Schramberg. Am Sonntag zeigte das Subiaco-Kino in Schramberg den Dokumentarfilm „Das trojanische Pferd – Stuttgart 21“ von Regisseur Klaus Gietinger. Zu einer anschließenden Diskussion waren Bauingenieur Wolfgang Grohe und Physiker Roland Morlock angereist. Beide sind aktiv beim Arbeitskreis „Ingenieure22“, deren Ziel es ist, den leistungsfähigen Bahnknoten Stuttgart zu erhalten. Für die NRWZ berichtet Gunnar Link.
Der Film beleuchtet vor allem die Entstehungsgeschichte des Projekts „Stuttgart 21“ mit der Gegenüberstellung von früheren Behauptungen und heutigen Erkenntnissen. „Der Verkehr kann verdoppelt werden“, verkündete der damalige Aufsichtsratsvorsitzende der Bahn Heinz Dürr im Jahr 1998. In der S21-Schlichtung im Jahr 2011 sei der S21-Bahnhof mit unrealistisch kurzen Haltezeiten schön gerechnet worden.
Heute wisse man, dass der unterirdische acht-gleisige Durchgangsbahnhof weniger Kapazitäten biete als der derzeitige 16-gleisige Kopfbahnhof. Die Gleise würden bei Stuttgart 21 zudem meist doppelt belegt sein. Für Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Fildern „…die Katastrophe schlechthin. Ein Zug vorne, einer hinten. Da würde das Chaos ausbrechen“.
Nach Stuttgart 21 kommt Stuttgart 21 2.0
Zwischen die Filmsequenzen aus der Entstehungsgeschichte werden aktuelle Wortbeiträge gestreut. So kommt unter anderem Klaus Gebhard (Ingenieure22) zu Wort, der den ausufernden klimaschädlichen Tunnelbau kritisiert. Zu den bereits gebauten 51 Kilometern Tunnelstrecke in Stuttgart, kämen für Zulaufstrecken weitere 50 Kilometer Tunnelbauwerke hinzu.

Ein Beispiel ist der geplante Pfaffensteigtunnel für rund eine Milliarde Euro, der zukünftig die Gäubahn über den Flughafen mit dem Tiefbahnhof verbinden soll. „Das ist in der Summe ein zweites Stuttgart 21“, so Gebhard. Zugespitzte Kommentare gibt es im Film von Bildhauer Peter Lenk zu hören, Lenk lässt kein gutes Haar an den politischen Verantwortlichen, ob von der CDU, der SPD oder den Grünen.
Kopfschütteln im Publikum
In der anschließenden Fragerunde konnte das Publikum Informationen von den beiden Bahn-Experten Roland Morlock und Wolfgang Grohe bekommen. „Die Kritikpunkte an Stuttgart 21 sind bisher eins zu eins eingetroffen“, so Grohe. Die geringere Kapazität, die Kostensteigerungen und auch, dass Stuttgart 21 in dieser Form nicht für den Deutschland-Takt tauglich ist.

Um die Kapazitäten auch im regionalen Bahnverkehr erhöhen zu können, hält Grohe eine Lösung für denkbar, nach der der Fernverkehr unterirdisch, der Nahverkehr aber größtenteils oberirdisch verkehren wird. Das entspräche der Idee des Verkehrswissenschaftlichen Instituts Stuttgart aus dem Jahr 1982. Der vergangene Woche vom Landesverkehrsministerium präsentierte Vorschlag eines „Nahverkehrsdreieck“ als Ergänzung zum Hauptbahnhof bestätigt diese Tendenz.
Baugenehmigung ist noch lange nicht Betriebsgenehmigung
Auf die Frage, ob der unterirdische Bahnhof im Hinblick auf den Brandschutz und zu enge Kurvenradien überhaupt in Betrieb gehen könne, antwortete Grohe. „Gebaut wird Stuttgart 21, da es eine Baugenehmigung gibt. Eine Betriebsgenehmigung ist das aber nicht.“ Hauptkritikpunkte sind eine fehlende dritte Rettungsröhre im „Fildertunnel“ und die 6 Meter Höhendifferenz am Bahnsteig. In Köln seien bei geringerer Längsneigung schon mehrfach unzulänglich gesicherte Züge weggerollt. Auch die „Brandschutzabnahme sei eher fraglich“, so Grohe. Bei eigenen Evakuierungs-Simulationen sei man auf 25 bis 40 Minuten gekommen, um einen Regionalzug zu räumen. Die Bahn geht bisher von deutlich geringeren Werten aus.
Den geplanten zusätzlichen „Pfaffensteigtunnel“ zwischen Sindelfingen und dem Stuttgarter Flughafen sieht Grohe als „Kulminationspunkt von Stuttgart 21“. Der etwa elf Kilometer lange Tunnel soll rund eine Milliarde Euro kosten und eine Zeitersparnis von lediglich vier Minuten bringen. Durch dieses teure Tunnelbauwerk würde der Kosten-Nutzen-Index der gesamten Gäubahn-Strecke gesenkt und folglich der zwei-gleisige Ausbau der Gäubahn deutlich erschwert.
Auf die Frage, ob die Stadt Stuttgart die Gleis-Flächen in ein paar Jahren bebauen dürfe, antwortete Grohe: „So lange Betriebsbedarf an den bisherigen Zulaufstrecken besteht, darf nicht gebaut werden“. Roland Morlock ergänzte, dass in Stuttgart Bad-Cannstatt seit 20 Jahren ebenfalls ehemalige Bahnflächen brach lägen. Da solle die Stadt Stuttgart zuerst dort baulich tätig werden.
Die „Panorama-Strecke“ von Vaihingen in den Stuttgarter Talkessel bliebe nach derzeitigen Plänen zumindest bis zu einem „Nordhalt“ in der Nähe des heutigen Nordbahnhofs erhalten. Das Ziel der „Ingenieure22“ ist aber nach wie vor, „der Erhalt des Stuttgarter Kopfbahnhofs“.

Ob das gelingt? Die Stuttgarter Kritiker des Bahnprojekts werben um Unterstützung. Auch vor Ort könne man aufklären und deutlich machen, welch gigantische Fehlplanung da gerade umgesetzt wird.
2006 stimmten Teufel und Kleinmann für den Projektbeschluss, 2011 zur Volksabstimmung der Landkreis Rottweil mit 65% gegen einen Ausstieg aus der Projektfinanzierung. Ich denke wir bekommen so ganz genau die Gäubahn, die wir fleißig und geschlossen gewählt haben. Bleibt zu hoffen, dass die besonders geschlossen Wählenden, für die S-Bahn Jahre schon mal die Anstaltspackung Tena-Senior im Rucksäckle vorrätig haben, sonst könnte die Fahrt nach Stuggi, zum Schmuckstück auf das dann alle stolz sind, zum eigentlichen Erlebnis werden.