Schramberg – Im ehemaligen Schloss und heutigen Stadtmuseum erinnern mehrere Porträts an die früher hier ansässige Adelsfamilie, zu der auch Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg gehörte, der am Dreikönigstag vor 100 Jahren in Schramberg verstorben ist.
Vor 100 Jahren befand sich das Schloss mit seinem Park noch im Besitz der Adelsfamilie. Damals berührten sich die beiden Schramberg so prägenden Epochen der Adelsherrschaft und der Industriestadt noch. Mit dem Ende des Zeitalters der Monarchien, das am Ende des Ersten Weltkrieges unterging, neigte sich aber auch in Schramberg die Zeit des Ortsadels ihrem Ende entgegen.

Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg (1837 bis 1919) war der vorletzte „Herr zu Schramberg“, der hier residierte. 1923 verkaufte sein Sohn Graf Cajetan von Bissingen (1870 bis 1956) den Kern des Adelsgutes im Schwarzwald an die Stadt Schramberg, die dabei von einem Käuferkonsortium aus örtlichen Unternehmen unterstützt wurde, die daran interessiert waren, die Wohngebiete und Verkehrsanlagen der Industriestadt nach Norden auszubauen. 1925 verließ die Adelsfamilie ihre alte Heimat im Schwarzwald und zog auf das von ihr neu gebaute Schloss auf dem Hohenstein am oberen Neckar um, wo sie bis heute wohnhaft ist.
Die Eltern des vor 100 Jahren verstorbenen „Herrn zu Schramberg“ waren Reichsgraf Cajetan von Bissingen und Nippenburg (1806 bis 1890) und Gräfin Maria Ludovika von Bissingen und Nippenburg (1814 bis 1879). Als ältester Sohn eines habsburgischen Spitzenbeamten – sein Vater war Statthalter von Tirol und Vorarlberg (1849/55) sowie Statthalter von Venedig (1855/60) – war auch der am 6. März 1837 geborene Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg in seiner ganzen Persönlichkeit von der glanzvollen Welt des Kaiser- und Königreiches Österreich-Ungarn geprägt.
Im Alter von 23 Jahren zog er 1860 mit seinen Eltern von Venedig nach Schramberg, wo sein Vater 1840/43 für die Familie ein neues Schloss (Landhaus) gebaut hatte. Nach seiner (ersten) Heirat mit Gräfin Mechthilde von Arco-Zinneberg (1843 bis 1874) im Jahr 1868 wohnte er zunächst im ehemaligen Amtshaus der Herrschaft Schramberg („Schlössle“) und nach seiner (zweiten) Heirat im Jahr 1882 mit Freiin Elisabeth von Mylius (1856 bis 1926) im Schloss, nachdem sein verwitweter Vater seinen Alterssitz im „Schlössle“ genommen hatte. Nach dessen Tod im Jahr 1890 trat er seine Nachfolge als „Herr zu Schramberg“ an und führte auch die Unternehmen fort, welche sein Vater wie andere Adlige gegründet hatte, um neue Einkommensquellen zu erschließen. Die „Gräflich von Bissingen’sche Kunstmühle und Teigwaaren-Fabrik“, die erste Nudelfabrik in Deutschland, brachte ihm auch den volkstümlichen Spitznamen „Nudel-Ferde“ ein. Das „Gräflich von Bissingen’sche Mühl- und Dampfsägewerk“ war mit seiner „Electrischen Centrale“ ein Pionier der modernen Energieversorgung in Schramberg.
In der modernen Industriestadt, in welcher der Adelssitz in zunehmendem Maße wie eine ferne Insel aus einer fremden Epoche erschien, lebte Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg mit seiner Familie sehr zurückgezogen. Im „Schwarzwälder Grenzboten“ war am 6. Februar 1912 zu lesen: „Ruhig und still liegt der Herrensitz da; wenn die Herrschaften nicht hin und wieder auf einer Spazierfahrt oder auf dem Wege zur Kirche gesehen würden, könnte man glauben, Schramberg habe eine Repräsentanten des Adels nicht in seinen Mauern, so wenig nimmt die gräfl[iche] Familie, welche nur für sich lebt, Anteil an dem Treiben und Schaffen, welches alle anderen Bewohner der Stadt mit sich zieht.“
Ganz der Familientradition entsprechend hatte auch Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg eine „tiefreligiöse Natur“ und war ein „strenggläubiger Katholik“. Er übernahm 1888 die Schutzvorstandschaft über den neu gegründeten Katholischen Gesellenverein (Kolpingsfamilie) und engagierte sich an führender Stelle für das „Katholische Vereinshaus“ im Gasthaus Bären. Seine zweite Ehefrau übernahm dagegen die Schutzvorstandschaft über den 1894 gegründeten Elisabethenverein. Einer ihrer Söhne, Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg (1887-1913), wurde auch katholischer Priester, starb aber im Alter von nur 25 Jahren. Von 1901 bis 1906 war der „Herr zu Schramberg“ auch als ritterschaftliches Mitglied in der Zweiten Kammer im Landtag des Königreichs Württemberg vertreten.
Im hohen Alter musste Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg am Ende des Ersten Weltkrieges noch die Novemberrevolution miterleben, die im Deutschen Reich und im Königreich Württemberg das jahrhundertealte Zeitalter der Monarchien hinwegfegte. Zwar hatten der Graf und seine Familie in Schramberg aufgrund ihres allgemeinen Ansehens persönlich nichts zu befürchten, es gab aber in Schramberg im liberalen und sozialistischen Lager wie andernorts überzeugte Adelsgegner. Im Arbeiterrat hieß es am 11. Dezember 1918: „Von mehreren Rednern wurde betont, daß im Interesse der Allgemeinheit mit diesem alten Zopf und geburtsrechtlichen Vorteilen aufgeräumt werden müsse und in einem demokratischen Staat kein Platz für solche Einrichtungen sei.“ Seit dem Inkrafttreten der Verfassung der Weimarer Republik am 14. August 1919 waren alle bis bisherigen Adelsvorrechte nicht mehr gültig.
Der Abschied von Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg und seine Beisetzung in der Familiengruft in der Falkensteiner Kapelle am 8. Januar 1919 war eine „machtvolle Trauerkundgebung“ mit großer Beteiligung. „Die dem teuren Verstorbenen hier in so reichem Maße bewiesene letzte Ehrung war uns in der heutigen, traurigen Zeit des allgemeinen Umsturzes ein besonderer Trost“, ließ sein Sohn Graf Cajetan von Bissingen und Nippenburg (1870 bis 1956) den damaligen Stadtschultheissen Franz Paradeis (1871 bis 1932) wissen. Das „Schwarzwälder Tagblatt“ schrieb abschließend: „Nun ruht Graf Ferdinand in dem ihm so lieb gewordenen Falkenstein, wohin ihn früher so oft sein üblicher Spaziergang geführt hat. Es war ein guter Herr! Er ruhe im Frieden!“
Info: In der Dauerausstellung „Adelsherrschaft“ sind im Stadtmuseum Schramberg zwei Porträts von Graf Ferdinand von Bissingen und Nippenburg und Porträts seiner beiden Ehefrauen zu sehen. Die Grabtafeln der Ehepartner sind in der Falkensteiner Kapelle zu besichtigen.