
ROTTWEIL – Landtagspräsidentin Muhterem Aras war zu Besuch in Rottweil. Ihr Thema „Demokratie unter Druck“ stand über dem Gespräch mit den Grünen und der anschließenden, gut besuchten Veranstaltung der Volkshochschule im Alten Gymnasium.
Rechtsextremismus, die Reichsbürger mit ihren Waffenarsenalen seien eine enorme Bedrohung für die Demokratie, so Muhterem Aras, da seien sich alle Parteien einig. Nationalisten, Verschwörungserzähler, Antisemiten: „Die Feinde der Freiheit sind lauter“, aber sie würden weniger, das habe eine aktuelle Studie gezeigt. „Die Sehnsucht nach einem autoritären Führungssystem ist zurückgegangen.“ Die klare Mehrheit sei für eine offene, bunte Gesellschaft, „aber wir müssen wachsam sein und anpacken.“ Und an diese leise Mehrheit müsse sich Politik wenden. Im Gespräch mit OB Dr. Christian Ruf hatte die Landtagspräsidentin praktische Vorschläge: Plätze müssen zu Begegnungsstätten werden, zu öffentlichen Wohnzimmern, die Bürger in die Entscheidungen mit einbezogen werden. „Die Menschen missen sich als Teil der Gesellschaft begreifen, ins Gespräch kommen, sich kennenlernen. So entsteht Zusammenhalt.“
Als Metapher nahm Muhterem Aras eine große Tafel, an der alle sitzen, für die es klare Benimmregeln gibt, an der aber auch gestritten wird: „Das heißt nicht, dass es einfach wird, aber am Ende werden alle davon profitieren.“ Ein gutes Beispiel von Bürgernähe hat die Präsidentin selbst durchgesetzt: Als sie ihr Amt antrat, übrigens als erste Frau, sorgte sie dafür, dass der Platz vor dem Landtag belebt wurde. Statt wie bisher als Parkplatz für die Limousinen der Minister – und auch ihrer selbst – zu dienen, ist hier inzwischen das Skaten erlaubt, es gibt Musik und vieles mehr, „die beste Werbung für den Landtag!“
Muhterem Aras warb auch dafür, die Symbole der Demokratie, die Farben der Deutschlandflagge, zu nutzen und sich nicht von den Rechten wegnehmen zu lassen. „Wir sollten mehr Mut zum Pathos haben!“ Es sei für sie ein erhebender Moment, wenn am Ende von Einbürgerungsfeiern gemeinsam die Nationalhymne gesungen werde. „Die Menschen streben nach Zugehörigkeit und Orientierung.“
All dies aber auf dem festen Fundament des Grundgesetzes. Der Hass im Netz habe massiv zugenommen, und sei zu lange nicht ernst genommen worden. Dagegen müsse der Rechtsstaat entschieden vorgehen, so Aras, daher sei sie froh, dass nun Schwerpunktstaatsanwaltschaften hier eingreifen können. „Wir müssen den Absendern klar machen, dass Straftat Straftat ist, egal ob im Netz oder im realen Leben.“ Gefährlich für die Demokratie sei es nämlich ebenso, wenn sich Kommunalpolitiker aus Angst vor Hetzern zurückziehen. Und dass es immer weniger Presse gebe, die Politiker inzwischen selbst schreiben müssten: „Journalismus hat eine enorme Bedeutung für die Demokratie.“ Eine Patentlösung habe sie hier aber auch nicht, so Aras.
Im Gespräch mit Zuhörern stellte die Landtagspräsidentin auch klar, dass für eine bessere Bildungspolitik die Parteibrille abgesetzt werden sollte. Das sei am Anfang der Pandemie gut gelungen, die Beschüsse habe man hier fraktionsübergreifend gefasst. Und genau das brauche es jetzt wieder, Schule müsse aus der Sicht der Kinder und Jugendlichen gestaltet werden, nicht nach Patreiräson.
Thema des Abends waren dann auch die Montagsdemos in Rottweil, zu denen OB Ruf meinte, er wisse auch nicht, gegen wen oder was sie sich noch wendeten. Er selbst sei auch betroffen, sein Büro ginge zur Oberen Hauptstraße raus, da sei es Montagabends nicht mehr möglich zu telefonieren. Aber das Demonstrationsrecht sei ein hohes Gut, die Stadt habe anfangs eine Demo auf der Hochbrücktorstraße verboten und dann sofort eine einstweilige Verfügung kassiert – die Demo durfte wie beantragt stattfinden. „Wenn wir die Grundrechte schützen wollen, müssen wir auch an die Schmerzgrenze gehen“, ergänzte Muhterem Aras. Die in diesem Fall vielen Rottweilern in den Ohren klingelt.
Aras warb auch für mehr Digitalisierung, immerhin habe Corona hier etwas Gutes gebracht, man sei um Jahre vorangekommen. Dabei seien aber viele Länder noch weit voran, sogar Albanien und Nordmazedonien, wie OB Ruf ergänzte. Auf die Frage nach der leidigen, digitalen Grundsteuererklärung und ihre Tücken gab die gelernte Steuerberaterin zu: „Ich könnte das auch nicht. Ich würde mir wünschen, dass hier Praktiker gefragt worden wären.“ Wie in vielen anderen Bereichen auch. Viel Beifall und ein großer Blumenstrauß war der Dank an die Landtagspräsidentin und ihren beeindruckenden Einsatz für die Demokratie.