Bilder vom Dienstagmittagsprung 2013 am Hauptkreuz. Er kommt zum Schluss, und wir als NRWZ zitieren einfach nur: “Es liegt nicht an dem geänderten Zugverlauf, sondern an der Lahmarschigkeit der Narren. Beziehungsweise an den Wadlkappen, die nicht nicht in der Lage sind, den Umzug zu ordnen und anzutreiben. Man beachte rechts oben die Uhrzeit der gemachten Bilder von den Spaziergängern.”
Interessant, da prüft ein Anwalt + Notar (Vorstandsmitglied) den Antrag (gegen den Beschluss des Vorstands + Ausschusses) ob dieser zulässig ist. Wollen wir wetten wie er entscheiden wird?
Ich hoffe ja nicht, dass das ganze Thema noch vorm Amtsgericht ausgefochten wird, was leicht passieren könnte.