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„„Was wird aus dem schönen Rottweil?”“, Veröffentlicht: Montag, 20. Januar 2020, 8.32 Uhr

„Was wird aus dem schönen Rottweil?”

2028 findet die Landesgartenschau in Rottweil statt. Die Befürworter versprechen einen Geldsegen und die Möglichkeit, viele Projekte zu starten. Doch Rottweil scheint nicht bereit zu sein für das Ereignis. Vielmehr zeigt sich die Stadt trist, Leerstand prägt das Bild.

Das ist auch dem Künstler Tobias Kammerer aufgefallen, der jetzt eine Diskussion angestoßen hat. Am zweiten Weihnachtsfeiertag war’s, da schrieb er auf seiner Facebookseite:

„Leere Geschäfte! Ich habe heute beim Kapuziner geparkt und bin zur Sammlung Dursch ins Dominikanermuseum gelaufen. Ich bin erschrocken, wie viele Auslagengeschäfte ich auf diesem kurzen Weg in Rottweil leer stehen und zum Vermieten angeboten gesehen habe. Was wird aus dem schönen Rottweil?”

Hat seit kurzem geschlossen: die „Schuh-Etage“. Foto: gg

Kammerer zeigt dazu Bilder von zum Teil leer stehenden Gebäuden, kommentiert diese nicht weiter. Beispiele:

  • das Spielwarengeschäft Franz Rapp am Kapellenhof 2, das vor Jahren aufgegeben hat. Das Gebäude steht zum Verkauf, dem Vernehmen nach soll ein Interessent bis zu 750.000 Euro bringen, um das imposante, denkmalgeschützte Stadthaus mit seinen rund 500 Quadratmetern Wohn- und Geschäftsfläche zu erwerben. Er müsste dann natürlich noch ein paar Euro übrig haben, um das Haus zu sanieren. Alljährlich belebt die Trendfactory das Erdgeschoss des Gebäudes mit ihrem Besen „Zum lustigen Dieter”. Ansonsten herrscht dort Stille. Obwohl: Tauben haben dort ihr Revier aufgeschlagen.
  • In direkter Nachbarschaft, in der Hochbrücktorstraße: die Goldschmiede Holland, deren Betreiber Ende 2009 aufgegeben haben. Die Geschichte des Geschäfts geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Nun ziert Werbung für das rührige Museum „Welt der Kristalle” in Dietingen die Panzerglas-Schaufenster.
  • Auch in direkter Nachbarschaft, aber ein Gegenbeispiel: das ehemalige Herren-Modegeschäft Wenzler, das nach der Geschäftsaufgabe durch seinen Betreiber (man erinnert sich: quasi pünktlich zum „Turmfest” 2017) nur recht kurz leer gestanden hatte. Inzwischen ist dort die zweite Niederlassung von Einzelhändler Andreas Spitznagel in Rottweil, ein Geschäft, das die Hochbrücktorstraße zwischen den Unternehmen Wiest und Stauss stark belebt. Der Unternehmer hat auch sein Hauptgebäude in der Oberen Hauptstraße saniert, hat dort Wohnungen eingezogen, die alsbald bewohnt waren. Das ebenfalls in der Hochbrücktorstraße liegende, ehemalige Sanitätshaus Philipp sieht nur deshalb belebt aus, weil noch die Werbung für den Räumungsverkauf die Schaufenster ziert. Es steht leer.
