Soziale Einrichtungen wie der Schramberger „Tafelladen“ oder der Second-Hand-Kinderkleiderladen „Radlrutsch“ an der Schramberger Geißhalde kommen mit dem Ansturm an hilfsbedürftigen Geflüchteten kaum noch nach. Doch schnelle Hilfe ist nicht in Sicht.
SCHRAMBERG (him) – „Hassan, Hussein, Abdul…“ Eine Mitarbeiterin des Schramberger Tafelladens steht am Dienstag früh in der Ladentüre und ruft Namen von Wartenden auf. Sie teilt jedem der Wartenden eine Nummer zu. Um den Andrang am Dienstagvormittag und am Freitagnachmittag ein wenig zu steuern, haben sich die Tafelladen-Leute dieses System ausgedacht. Zuerst müssen alle Einkaufsberechtigten ihren Ausweis, den die Stadt ausgestellt hat, abgeben. Dann bildet das Tafelladenteam sieben Gruppen, die nacheinander in den Laden eingelassen werden.
Die erste Gruppe ist an der Reihe. „Nummer eins“, ruft die Mitarbeiterin in der Tür, keine Reaktion: „Number one.“ Ein junger Mann quetscht sich durch die Menge und gibt sein Nümmerle ab.
Diesmal sind es „nur“ zehn Leute, die in dem kleinen Raum sich drängeln. Sofort ist das Kühlregal dicht umringt. Jeder und jede greift nach Joghurt, Wurst, Quark. Dann weiter ans Obst- und Gemüseregal: In Windeseile sind fast alle Päckle weg, bis auf Exotisches wie Rosenkohl.
„Wer kann arabisch?“ fragt mit leicht mutlosem Unterton Elisabeth Spöttle, die langjährige Chefin des Tafelladens. Christa Ottmar beobachtet die Szenerie seit Wochen: „Die Großen überrennen die kleinen.“ Dabei könnte jeder das bekommen, was er braucht, auch wenn der Tafelladen „so wahnsinnig viel Ware“ auch nicht erhalte.
Damit in jeder Gruppe die gleichen Chancen bestehen, hatte das Tafelladenteam vorab in einem Nebenraum die vorhandenen Lebensmittel in sieben gleiche Portionen aufgeteilt. Sobald eine Gruppe den Einkauf beendet hat und aus dem Raum draußen ist, werden die Regale für die nächste Gruppe wieder aufgefüllt. „Wir verkaufen die Sachen zu etwa zehn Prozent ihres Ladenverkaufspreises“, erläutert Spöttle Stadtrat Udo Neudeck, der sich selbst ein Bild von den Verhältnissen machen möchte.
Vor der Türe müde Gesichter. Die Menschen sind entweder genervt vom Warten oder von ihrer Lebenssituation. Eine Frau aus der Raumschaft kickt eine herumliegende Einkaufstüte wütend zur Seite. „Die benehmen sich wie die Wilden da drin“, schilt sie. „Die nehmen die Körbe und schieben alles rein, andere bekommen nichts mehr.“ Sie beschwert sich, dass keine Ordnung herrsche. Eine viertel Stunde später ist sie selbst an der Reihe, drückt sich am Kühlregal mit ausgefahrenen Ellenbogen durch und schiebt in ihren Korb, was sie ergattern kann.
Eine junge Frau, vor acht Jahren aus Polen nach Deutschland gekommen, berichtet, dass sonst „die Leute schreien, streiten, schlagen.“ Heute seien nicht so viele gekommen, da sei es besser.
Doch auch Erfreuliches geschieht in diesen Tagen: Elisabeth Spöttle hat einen Gönner. Der anonyme Spender hat es ihr ermöglicht für das muslimische Opferfest kleine Päckchen mit Süßigkeiten zu richten: Die werden an alle verteilt, egal welcher Religion sie angehören. „Ich hab‘ auch gelernt, dass man sich da mit ‚Id Mubarak‘ grüßt – wie der frühere ägyptische Präsident.“ Zum Nikolaus lässt der Spender sich ebenfalls nicht lumpen, da bekommt jeder Besucher des Tafelladens fünf Euro.
