Mönchengladbach nach dem Luftangriff der Royal Air Force (RAF) vom 9./10. September 1944. Foto: Stadtarchiv Mönchengladbach
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Schramberg-Waldmössingen. Im Frühjahr 2021 erreichte das Bürgerbüro Sulgen der Großen Kreisstadt Schramberg in der „Corona-Zeit“ eine außergewöhnliche Anfrage. Eine Frau bat um Hilfe auf der Suche nach einer Schwester, von der sie erst beim Tod ihrer Mutter erfahren hatte.








Gerlinde Riebold-Wiechert aus Herrenberg schrieb am 3. Februar 2021 in einer E-Mail: „Meine Mutter hat uns auf dem Sterbebett anvertraut, das wir eine Schwester haben. Sie wurde als junge Frau im Krieg in diesen Jahren in den Schwarzwald evakuiert, weil Mönchengladbach zerbombt und ihre Eltern tot waren.

Dort war sie auf einem Bauernhof in Schramberg. Sie verliebte sich in den Sohn des Nachbarhofs und bekam ein Kind von ihm. Eine Tochter. Diese wurde von diesem Nachbarhof dann adoptiert. Der Name meiner Mutter war damals Maria Klöter. Sie hat nie von diesem Kind gesprochen. Ich würde sie gerne ausfindig machen und hoffe, dass sie im Geburtenregister zu finden ist.“

Maria Klöter, die als „Fliegergeschädigte“ im Herbst 1944 aus Mönchengladbach nach Waldmössingen kam.
Foto: Privatbesitz

Suche in alten Akten

Das vom Bürgerbüro eingeschaltete Standesamt konnte Gerlinde Riebold-Wiechert aber nicht weiterhelfen und gab ihre Anfrage an das Stadtarchiv weiter. Zunächst ließ sich allerdings weder in der Altkartei des Einwohnermeldeamtes noch in den Geburtenregistern des Standesamtes eine Spur finden.

Das Archivteam erinnerte sich aber daran, im Bestand Ortsarchiv Waldmössingen einmal Unterlagen aus dem Zweiten Weltkrieg mit Bezug zu Mönchengladbach gesehen zu haben. Nun war die Recherche auf der richtigen Fährte: In den Unterlagen über „Fliegergeschädigte“, die im Herbst 1944 aus Mönchengladbach nach Waldmössingen kamen, fanden sich auch Belege über Maria Klöter.

Alle Unterlagen wurden für Gerlinde Riebold-Wiechert digitalisiert und ihr mitgeteilt: „Die Geschichte Ihrer Familie – und Suche nach Ihrer verlorenen Schwester – bewegt auch uns sehr. Es liegt uns sehr am Herzen, Ihnen zu helfen – und Ihre Familie wieder zu vereinen, auch wenn das nach so langer Zeit emotional nicht einfach sein wird. Die menschliche Dimension solcher Schicksale ist ja immer eigentlich unbeschreiblich …“

Die „Fliegergeschädigten“ aus Mönchengladbach in Waldmössingen auf einer Liste vom 9. Oktober 1944. Vorlage: Stadtarchiv Schramberg

Am 9./10. September 1944 war Mönchengladbach das Ziel eines großen Luftangriffs der Royal Air Force (RAF), bei dem die gesamte Innenstadt in Schutt und Asche gelegt wurde. 19.000 Häuser wurden zerstört. 2077 Tote waren zu beklagen. Mehr als 50 Überlebende wurden am 8. Oktober 1944 in der Landgemeinde Waldmössingen zwischen Oberndorf und Schramberg untergebracht. „Quartiergeber“ der ausgebombten Mönchengladbacher waren einheimische Familien, die dadurch auf einmal ihnen bisher völlig unbekannte Mitbewohner erhielten.

Bei welcher Familie Maria Klöter eingewiesen wurde, ist aus den überlieferten Unterlagen leider nicht ganz eindeutig zu erkennen – vermutlich wohnte sie nach einer Liste des Bürgermeisteramtes Waldmössingen vom 9. Oktober 1944 aber bei Eugen Notheis (1897-1986) und Magdalena Notheis (1897-1965) in der Seedorfer Straße 222. Nach den Erzählungen ihrer Mutter wurde sie in einem Bauernhof aufgenommen.

Ihre Schwester weiß über dessen Eigentümer noch zu berichten: „Der Bauer, bei dem sie war, hatte einen langen Bart und geschnupft. Immer hing der Schnupftabak in seinem Bart, und sie konnte daher nicht am Tisch aus einem Topf mit der Familie essen.“

Besuch in Waldmössingen geplant

Nachdem Gerlinde Riebold-Wiechert in der „Corona-Zeit“ ein Besuch in Waldmössingen nicht möglich war, hat sie nun vor, den schon lange geplanten Besuch Ende nächster Woche nachzuholen – und hofft auf weitere Hinweise zur Geschichte ihrer Familie am Ende des Zweiten Weltkrieges und ganz besonders natürlich auf eine Begegnung mit ihrer verlorenen Schwester.

Bei dieser Suche werden Zeitzeugen in Waldmössingen um ihre Unterstützung gebeten. Hinweise aller Art sind willkommen und werden vom Stadtarchiv Schramberg unter der E-Mail-Adresse stadtarchiv@schramberg.de oder der Telefonnummer 07422/29263 entgegengenommen. Eine direkte Kontaktaufnahme mit Gerlinde Riebold-Wiechert ist unter der E-Mail-Adresse griebold55@gmail.com oder der Telefonnummer 07032/7846597 ebenfalls möglich.

Ob Gerlinde Riebold-Wiechert ihre verlorene Schwester finden wird, ist ungewiss. Aber sie schreibt: „Es ist für mich sehr aufwühlend, auf den Spuren meiner Mutter zu wandeln. Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, die Schwester zu finden. Aber der Weg dorthin hat mir schon viel gegeben.“

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