ROTTWEIL – Schon vor 20 Jahren sorgte sich Tobias Kammerer um die kleine Kapelle am Hochturm, die dem Apostel Judas Thaddäus gewidmet ist. „Das ist ein Kleinod“, ist der KÜnstler überzeugt, also überredete er Immobilienhändler Bernhard Merz, Geld für neue Fenster zu spenden, was dieser auch gerne tat und Kammerer dann umsetzte.
Er entwickelte ein Konzept für die Ausgestaltung der kleinen Kapelle, doch das wurde nicht umgesetzt, es fehlte am nötigen Geld. Das Konzept setzte Staub an, doch Kammerer ließ nicht locker, und jetzt bekam er grünes Licht von der Kirchenpflege. Die Idee basiert auf Psalm 139, König David zugeschrieben, der seine völlige Hingabe an Gott besingt, gänzlich im Vertrauen, dass Gott ihn bis in die Ewigkeit leitet. Hier tauchen auch die „Flügel der Morgenröte“ auf, die Kammerer jetzt malerisch umsetzt. „Ich habe damals in Kassel die Kapelle der JVA ausgestaltet, wir haben zusammen mit Theologen und Häftlingen überlegt, was passen könnte.“ Davids Psalm war es dann, der allen gefiel, Gottes Allgegenwart, auch wenn alles dunkel und aussichtslos scheint, eben die Flügel der Morgenröte, die aus dem tiefsten Dunkel auftauchen. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten“, heißt es in dem Text. „Das sind sehr liebliche, blumige Worte“, findete Tobias Kammerer.
Nun
umrahmen die Flügel das über 600 Jahre alte Kruzifix, das schon in der
Vorgängerkapelle hing: Diese, dem heiligen Sebastian geweiht, stand seit
dem 17. Jahrhundert beim einstigen Neutor und musste Ende des 19.
Jahrhunderts einer Villa weichen. Die Kreuzigungsgruppe darunter stammen
von German Burry, später ergänzte dessen Enkelin, Germana
Klaiber-Kasper, sie um die Figur des Judas Thaddäus und restaurierte das
Kreuz. Judas Thaddäus ist ein eher unbekannter Apostel, der gerne in
aussichtslosen Situationen angerufen wird – hier schließt sich also der
Kreis zu Davids Psalm.
Tobias
Kammerer lässt den Betrachter aus dem tiefen, dunklen Blau im
Eingangsbereich zur Sonne im farbigen Rundfenster hinter dem Kruzifix
blicken. „Das Blau erinnert an die ersten Schöpfungstage, das Wasser,
und dann geht die Sonne auf“, erläutert der Künstler. Das Urerlebnis des
Neuanfangs ist zu spüren, über dem tiefen Blau schweben kleine, weiße
Punkte, die den Geist Gottes symbolisieren. Und Christus, der hat jetzt
Flügel bekommen. In diesen Tagen wird das Gerüst abgebaut, auf dem
Kammerer und seine Kollegin Ingrid Wild arbeiteten, nun gilt es
abzuwarten, bis die durchfeuchteten Wände im unteren Bereich getrocknet
sind – die Kapelle aus Tuff und Sandstein steht direkt auf dem Erdreich –
und dann kommen auch die Medaillons mit den Darstellungen von Christi
Leidensweg wieder an die dann farbigen Wände.