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„Wieder zurück nach Westafrika?“, Veröffentlicht: Montag, 20. Dezember 2021, 14.44 Uhr

Wieder zurück nach Westafrika?

Acht Vorstrafen seit 2015. Seit der Mann aus Westafrika in Deutschland ist, am Montag kam ein weiteres Urteil wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung hinzu. Der Rottweiler Amtsrichter bescheinigte dem 28-Jährigen ein hohes Aggressionspotenzial. Für ihn endete der gewaltsame Diebstahl von Bier beim Netto-Markt in Wellendingen mit einer Freiheitsstrafe. Und mit dem Ausblick auf die Abschiebung.

Lassen wir ihn zunächst wenigstens teilweise selbst zu Wort kommen: Ihm seien dereinst – niemand weiß, wann genau – 180 Euro gestohlen worden. Das sei doch das wahre Problem. Solle sich die Justiz lieber mal darum kümmern, nicht um das bisschen Bier, das er geklaut habe. Außerdem bekomme er noch Geld vom Landratsamt. Der Amtsrichter, der mit seinem Fall befasst war, hörte sich das schwer verständliche, in einem Englisch mit starkem Akzent gehaltene Lamento am Montag über weite Strecken geduldig an. Und befand schließlich darauf, dass es hier um das Bier gehe, das der Mann gewaltsam an sich gebracht hat, man sich doch bitte darauf konzentrieren solle. Weil es nicht seine erste Tat war, setzte es eine Haftstrafe, ein Jahr und acht Monate. Was ihn nicht interessierte, schließlich sei ihm doch zuerst Unrecht widerfahren …

Aus dieser Haft heraus wird der Mann zudem mutmaßlich abgeschoben, so der Richter weiter. Zurück nach Westafrika, die Ausländerbehörde arbeite daran. Es gebe keinen Grund mehr, dass er in Deutschland bleiben, Rottweils Straßen unsicher machen könne. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und schöne Feiertage“, so der Richter abschließend zu den Prozessbeteiligten. Da klickten bei dem Mann aus Westafrika schon wieder die Handschellen. Die Urteilsbegründung hatte da gerade in dem Lamento des Mannes geendet. Trotz der Ermahnung „Listen to the Judge!“, hören Sie dem Richter zu, seitens des Dolmetschers.

Als könne er kein Wässerchen trüben, saß der Mann zu Prozessbeginn auf der Anklagebank, mit seinem Mundschutz, über den er knapp hinausschaute. Mit müden Augen. Doch hatte die Justiz für diesen Prozesstag zwischenzeitlich bis zu sechs Beamte zur Bewachung aufgeboten, die sich im Sitzungsaal verteilten. Man hatte den Schwurgerichtssaal für diese Verhandlung belegt, den größten des Gebäudes. Weil der Angeklagte als gefährlich gilt. Das Zuschauerinteresse aber: gleich Null.

Der Prozess gegen den Mann aus Westafrika nahm an diesem Tag seinen zweiten Anlauf. Gegen den ersten hatte sich der 28-Jährige, gerade von der Polizei abgeholt, so sehr mit Händen und Füßen gewehrt, dass der Vorsitzende Richter am Amtsgericht die Verhandlung vertagte. Er hatte es als unmöglich angesehen, einen reibungslosen Prozessablauf zu gewährleisten.

Diesmal ist wenigstens zunächst nichts von der in Justizkreisen schon als legendär beschriebenen Wehrhaftigkeit des Angeklagten zu bemerken. Er bewegt sich wie in Zeitlupe. Aktuell ist er in der Justizvollzugsanstalt Hohenasperg untergebracht. Im Justizkrankenhaus. Nachgefragt, wie es ihm dort gehe: “Es ist gut.“ Medikamente bekomme er keine.

1993 in Gambia geboren, 2015 kam er nach Deutschland. Über Italien. Doch hier sei es besser. Bereits 2015 ist er wegen Leistungserschleichung zu einer Geldstrafe von 150 Euro verurteilt worden. 2016: versuchter Scheckbetrug. 250 Euro Strafe. 2018: Diebstahl, 400 Euro Geldstrafe. 2018: Hausfriedensbruch. Strafe: 550 Euro. 2018: Erschleichen von Leistungen. 1400 Euro Geldstrafe. Bei den beiden letzten Entscheidungen sind die vorherigen Strafen eingeflossen. 2018: Diebstahl. 500 Euro Geldstrafe. 2018: Erschleichen von Leistungen. Sechs Monate Freiheitsstrafe auf zwei Jahre Bewährung. 2019: Diebstahl in drei Fällen – etwa Dosenbier und Orangensaft bei Lidl -, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in zwei Fällen – zweimal wurde er mit Marihuana und Joints erwischt. Folge: viereinhalb Monate Freiheitsstrafe. Da er in Untersuchungshaft gesessen hatte, musste er diese Strafe nicht antreten.