  • Erst vor kurzem geschlossen und gleich um die Ecke: die Schuh-Etage in der Oberen Hauptstraße. Deren Betreiber haben Ende 2019 aufgegeben. Ein paar Jahre früher, als sie eigentlich vorhatten, wie sie der NRWZ sagten. Dem Vernehmen nach soll das Haus, das in den oberen Stockwerken leer steht, saniert werden, der Eigentümer, der zugleich Vermieter der Geschäftsräume war, hat das seit längerem vor. Laut einem Gerücht soll im Erdgeschoss ein Café entstehen, aber dieses Gerücht gibt es auch für andere Leerstände in der Stadt.
  • Gleich gegenüber der ehemaligen Schuh-Etage, in der Hauptstraße 39 steht ein Laden leer, der zuletzt eine Bäckerei und dann ein Telekommunikationsunternehmen beherbergte. Von beidem gibt es offenbar genügend weitere in der Stadt.
  • Auch in der historischen Innenstadt gelegen: die ehemalige „Flasche” in der Hochmaiengasse. Das Gebäude geht auf das Jahr 1530 zurück, die vergangenen Jahre steht es leer. Dort hat sich ein Kreis von Bürgern um den Grünen-Stadt- und Kreisrat Hubert Nowack gefunden, die das Gebäude wiederbeleben wollen. Derzeit wird Geld gesammelt, etwa auf den Weihnachtsmärkten, beim Glühweinverkauf. 2017 ist die Gruppe gestartet, hatte ehrgeizige Ziele, inzwischen ist Ruhe eingekehrt. Gleich in der Nachbarschaft finden sich Gebäude mit Ladenfläche im Erdgeschoss, die aber nicht „bespielt” wird, wie es im Fachjargon von Wirtschaftsförderern heißt, in denen also kein Unternehmen aktiv ist.
  • Am Friedrichsplatz steht das Gebäude Nummer 6 seit ein paar Jahren leer. Während die dort ansässige „Lido-Bar” allen Zeitenwenden zu trotzen scheint, hat der Bäcker, der nach NKD dort zuletzt ansässig gewesen ist, nur kurz durchgehalten. In direkter Nachbarschaft finden sich mehrere weitere Bäcker. Der Betreiber der Bäckereifiliale, er stammt aus dem Landkreis Tübingen, ging 2017 pleite. Seither ist der Laden am Friedrichs­platz leer, verdecken Planen die Schaufenster und die Sicht.
  • Nur ein kurzes Gastspiel gab ein Unternehmer in der Unteren Hauptstraße mit seinem Sportgeschäft. Leer steht zudem „Edro Sports” in der Kaufhausgasse. Der Hauseigentümer mag keine Journalisten und schon gar nicht deren Fragen, bestätigt aber, dass das Geschäft leer steht und zu vermieten sei. Der bisherige Mieter, der ehemalige Fußball-Torwart Edmund Rottler, hat als Firmenadresse zwar noch die Kaufhausgasse angegeben, ist aber in die Tuttlinger Straße umgezogen.
  • Weitere Gebäude in der Stadt stehen leer. Die Gewerbefläche im Neubau gegenüber dem alten Gefängnis, in der Hinteren Höllgasse, ist noch nicht bezogen. Der Hauseigentümer sucht dem Vernehmen nach noch nach dem richtigen Geschäftspartner. Die Stadt sähe dort gerne einen Einzelhändler.
  • Immerhin tut sich in den vergangenen Wochen viel an der „Villa Duttenhofer”, zur Fasnet zunächst als Besen, im März dann richtig soll die Gastronomie dort eröffnen.

