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„„Ich kann mich doch nicht ein halbes Jahr vergraben?““, Veröffentlicht: Freitag, 5. Februar 2021, 22.06 Uhr

„Ich kann mich doch nicht ein halbes Jahr vergraben?“

Im Städtle und auf „Telegram“ kursierte dieser Tage der Aufruf zu einem „Lichter-Event“ am Freitag in Schramberg.  Gegen 17.45 Uhr hatten sich an die 40 Menschen vor dem Rathaus versammelt, darunter auch etliche Kinder. Eine Frau erläutert per Megafon, dass drei junge Leute und sie in orangen Warnwesten als Ordner fungierten. Man müsse die Corona-Bedingungen einhalten. Und, das betont sie ausdrücklich, jede Form von Extremismus sei unerwünscht.

Um 18 Uhr zieht die Schar langsam die Fußgängerzone hinauf. In der Fußgängerzone sollten die Teilnehmer Kerzen aufstellen. Sicherheitshalber hatte die Organisatorin  ihre Kinder nicht nur mit orangen Ordnerwesten, sondern auch mit dutzenden Teelichtern ausgestattet. Die stellen sie entweder selbst auf oder verteilen sie an andere Kinder.

„Risiko eingehen“

Später in der Fußgängerzone treffe ich die Frau mit dem Megafon. Worum es ihr gehe, frage ich. Das Wort Corona taucht im Flugblatt nämlich nicht auf. „Es fehlt ein langfristiger Plan der Bundesregierung“, so ihre Kritik. Gefragt, ob sie denn einen hätte, entgegnet sie: „Nein, habe ich nicht. Wir müssen eben ein Risiko eingehen.“ Konkreter wird sie nicht.

Zu dem „Event“ aufgerufen habe sie, auch, „um sich mit Gleichgesinnten zu treffen“. Diese Gleichgesinnten hatte sie über „Telegram“ aufgefordert, mit eigenen Ideen und selbst gebastelten Schildern zu kommen. Auf den Plakaten warnten die Teilnehmer etwa vor der „großen Diktatorin“ – gemeint ist Angela Merkel. Eine andere Teilnehmerin beklagte „Atem, Nähe, Bewegung“, das alles werde ihr genommen. Die Bitte, doch im Gespräch einen Mundschutz zu tragen, lehnt sie ab. Die Maske mache krank, das sei bewiesen, der CO2-Gehalt im Blut steige, „der Adrenalinwert verfünffacht sich.“ Bei dieser Behauptung hatte sie allerdings Pech, denn sie war an Dr. Werner Klank geraten….

Ein weiterer Teilnehmer forderte von den Pressevertretern „die Wahrheit“ zu berichten. Er zitiert Konfuzius. Auch gehe es ihm um Nächstenliebe. Den Wunsch „aus Nächstenliebe und Höflichkeit“ einen Mund-Nasenschutz im Gespräch zu tragen, erwiderte er mit lautstarkem Gebrüll.

„Wir2020“ auch dabei

Unter den Kundgebungsteilnehmern war  auch der Landtagswahl-Kandidat im Kreis Rottweil von „Wir2020“. Diese Partei hatte der Sinzheimer Arzt und Corona-Aktivist  Bodo Schiffmann mitgegründet, aber rasch wieder verlassen. Das berichtete unter anderem die Rhein-Neckar-Zeitung. Die Aufklärungsarbeit sei ihm „wichtiger als die Arbeit in der Partei.“

Schiffmann ist erfahrener Parteigründer. Im Frühjahr 2020 hatte Schiffmann „Widerstand 2020“ ins Leben gerufen – und schnell auch diese Gruppierung wieder verlassen. Der hiesige „Wir2020“-Bewerber gibt als Adresse Immendingen-Ippingen an. Sein Zweitkandidat Roman Lasota stammt aus Schramberg-Waldmössingen.

Die „Mainstream-Medien“ attackiert ein weiterer Kundgebungsteilnehmer und fordert selbständiges Denken. Ein Junge hat auf einem Zettel geschrieben: „Ich will in die Schule.“

Dass die Schulen wieder geöffnet werden sollen, das findet auch die Kundgebungsverantwortliche. „Die Coronamaßnahmen sind nicht mehr verhältnismäßig.“ Die Kollateralschäden zu hoch. Die Grundschulkinder und die Abschlussklassen sollten wieder unterrichtet werden. Aber nur im Wechselunterricht. Die anderen älteren Schüler könnten noch länger zu Hause bleiben. Das war doch eigentlich auch das Konzept der Landesregierung – bis die Mutationen auftauchten? „Ich kann mich doch nicht ein halbes Jahr vergraben“, entgegnet sie.

Namenlos

Eine Passantin möchte wissen, ob sie jemand kenne, der an oder mit Corona erkrankt oder gestorben sei. Sie leugne ja nicht, dass es das Virus gebe. „Meine Mutter ist dran gestorben“, entgegnet die Passantin. Die Organisatorin: „Ich kenne auch 97 Jährige, die dran erkrankt sind und wieder gesund wurden.“

Warum sie als Organisatorin der  Kundgebung und Lichteraktion partout ihren Namen nicht nennen möchten? „Weil ich dann meinen Job verlieren würde.“ Weshalb sie da so sicher sei? „Ich bin doch nicht blöd.“ Es gehe ihnen auch um den Einzelhandel, sagt sie. „Ich habe mitbekommen, auch zwei Friseurinnen sind heute dabei.“ Die habe sie aber noch gar nicht getroffen, sagt sie und verabschiedet sich.

Gegen 18.45 Uhr nieselt es in der Fußgängerzone. Ein Polizeiwagen kommt am Narrenbrunnen vorbei. Nach und nach verläuft sich die Versammlung.

 

 

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