Er blieb aber ein Problembürger.

Am 21. August 2020 soll er sich kurz vor Feierabend im Netto-Markt in Wellendingen eine Schlägerei mit Angestellten geliefert haben. Zuvor hatte er Bier, Salami und Brötchen in seinen Rucksack gepackt, wollte die Sachen klauen, nur die Brötchen an der Kasse bezahlen. Und am 23. Oktober 2020 soll er im Kaufland in Rottweil Ware im Wert von rund 11 Euro zu klauen versucht haben. Oettinger Pils, Leberwurst, Sandwichcreme, Pfefferbeißer, Lyoner in Streifen. Nur eine der Flaschen Bier habe er bezahlen wollen. Auch da flog er auf. Dieser Diebstahl bleibt angesichts der Marginalität aber unbestraft, das Verfahren wurde eingestellt.

Zu der Sache in Wellendingen erklärt der Mann: „Ich habe nicht versucht, die Sachen zu stehlen. Man hat versucht, sie mir wegzunehmen, bevor ich sie bezahlen konnte. Warum haben sie mir diese Sachen weggenommen?“ Der Richter erinnert daran, dass sich diese vermeintliche Wegnahme schon längst außerhalb des Supermarkts abgespielt hat. Ob er jemanden geschlagen habe? Nein, er habe niemanden geschlagen. Der Dolmetscher, ein älterer Mann, hat mit gutem Zureden den Angeklagten beruhigt. Legt ihm immer mal wieder die Hand auf die Schulter. Stoppt und lenkt den Redefluss. Inzwischen sitzen die beiden fast wie alte Kumpels nebeneinander.

Ging es vielleicht einfach darum, dass er Schwierigkeiten hatte, an Lebensmittel zu kommen? Weil man ihm den Zugang zu den Läden längst verweigert hatte? Diese Vorlage liefert ihm der Richter. Er dazu: „Die Leute“ hätten ihm erklärt, wenn er herkomme, müsse er Geld dabei haben, um die Sachen zu bezahlen. „Damit habe ich kein Problem.“ Monatlich will er dafür 180 Euro zur Verfügung gehabt haben. Er wohnte seinerzeit kostenlos in einer Unterkunft in Wellendingen.

Natürlich gibt es auch andere Versionen des Falles. So schildert eines der Opfer, ein Mann, der damals einen Nebenjob in der Netto-Filiale in Wellendingen hatte, den Vorfall. Der heute 37-jährige Discounter-Mitarbeiter hatte den Kunden zunächst dabei beobachtet, wie er Bier in seinen Rucksack packte, das er dann an der Kasse nicht mehr herausholte, nicht bezahlte. Er habe ihn darauf angesprochen, ihn zunächst nicht festgehalten, nicht angegriffen, nur darum gebeten, zu warten, bis die Polizei kommt, um den Vorfall zu klären. Er sei dann vom Flüchtenden weggestoßen worden. Seine Kollegin habe versucht, den Mann zu stoppen, sie lief über den Parkplatz, über die Straße hinterher. Der Netto-Mitarbeiter dagegen hielt zunächst Abstand. Kannte den Kunden schon. Sah dann aber, wie der die Kollegin angreift, schubst, schlägt und treten will. Da stürzt er sich auf den Dieb. Der kann flüchten. Von der kurzen Rangelei, bei der er hinfällt, erleidet der Angestellte einen Kapselriss an der Hand, dieser sei bis heute nicht richtig verheilt.

Das Urteil: ein Jahr, acht Monate Haft. Dort, in Haft, sitzt er schon, weil er ursprünglich nicht hatte zum Prozess erscheinen wollen, weil der Staat nachhelfen musste. Der Haftbefehl bleibt aufrechterhalten.

Klar: Es ging nur um zwei Flaschen Bier im Rucksack, zwei Angestellte, die ihn aufhalten wollten, die er angegriffen und geschlagen hat. Das ist dennoch räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit Körperverletzung, so der Richter. Und zwar nicht in Form eines minderschweren Falls, denn der Mann ist schon vorbestraft, seine Prognose zudem schlecht. Und eines seiner Opfer leide noch immer unter der Tat. „Es geht nicht darum, dass Sie nur mit zwei Flaschen Bier davon gerannt sind. Und nicht mit Schmuck aus dem Juwelier“, so der Amtsrichter. Andersherum müsse man sehen, dass der Mann nur wegen zweier Flaschen Bier so gewalttätig geworden ist.

Die Vorgeschichte:

 

 

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