Gefragt, weshalb es so ein Getümmel gibt, hat Spöttle eine mögliche Erklärung: Etlichen Flüchtlingen sei klar, dass sie nicht bleiben können. Die schauten, dass sie in der Zeit, in der sie hier sind möglichst viel zusammen bekommen, bevor sie zurückkehren müssen. „Bei denen, die aus dem Krieg kommen, ist das anders.“
Zu dieser Gruppe gehören zwei Brüder, Siad und Gazan sitzen vor der Türe auf dem Parkplatz. Seit Anfang September leben sie in der Schiltachstraße. Neun junge Männer in einer Wohnung. Wie das klappt: „Naja, es geht“, erzählen die beiden auf Englisch. Sie seien „wegen Daesch“ das ist der arabische Ausdruck für die IS-Terroristen, geflohen. Vier Monate seien sie auf der Balkanroute unterwegs gewesen. Beide würden gern ihr Studium in Deutschland fortsetzen, der eine ist angehender Jurist, sein Bruder hat in Syrien Bauingenieurwesen studiert. Klar ist beiden, dass sie Deutsch lernen müssen. Ein Kurs, ein oder zweimal in der Woche sei ihnen aber zu wenig. Und Lehrbücher fürs Selbststudium sind teuer. Sonja Rajsp vom Netzwerk Willkommen will da helfen.
Der Herbstbeginn macht den Tafelladenleuten Sorgen: Wie können wir dafür sorgen, dass die Leute nicht im Regen und bei Kälte draußen stundenlang warten müssen? Der für Kultur und Soziales verantwortliche Fachbereichsleiter Berthold Kammerer kommt gegen Mittag vorbei, er bittet um etwas Geduld und verspricht, sich um eine Lösung zu kümmern. Vielleicht gibt es ja in der Nachbarschaft einen Raum, in dem man ein paar Tische und Bänke aufstellen kann. Was Kanzlerin Angela Merkel für ganz Deutschland fordert, gilt eben auch in Schramberg: „Wir müssen improvisieren.“ Und das müssen wir noch ein bisschen üben.
Radlrutsch ebenfalls unter Druck
Im selben Gebäude wie der Tafelladen befindet sich auch die DRK-Kleiderkammer und das ElKiCo. Der Verein verkauft seit vielen Jahren in seinem Kleiderladen „Radlrutsch“ in erster Linie Kinderkleidung und Spielsachen auf Kommission. Außerdem gibt es Räume für Gruppenabende, ein Spielzimmer für Kinder und demnächst auch ein kleines Café, in dem sich Eltern treffen und austauschen können.
Auch die im Radlrutsch ehrenamtlich Tätigen haben wegen des Flüchtlingszustroms alle Hände voll zu tun: Viele der neuen Kunden verstehen das System nicht. „Deshalb wäre es gut, wenn Paten die Kunden beim ersten Mal begleiten würden“, so Sylke Bühler von ElKiCo. Manchmal hätten sie am Samstag den ganzen Laden wieder aufräumen müssen, weil alles kreuz und quer lag, ergänzt Sonja Mink. Und leider werde manchmal auch geklaut. Wegen des „Halligalli“ an manchen Öffnungstagen hätten sich leider einige alleinerziehende Mütter zurückgezogen, bedauert die ElkiCo-Vorsitzende Sabine Fehrenbach. Auch sie hofft auf mehr Unterstützung.
Info: Die Schramberger Tafel bekommt Lebensmittel und Backwaren aus Supermärkten und von Bäckereien, deren Haltbarkeitsdatum fast abgelaufen ist und gibt diese Lebensmittel sehr günstig ab. Zum Einkaufen im Tafelladen sind alle Bürger berechtigt, deren Einkommen bis zu zehn Prozent über den Sätzen für Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II liegt. Einen Ausweis bekommt man bei der Stadtverwaltung. Träger der Tafel sind vier Kirchengemeinden der beiden großen Kirchen und die Arbeiterwohlfahrt.