Künstler Kammerer, der diese Beispiele teils aufgezählt hat, hat auf seiner Facebookseite dafür viel Zuspruch und Kommentare erhalten. Manche wollen hier ein spezifisches Rottweiler Problem entdeckt haben, von Unfreundlichkeit von Einzelhändlern ist die Rede, was andere nicht so sehen.

Eine Kommentatorin etwa meint: „Das ist leider nicht nur in Rottweil der Fall, ganz Deutschland ist davon betroffen. Leute überlegt es Euch, bevor ihr alles im Internet bestellt. Ist nicht gut für die Umwelt und macht den Einzelhandel kaputt. Was ist besser, sich beraten lassen, oder Stunden bei der Post anzustehen? Und das Größte ist, man wundert sich, warum der Einzelhandel schließen muss.”

Die Diskussion gewinnt an Aufmerksamkeit, als die NRWZ Kammerers Einlassung auf ihrer Seite teilt. Mehr als 14.000 Menschen erreicht das Thema laut Facebook.

Die Ursachen? Fehlende Parkplätze, hohe Mieten, eine inaktive Stadtverwaltung, zurückhaltende Kunden?

Auf der Facebook-Seite der NRWZ (www.facebook.com/NRWZ.de) reagiert eine Leserin so: „Ich habe in einem der (genannten) Läden 2,5 Jahre gearbeitet. Die Kunden-Resonanz war sehr schlecht. Die Stadt lässt die Händler im Stich und es ist nun mal eine Altstadt. Es leben so unglaublich wenig junge Menschen in Rottweil und es gibt nichts, was die Stadt für die jungen Menschen bieten könnte. Es ist einfach so traurig. Dazu kommen natürlich die hohen Mieten sowie nicht vorhandene Parkplätze.” Das wird gleich bestätigt: „Auch ein großes Problem ist die Parkplatzsuche. Wenn man 30 Minuten durch die Stadt fahren muss, um einen Parkplatz zu finden, ist das traurig. In der Zeit fährt man nach Bad Dürrheim oder ins ‚Schwarzwald-Baar-Center’. Denke: total falsche Stadtplaner in Rottweil.” Wobei ein anderer Leser diesem Kommentator entgegen hält: „Wie wäre es, mal ein paar Meter zu Fuß zu gehen? Parkplätze und Parkhäuser gibt es, aber eben nicht neben jedem Laden.” Eine Leserin schreibt: „Ich persönlich fahre lieber nach Rottweil wegen dem kostenlosen Parken als nach Villingen. Der Wochenmarkt ist somit für mich wesentlich attraktiver. Laufen muss man meist genauso weit.” Ein weiterer Leser zählt die Parkplätze auf, die es rund um die historische Innenstadt gibt.

„Dieses Thema wird so oft diskutiert, und ich finde es so schade, dass die Stadt die Wünsche der Bevölkerung nicht wahrnimmt beziehungsweise auf die nicht eingeht”, so eine weitere Kommentatorin, die viel Zuspruch dafür erhält. „Die Stadtmitte in Rottweil ist wunderschön”, schreibt sie, „da ist so viel Potential aber wie schon … erwähnt wurde, die Mieten sind leider unbezahlbar. Und da unternimmt auch keiner was. Auch mit diesem ‚Neckarcenter’, anstatt einen großen Einkaufscenter mit vielen guten Geschäften zu bauen, werden es wieder Wohnungen, und Müller wird doch kleiner als zuvor geplant. Aber dass durch weitere Geschäfte weitere Arbeitsplätze geschaffen werden und das mehr Leute in die Stadt ziehen wird, wird irgendwie nicht bedacht.”

Besonders viel Zuspruch gibt es für diesen Kommentar: „Würden die Verpächter nicht so hohe Pacht verlangen und würde man die Ladenmieter erst mal ankommen und verdienen lassen, wären die Läden vermietet. Leider zieht man nur Geld raus. Die Stadt Rottweil hat wohl noch viel zu tun. Habe kaum ein so totes Stadtleben außerhalb von Veranstaltungen gesehen. Villingen hat da wesentlich mehr Flair. Einfach schade.”

Doch es gibt auch die Gegenrede, hier von einer Einzelhändlerin selbst: „Sorry, das liegt nicht an der Stadt: Es ist nicht leicht, in der heutigen Zeit einen Laden zu führen. Billig, günstig, ich schau nur bei Ihnen, gibt es im Internet bestimmt günstiger.’ Sorry – nur vom Schauen kann kein Laden überleben. Ich betreibe einen Lebensmittelladen in Lauterbach. ‚Kleiner Laden’ heißt immer gleich teuer, was nicht so stimmt. Aber gegen Aldi und Co. kommt keiner an. Die Läden sind nicht nur in Rottweil leer. Daran schuld sind wir alle selber.

Fehlen Parkplätze? Oder etwa doch nicht? „Och, Leute, kommt schon, keine Parkplätze, ehrlich”, schreibt eine Leserin. „Und dann fahren wir nach Villingen ins Parkhaus und laufen in die Geschäfte. Wir wissen genau, dort kann man nicht in der Innenstadt parken. Nur in Rottweil will jeder vor dem Geschäft parken.” Und sie ergänzt: „Nur Rottweiler meckern wegen der Park-Situation. Fragt mal die Touristen, die wundern sich, dass der ganze Verkehr durch die Stadt fährt.”

Dann ist es vielleicht die Stadtverwaltung? „Die Stadt Rottweil interessiert sich nicht für die leeren Läden”, schreibt ein Leser. „Es geht nur noch um Testturm, Hängebrücke, Landesgartenschau, dann der Neubau beim neuen Spital, das ‚Neckarcenter’.”

Oder einfach wir alle, unser Kaufverhalten? So schreibt ein Leser: „Ein ganz großer Grund ist der Onlinemarkt. Da wird auf Teufel komm’ raus bestellt. Dadurch bleiben immer mehr Händler auf der Strecke. Dass damit auch guter Service, zum Beispiel hinsichtlich Beratung und Reparatur, den Bach runtergeht, das kapieren die allerwenigsten.” Ein weiterer ergänzt: „Nicht die Vermieter regeln den Markt. Nein, ihr alle seid, die Verbraucher sind für das Sterben der Innenstädte selbst verantwortlich.”

