ROTTWEIL – Es ist ein schwieriges Thema, unter den der Gesamtelternbeirat der Rottweiler Schulen einen Informationsabend für alle Eltern gestellt hatte: sexuelle Gewalt an Kinder und Jugendlichen. Dennoch fanden sich eine Reihe von Müttern und Vätern im Musiksaal des Droste-Hülshoff-Gymnasiums ein, um den Ausführungen der Referentinnen Petra Wagner und Renate Weiler zu folgen.
Die Vertreterinnen des Vereins Frauen helfen Frauen + Auswege aus Rottweil machten eindrücklich klar, dass sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche keine Seltenheit sind. Allein im vergangenen Jahr führten die fachlich geschulten hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Vereins in diesem Arbeitsbereich 61 Beratungsgespräche mit betroffenen Kindern und Jugendlichen oder deren Bezugspersonen. Weiler, Fachkraft für Prävention und Intervention bei sexuellem Missbrauch, machte klar, dass in diesem Bereich die Dunkelziffer hoch ist. Man gehe davon aus, dass nur etwa 20 Prozent aller Fälle Anzeige erstatten.
Jedes vierte bis fünfte Mädchen, jeder achte Junge, so die Schätzungen, würden Opfer sexueller Übergriffe. Diese spielten sich meist im Familien- oder Bekanntenkreis ab, dreiviertel aller Täter seien den Opfern bekannt, erläuterte Weiler. Täter könne ein Nachbar genauso sein wie der gleichaltrige Freund. Gut ein Fünftel aller Tatverdächtigen bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung seien unter 21 Jahre alt. Etwa 13 bis 19 Prozent der Mädchen und ein bis drei Prozent der Jungen zwischen 14 und 17 Jahren berichten, bereits mit sexuellen Grenzverletzungen konfrontiert gewesen zu sein. Das habe eine Studie 2010 ergeben. Sexuelle Grenzverletzungen reichten von vergleichsweise harmlosen Übergriffen wie sexistischen Sprüchen über unangemessene Berührungen bis hin zu einer Vergewaltigung.
Die Sozialpädagogin ging in ihren Ausführungen auch auf die Folgen sexueller Übergriffe und deren mögliche körperliche wie psychosomatische Äußerungen ein: Schlafstörungen, Ängste, Aggressionen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schulversagen, um nur ein paar zu nennen. Doch Weiler machte auch klar, dass Eltern Möglichkeiten haben, durch einen respektvollen Erziehungsstil, den Aufbau einer vertrauten Beziehung zum Kind und die Erziehung zu Selbstbewusstsein vorbauen können.
In einem zweiten Teil umriss Vereinsvorsitzende Petra Wagner die zwei großen Tätigkeitsbereiche von FhF+ Auswege: Schutz und Beratung von Frauen in Notsituationen, insbesondere bei Gewalterfahrungen – allein im Jahr 2017 waren das 311 Beratungen – von Kindern und Jugendlichen bei sexuellem Missbrauch oder sexueller Gewalt und Cybermobbing sowie Informations- und Präventionsarbeit. „Unsere Fachberaterinnen hören Betroffenen zu, schenken ihnen Glauben, schaffen Schutz und stabilisieren sie. Sie besprechen das Thema Anzeige, begleiten zum Arzt und zu Behörden und beraten Angehörige.“
In Informationsveranstaltungen würden insbesondere Fachkräfte, aber auch Eltern darüber aufgeklärt, wie sie Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs erkennen und auf diese reagieren können. In der Präventionsarbeit gehe das Vereinsteam mit unterschiedlichen Projekten auf verschiedene Altersgruppen ein: etwa mit dem interaktiven Mitmachparcours für Grundschüler „StandPUNKTE“ oder mit der Besprechung des „Ketchup-Effekts“, ein Film für Jugendliche über sexuelle Grenzverletzungen.
Info: Mehr Informationen unter www.fhf-auswege.de und speziell für den Bereich des sexuellen Missbrauchs und für Jugendliche unter www.nein-sagen-auswege-finden.de. Auf den Websites sind auch Verhaltenstipps für Notfälle abrufbar.