Eine Gruppe in Schramberg wendet sich gegen den Ausbau von Mobilfunkanlagen mit dem neuen ultraschnellen 5-G Standard. Sie schreiben offene Briefe an die Oberbürgermeisterin und die Gemeinderatsfraktionen, sie verschicken Petitionen und Broschüren.
Eine Veranstaltung der Gruppe im vergangenen Herbst besuchten etwa 200 Leute. Sie wollen verhindern, dass für 5 G neue Sendemasten aufgebaut werden. Sie fürchten, dass der neue Standard schädlich für die Gesundheit sein könnte.
Die Stadtverwaltung dagegen sieht eher die Notwendigkeit, den Mobilfunk weiter auszubauen und bestehende Funklöcher zu „stopfen“, etwa im Bereich Remsbachhof in Tennenbronn.
Was bringt 5 G? Umfrage unter großen Schramberger Betrieben
Der neue Standard soll es ermöglichen, enorme Datenmengen praktisch in Echtzeit zu übermitteln. Er sei deshalb besonders für die Industrie wichtig, argumentieren die Befürworter. Die NRWZ hat fünf große Schramberger Betriebe zum Thema befragt. Geantwortet haben Kern-Liebers, Trumpf, Schweizer Electronic, MS-Schramberg und HGears. Letztere allerdings nur kurz: „Dieses Thema hat gerade bei uns nicht die Priorität“, schreibt Claudia Link-Gaal, Assistentin der Geschäftsleitung, man werde nach den Sommerferien 5 G „andiskutieren“.
Die NRWZ wollte zunächst wissen, was sich die Unternehmen vom 5 G-Standard versprechen und welche konkreten Anwendungen in ihrem Unternehmen sie sehen.
Der Vorsitzende der Geschäftsleitung von Kern-Liebers, Dr. Udo Schnell, betont, dass 5 G „für die industrielle Anwendung konzipiert“ worden sei. „Die Anwendungsmöglichkeiten sind so vielfältig, dass sich deren konkrete Anwendungsfälle heute teilweise erst erahnen lassen.“ So könnten Daten aus Produktionsumgebungen visualisiert und Produktionsanlagen vernetzt werden.
Schnell ist überzeugt, dass der 5 G-Standard es Unternehmen ermöglichen werde, insbesondere ihre Fertigungsbereiche effizienter abzudecken. „Bedingt durch die geringen Latenzzeiten ergeben sich neue Möglichkeiten im Bereich von Echtzeitanwendungen, wie bei der Produktionskontrolle, Logistik und Automatisierung.“

Markus Faßbinder, Leiter Informationstechnologie und Digitalisierung bei MS-Schramberg ist skeptischer: Mit 5 G versuche sich eine Technologie zum Standard in einem Umfeld zu etablieren, in dem heute schon viele Anwendungen via WLAN arbeiteten. „Wir haben im Bereich WLAN die entsprechende Ausleuchtung und Anwendung bereits etabliert. Derzeit sehen wir keine Anwendung, die wir neu mit 5 G umsetzen könnten oder eine bestehende WLAN Lösung mit 5 G ablösen würden.“
Lisa Jeske, Assistentin der Geschäftsleitung beim Leiterplattenhersteller Schweizer, sieht zwei Anwendungsbereiche für ihr Unternehmen: „Zum einen im Bereich der Industrie 4.0 für das Produktionsumfeld, mithin insbesondere der Anlagenvernetzung.“ Zum anderen könnte Schweizer im Bereich der Technologie „als Lieferant von für das System notwendiger Leiterplatten“ aktiv werden.

Christian Bauer beschäftigt sich im Trumpf-Konzern mit dem neuen Standard. Er ist überzeugt, dass 5 G für die Industrie wichtig sei. Firmen könnten „Campus-Lizenzen“ erwerben. Das seien Frequenzen, „die ausschließlich einem Unternehmen zur Verfügung stehen. Das ist ein wesentlicher Vorteil beispielsweise gegenüber WLAN, denn hier überlagern sich Sendegebiete, und es kann zu Störungen kommen.“ Mit 5G passiere das nicht. Die geringere Latenzzeit mache es außerdem möglich, dass „Roboter Befehle möglichst ohne Verzögerung ausführen“.
Wie wichtig ist 5 G wirklich für die Industrie?
Die NRWZ hat Vertreter der High-Tech-Unternehmen weiter gefragt: Was würde passieren, wenn 5 G in unserer Region oder generell nicht eingeführt würde?
Für die MS-Schramberg sieht Fassbinder zunächst keine großen Nachteile: „In der nahen Zukunft würden wir das nicht bemerken.“ Beim Internet of things, also der Selbstorganisation von industriellen Prozessen durch die direkte Kommunikation von Maschinen und Anlage untereinander, rechnet er mit Anwendungsfeldern in den nächsten drei bis fünf Jahren. „Bis dahin muss sich zeigen, ob 5 G eine echte Alternative zum WLAN ist.“
Schnell fürchtet, dass sich für Kern-Liebers möglicherweise zukünftige Geschäftsfelder verschließen würden, wenn 5 G nicht käme. „Auch wenn Kern-Liebers nicht direkt an der Technologieentwicklung beteiligt sein wird, sind zukünftige Aufträge von Unternehmen, welche Komponenten in diesem Bereich fertigen, zu erwarten.“ Für die Fertigung im Unternehmen erwartet Schnell allerdings keine negativen Effekte, wenn 5 G nicht käme, „da durch neue Technologien wie WiFi 6 eine ausreichende Alternative zur Verfügung steht“.

