SCHRAMBERG – Auf der Totentafel des Jahres 2022 steht in Schramberg auch Franziska Grimm in Leonberg. Die Enkelin des Gewerkschafters und Politikers Josef Andre (1879 bis 1950) hat sich bei der Erinnerung an ihren bedeutenden Großvater bleibende Verdienste erworben.
Franziska Grimm, die durch die Beschäftigung mit ihrem Großvater die alte Heimatstadt ihrer Familie im Schwarzwald neu entdeckte, ist bereits am 22. Juli im Alter von 68 Jahren in Stuttgart verstorben. Ein Nachruf zum Jahresende erinnert an sie – und würdigt ihre Liebe zu Schramberg.
Ihr Großvater Josef Andre (1879 bis 1950) ist der bedeutendste Politiker, der bis heute aus Schramberg hervorgegangen ist. Die Karriere des katholischen Schreiners aus dem Stadtteil Spittel begann bereits im Kaiserreich als „Arbeitersekretär“ der Diözese Rottenburg. Josef Andre stieg danach zu einem der führenden katholischen Sozialpolitiker im Deutschen Reich auf. Er engagierte sich für die Christlichen Gewerkschaften, die Katholischen Arbeitervereine und für die Zentrumspartei, für die er 1906 in den Landtag des Königreichs Württemberg gewählt wurde. Seit 1897 lebte er in der Landeshauptstadt Stuttgart. In der Weimarer Republik gehörte er der verfassungsgebenden National- und Landesversammlung sowie dem Reichstag und Landtag an, verlor als kämpferischer Demokrat in der Zeit des Nationalsozialismus alle seine Ämter, wirkte in der Nachkriegszeit aber als einer der Gründer der CDU und Minister der Regierung des Landes Württemberg-Baden wieder an führender Stelle beim demokratischen Neubeginn mit.
Nach seinem Tod benannte der Gemeinderat der Stadt Schramberg eine Straße nach ihm – die bis heute einzige „Josef-Andre-Straße“, die es in Deutschland gibt. In Erinnerung gerufen wurde er in seiner Heimatstadt zum ersten Mal wieder im Jahr 1989 in dem Buch „Stadtgeschichtliches. Ehrenbürger. Ortsvorsteher. Abgeordnete“ des damaligen Stadtarchivars Franz Fehrenbacher (1914 bis 2009).
Franziska Grimm war eine Tochter von Luzia Nauerz (1911 bis 2000), dem dritten von insgesamt sechs Kindern aus der ersten Ehe von Josef Andre mit Maria Balbina Faist (1881 bis 1932), die ebenfalls aus Schramberg stammte. Beruflich war sie von 1999 bis 2017 als Büroleiterin im „Arbeiterzentrum“ der Katholischen Betriebsseelsorge Böblingen ebenfalls in der Themenwelt ihres Großvaters zu Hause. Auch sie war ehrenamtlich in der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) aktiv.
In der Zeit einer schweren Krankheit, gegen die sie seitdem immer wieder mit beeindruckendem Lebensmut ankämpfte, begann sie sich für die Geschichte ihrer Familie zu interessieren. Sie sammelte bei ihren Familienangehörigen und in Archiven Fotos und Dokumente und arbeitete bei ihren Recherchen mit dem Stadtarchiv Schramberg eng zusammen. Die Ergebnisse wurden zum 60. Todestag von Josef Andre am 15. März 2010 in einer Gedächtnisausstellung des Stadtarchivs Schramberg in Kooperation mit dem CDU-Stadtverband Schramberg und dem Museums- und Geschichtsverein Schramberg im Spittel-Seniorenzentrum der Öffentlichkeit vorgestellt. Zur Eröffnung sprach als Festredner der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel. Abgerundet wurde das Gedenkjahr durch den Beitrag „Josef Andre (1879-1950). Arbeitersekretär und Landesvorstand der Katholischen Arbeitervereine der Diözese Rottenburg“ von Franziska Grimm in der Zeitschrift „D’Kräz – Beiträge zur Geschichte der Stadt und Raumschaft Schramberg“ 30 (2010).
Zuletzt beteiligte sich Franziska Grimm an der Feierstunde zur Eröffnung der Ausstellung „100 Jahre Demokratie in Deutschland – und in Schramberg“ im Stadtmuseum Schramberg am 23. November 2018, zu der eine Postkarte erschien, für die Uwe Rettkowski ihren Großvater sowie den DDP-Politiker Rudolf Linkenheil (1880 bis 1939) und den SPD-Politiker Albert Bauer (1889 bis 1959) aus Schramberg gezeichnet hatte, die alle im Jahr 1919 in die verfassungsgebende Versammlung des Freien Volksstaates Württemberg gewählt worden waren. Großes Interesse hatte sie außerdem an der Geschichte der Steingut- und Porzellanfabrik, in der ihr Großvater Martin Faist (1851 bis 1917) als Porzellanmaler gearbeitet hatte.
Die stets engagierte und überaus herzliche Frau fand auch in der alten Heimatstadt ihrer Familie im Schwarzwald viele Freunde. Im Nachruf der Katholischen Betriebsseelsorge Böblingen steht: „Wer sie kannte, der wusste um Franziskas Gläubigkeit, um die sie nicht viel Aufhebens machte. Ihr Christsein war ein Christsein der Tat. Tief im Glauben verwurzelt, hat sie diesem in ihrem Engagement Ausdruck verliehen.“ So wird sie als Enkelin von Josef Andre auch in Schramberg in guter Erinnerung bleiben.