Einen ganzen Tag hatte sich die Landesbehindertenbeauftragte Stephanie Aeffner Zeit für einen Besuch der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn genommen. Dort sprach sie mit Vertreterinnen und Vertretern von Heim-, Werkstatt- und Angehörigenbeirat sowie der Frauenbeauftragten der Werkstätten. Im Mittelpunkt stand laut einer Pressemitteilung der Stiftung die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG).
Es gab keine Frage, auf die Aeffner keine Antwort hatte. Die 41-Jährige, die
seit gut drei Jahren das Amt der Landesbehindertenbeauftragten bekleidet,
zeigte sich sattelfest in allen Bereichen, zu denen Angehörige, Bewohner und
Mitarbeiter der Werkstätten Fragen an sie stellten. Vielfach konnte sie mit
konkreten Tipps weiterhelfen.
Antragsdschungel belastet Angehörige
Die schrittweise Umsetzung des 2015 in Kraft getretenen BTHGs, das Menschen mit Behinderung individuellere Gestaltungmöglichkeiten ihres Arbeits- und Privatlebens ermöglichen soll, beschäftigte die Mitglieder des Angehörigenbeirats außerordentlich. Vor allem der zeitaufwendige Antragsberg im Zusammenhang mit der Festlegung individueller Bedarfe bereitet vielen Angehörigen und Betreuern Kopfzerbrechen.
Die Betreuer seien vielfach überlastet, bemängelte etwa Margarete Schon, die Vorsitzende des Angehörigenbeirates. Aeffner konnte der Kritik folgen, verwies aber darauf, dass die Betreuer Hilfestellungen beantragen könnten.
Berater beim Landratsamt nicht ausreichend geschult
Problematisch sei bisher allerdings, dass die zuständigen Berater bei den Landratsämtern noch nicht ausreichend geschult seien, räumte sie ein. Klar wurde: Der Bedarf ist das eine, ihn in individuelle Leistungen zu übersetzen, das andere. Das werde noch lange dauern, bemerkte auch Andrea Weidemann, die Leiterin des Aufgabenfeldes Behindertenhilfe in der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn. Sie begleitete die Runde.
Themen wie die unzureichende Betreuung von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus, die am wirklichen Bedarf orientierte Berechnung von Inkontinenzleistungen sowie Angebote für Menschen mit Behinderung im Seniorenalter, zeigten zudem, wo die Angehörigen noch der Schuh drückt. Aeffner nahm deren Sorgen auf und gab Anregungen zum Umgang damit.
Lebenspraktische Fragen
Konkrete lebenspraktische Fragen beschäftigten die 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt in Heiligenbronn und die Mitglieder der Bewohnerbeiräte aus Heiligenbronn und Rottweil in der Diskussion mit Stephanie Aeffner. Es kam beispielsweise die Frage auf, wer denn für den für die leistungsberechtigte Person ein Konto einrichte, etwas, was laut Bundesteilhabegesetz nötig ist, um die Gelder für die Unterkunft und Begleitung der Menschen in der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn zu überweisen. „Wer verwaltet unser Geld und wer bezahlt unser Kantinenessen in Zukunft?“, waren weitere Fragen. Da konnte Aeffner beruhigen: „Für Menschen mit Behinderung wird sich da nicht viel ändern.“
Betreuer spielen auch in Zukunft eine große Rolle für die, die Hilfe benötigen. Menschen mit Behinderung bekommen aber im Gegenzug mehr Freiheit, ihr Leben selbstbestimmt zu planen. Dass etwa eine ganze Wohngruppe im Kino einen Action-Film anguckt „und Sie müssen mit, weil nur ein Betreuer für die Gruppe da ist“, soll bald der Vergangenheit angehören, erklärte Aeffner.
Mehr Personal für Betreuung nötig
Sie machte aber auch deutlich, dass gerade für die individuelle Begleitung mehr Personal nötig sei, das gefunden und finanziert werden müsse. Konkrete Fragen zum für Blinde und Sehbeeinträchtigte schwierigen Busfahren ohne Ansage der Haltestelle, zu fehlenden Untertiteln von Filmen sowie die zunehmende Verbreitung von Touchscreens, beschäftigte die Runde ebenfalls.
Aeffner gewann in den Gesprächen einen tiefen Einblick in die individuellen Sorgen und Nöte der Menschen mit Behinderung und ihrer Betreuer. So nahm sie zahlreiche Anregungen aus dem diskussionsreichen Tag mit nach Hause und in ihre Gespräche mit Leistungsträgern und politisch Verantwortlichen auf Landes- und Bundesebene.