Deutlich kritischer sieht Lisa Jeske von Schweizer einen Stopp bei 5 G: „Für uns als Technologie- und Produktionsunternehmen würde dies das Ausbleiben von Umsatzpotentialen und technologischen Entwicklungen bedeuten.“ Für Deutschland sieht sie einen „signifikanten und nicht ausgleichbaren Wettbewerbsnachteil“ zu anderen Weltregionen, in denen diese Technologie flächendeckend eingesetzt werden.
Gefragt, ob die Schramberger Unternehmen schon in die neue Technologie investiert haben, antwortet Jeske: „In umgekehrter Form ja: Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in die Markterschließung.“
Weil 5 G in Schramberg noch nicht verfügbar sei, sei eine Investition, die 5G voraussetze, „aktuell noch verfrüht“, erläutert Udo Schnell für Kern-Liebers. Auch die MS-Schramberg hat noch keine Investitionen geplant oder durchgeführt, so Faßbinder. Bei Trumpf engagiert sich Bauer in verschiedenen Gremien, um die neue Technologie mit zu gestalten, er investiert also Zeit.
Die Insel- oder Campuslösung
Umstritten ist, ob 5 G flächendeckend oder nur als Insellösung, beispielsweise für die Betriebe im Industriegebiet Lienberg oder nur für den eigenen Betrieb eingerichtet werden könnte. Für Faßbinder und die MS sei eine Insellösung prinzipiell machbar, „unter der Voraussetzung, dass sich dies in unser Netzwerk problemlos einbinden lässt.“ Eine Entscheidung zwischen Technologien sei „immer eine Kosten/Nutzen Frage“.

„Eher kritisch“ sieht Udo Schnell solche Insellösungen, denn sie „widersprechen dem Grundgedanken der Technologie – Netzverfügbarkeit jederzeit und überall auf allen Geräten – und werfen langfristig wieder neue Probleme auf“. Würden die Telekomanbieter allerdings 5 G nicht ausreichend anbieten und 5 G etwa im Bereich der Fertigung oder Logistik unverzichtbar werden, seien Campuslizenzen eine Möglichkeit, um dies auszugleichen.
Ähnlich sieht es Lisa Jeske von Schweizer. Auch sie hält ein Campus-Netz, also ein auf das Gebiet und die Nutzung durch die Schweizer Electronic beschränktes 5 G-Netz für „interessant“, zum Beispiel für Anwendungen im Bereich Industrie 4.0. Trumpf-Experte Bauer weist auf einen weiteren Vorteil solcher Campuslösungen hin: „Innerhalb des Frequenzbands eines Unternehmens lassen sich Sub-Netze für spezielle Anwendungen einrichten.“ Bei diesen Sub-Netzen könnte man sich je nach Bedarf auf einen 5G-Vorteil fokussieren, zum Beispiel auf eine geringe Latenzzeit.
5 G und die Gesundheit
Die Sorgen, dass 5 G gesundheitsschädlich sein könnte, kennen die Unternehmen durchaus, sie teilen sie aber nicht. Markus Faßbinder von MS-Schramberg möchte sich da lieber raushalten und antwortet: „Diese Einschätzung ist von Experten zu treffen.“ Lisa Jeske von Schweizer Electronic meint, ihr Unternehmen sehe „aufgrund der bestehenden Sorgen Einzelner die Notwendigkeit, dass Politik und Netzbetreiber hier proaktiv informieren und aufklären“.

Kern-Liebers Chef Schnell bezieht sich auf die Fachleute: „Die internationale Kommission für den Schutz von nichtionisierender Strahlung sowie das Bundesamt für Strahlenschutz kommen zu der Einschätzung, dass die Technik – sofern die Grenzwerte eingehalten werden – unbedenklich ist.“ Zunächst ändere sich ja nicht viel: „5 G löst UMTS ab und arbeitet erst einmal auf den Frequenzbereichen, die auch bisher schon verwendet wurden.“
Die neue 5 G-Technologie könnte sogar Vorteile haben. Bisher sei noch nicht geklärt, was den Mensch eher belaste: die Strahlung der Sendemasten oder die der Smartphones. 5 G erfordere mehr Sendemasten. Dadurch, so Schnell, sei das eigene Smartphone dichter am nächsten Sendemast und könne die eigene Sendeleistung reduzieren.