Das sieht auch der frühere Stadtrat Jens Jäger so, der schreibt: „Ihr braucht nur nicht auf der grünen Wiese einkaufen. Bedient den Einzelhandel und ihr rettet ihn und die Metzger, Bäcker und und und. Also: Nicht nur klagen und bedauern, sondern handeln.”

Ein weiterer Leerstand in Rottweil. Foto: gg

Die NRWZ hat diese Kommentare einerseits dem Chef des Rottweiler Einzelhandelsverbands GHV, Detlev Maier, und andererseits der Stadtverwaltung mit der Bitte um Stellungnahme vorgelegt. Diese haben wir hier veröffentlicht.

Tobias Kammerer wiederum hat eine eigene Idee, was mit den leer stehenden Ladenflächen geschehen könnte: „In Wien hatte ich als junger Kunststudent folgende Erfahrung: Ich durfte mein Atelier beziehen in einer Immobilie, die vor der Renovierung stand. Bis dahin war es ein Jahr und ich durfte sie unentgeltlich als quasi Produzenten-Galerie/Ausstellungsfläche verwenden. Übertragen auf die leer stehenden Geschäfte in Rottweil, wäre es so, dass, so lange die Immobilie nicht gewinnbringend vermietet wird, sie als Produzenten-Galerie/Ausstellungsfläche/Museum genutzt werden könnte. Natürlich müssen Nebenkosten und so weiter gezahlt werden. Aber das wäre doch einer von vielen schönen Ansätzen, oder?”

Eine Leserin pflichtet dem Künstler bei: „Sollte ein Vermieter gewillt sein, ein Ladengeschäft nur für Nebenkosten zu vermieten, würde ich gerne ein Geschäft für DIY-Artikel inklusive Workshops anbieten. Als Verkaufsfläche für Kreative und als Begegnungsstätte. Denn wo kann man denn sonst hin?” Eine andere Leserin ergänzt: „In Linnich gibt es eine Initiative, die sich um die Dekoration der Schaufenster von leeren Geschäften kümmert, Kunst reinsetzt, oder Infos über Stadtgeschehen.”

Ganz ausführlich meldet sich Thomas Haßler zu Wort, der unter dem Stichwort „Side Seeing” als Unternehmer Stadtführungen durch Rottweil anbietet. Haßler schreibt – auf den Hinweis zweier Kommenatoren hin, dass die Einzelhändler freundlicher oder serviceorientierter sein könten: „Schlecht beraten werden ist jedem schon passiert. Dies ist sehr ärgerlich und leider übertönen diese Posts die positiven Erlebnisse. Ich für meinen Teil habe es in Rottweil mit sehr engagierten, kompetenten und hilfsbereiten Einzelhändler/innen zu tun. Ausnahmen gibt es sicherlich partiell. Jeder hat mal einen schlechten Tag und ein Einzelhändler ist keine dauergrinsende Verkaufsmaschine, sondern in erster Linie Mensch. Vielleicht sollten wir auch (da nehme ich mich nicht aus) unsere doch unglaublich hohe Anspruchshaltung überdenken. Immer nur ‚Golden Standard der begeistert …’, möglichst 24/7. Und natürlich den Parkplatz vor der Ladentüre. Ich glaube, mit ein paar Drehzahlen weniger und etwas mehr Gelassenheit geht es uns allen besser. Sicher gibt es Optimierungsbedarf seitens der Einzelhändler und seitens der Stadt”, so Haßler.
Und weiter: „Ich habe den Eindruck die Unterstützung letzterer könnte beherzter, und im Detail tatkräftiger sein. Beispiel: Warum dürfen Geschäfte/Cafés in den Seitengassen nicht mittels eines Klappständers oder ähnlichem an der Hauptstraße auf sich aufmerksam machen? Erlaubt ist dies nur direkt vor der Ladentüre. Es warten viele Aufgaben im neuen Jahr und zwar auf alle. Einzelhändler/innen, Stadt, Vermieter/innen und Kunden. Schließlich sind es die Menschen, Sie, ich, alle, die diese Stadt so liebenswert machen. Im Wissen, dass diese Stadt schon durch deutlich schlimmere Zeiten gegangen ist”, macht der Stadtführer Mut, „bin ich mir sicher, dass wir auch die anstehenden Aufgaben lösen werden.”gg

 

 

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