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„Kern-Liebers-Chef: Wir müssen produktiver werden“, Veröffentlicht: Montag, 8. Februar 2021, 8.45 Uhr

Kern-Liebers-Chef: Wir müssen produktiver werden

Seit Anfang des Jahres ist Dr. Erek Speckert bei Kern-Liebers an Bord. Der 47-Jährige ist Nachfolger als Vorsitzender der Geschäftsführung von Dr. Udo Schnell, der Ende Januar in Ruhestand trat. Speckert hat Maschinenbau studiert und sich besonders mit Werkstofftechnik, Metallurgie und Umformen befasst. In Cambridge promovierte er im Bereich Elektrochemie.  Er entwickelte eine Batterie für Tiefseepipelines. Anschließend durchlief Speckert ein internationales Traineeprogramm bei Volkswagen. Die vergangenen 16 Jahr arbeitete er in verschiedenen Positionen bei Freudenberg in Weinheim. Bei einem gemeinsamen Gespräch hat Speckert Johannes Fritsche (Schwarzwälder Bote) und Martin Himmelheber (NRWZ) Rede und Antwort gestanden. Es ging um  Corona,  seinen Start im neuen Unternehmen, die Krisenbewältigung und die Unternehmenskultur.

Corona bestimmt

 Sie haben Ihre neue Stelle in Schramberg mitten im zweiten Lockdown in der Coronapandemie angetreten. Als wir  die Firma betreten haben, war ganz klar, Masken auf. Kein Händeschütteln als erstes Abtasten. Jetzt sitzen wir mit großem Abstand in einem Besprechungsraum. Eigentümliche Zeiten…

Wir sind da sehr strikt nicht nur in Schramberg, das betrifft alle Standorte. An erster Stelle steht für mich die Verantwortung des Unternehmens unsere Mitarbeiter zu schützen.  Hinzu kommt, dass wir sicherstellen, dass nicht ein Bereich wie der Versandt lahmgelegt wird. Ist da jemand Corona Covid 19 positiv, dann müssen Sie die Erstkontakte in Quarantäne schicken. Das bedeutet, dass ganze Bereiche zum Erliegen kommen. Und das gefährdet, dass wir unsere Teile produzieren und verschicken können.

Wie verhalten sich die Mitarbeiter?

99 Prozent unserer Mitarbeiter halten sich an die Regeln und finden das auch gut – aber Sie haben überall schwarze Schafe.

Wie sieht es mit dieser Maske aus? (zeigt die Kern-Liebers eigene Maske)

Die dürfen seit Ende Januar nicht mehr getragen werden. Die Coronaverordnung schreibt vor, dass wir medizinische Masken im Betrieb benutzen. Ich fand das aber eine gute Aktion, dass wir unsere Mitarbeiter mit diesen Masken ausgestattet haben. Es bedeutet, dass man sich mit der Firma identifiziert. Die Masken wurden auch wirklich viel getragen, bestimmt zwei Drittel der Belegschaft hat sie genutzt.

Und jetzt?

Wir stellen allen Mitarbeitern eine medizinische Maske, eine OP-Maske zur Verfügung. Wichtig ist aber auch, dass wir im Management genauso agieren. Wenn ich in der Produktion bin und sehe, dass sich jemand nicht daran hält, dann spreche ich ihn an. Es geht darum, die anderen zu schützen und nicht nur sich selbst.

Die von Huub Waulthers im Frühjahr entwickelte Kern-Liebers-Maske. Foto: him

Einstieg an der Basis

Sie sind nun gut einen Monat in Schramberg. Wie viele der etwa 50 Firmen im Kern-Liebers Konzern haben Sie schon kennengelernt?

Vier Wochen sind eine kurze Zeit. Wichtig war jetzt auch der Übergang von Herrn Dr. Schnell. Da war es wichtig, dass ich viel Zeit mit ihm verbringe. Coronabedingt waren die Besuche der Standorte außerhalb von Schramberg natürlich begrenzt. Ich bin aber „aufs Hardt“ gefahren. Ich war bei Bruker-Spalek und bei Bohnert. Ich war hier bei Carl Haas über die Straße und habe diese Firmen kennengelernt. Und was mir immer wichtig ist: Ich habe hier in verschiedenen Schichten in der Produktion mitgearbeitet.

Sie sind richtig in der Produktion dabei?

Am Anfang haben Sie die Möglichkeit, ein Unternehmen aus allen Facetten und Perspektiven kennenzulernen. Je länger Sie dabei sind, desto weniger Zeit haben Sie dafür. Ich finde aber wichtig, dass man auch die Perspektive der Mitarbeiter kennen lernt und mit ihnen ein paar Stunden gearbeitet und gesprochen hat.

Mitgearbeitet, im Blaumann und so?

Ja klar, in Jeans und Sicherheitsschuhen. Man hat mir hinterher erzählt, in der Schicht, in der ich war, sei die Produktivität sehr hoch gewesen (lacht). Nein‘ ich hab‘ da mitgearbeitet, wo ich nichts kaputt machen kann.

Ungewöhnlich…

Das mache ich eigentlich regelmäßig, weil, wenn Sie ein Unternehmen von dieser Größe leiten und sehr viel Zeit im Büro verbringen, ist die Gefahr da, dass Sie die Belange der Mitarbeiter in den Fabrikhallen nicht mehr mitbekommen. Alles, was Sie erfahren, ist durch viele Filter gelaufen.

Projekt Zukunft zur richtigen Zeit

Bei Kern-Liebers war genau das in der Vergangenheit wohl ein Thema: Die Belegschaft hat sich beklagt, dass viele Hinweise  von der Basis oben gar nicht ankommen…

Hab‘ ich gehört, ja. Gehen wir mal einen Schritt zurück. Was in den letzten zweieinhalb Jahren passiert ist, ist aus meiner noch externen Sicht, und ich kenne auch nicht alle Details, sehr positiv für das Unternehmen. Kern-Liebers war in eine gewisse Schieflage gekommen. Man hat das schon vor Corona im Jahr 2018 erkannt und die notwendigen Schritte eingeleitet und das ‚Projekt Zukunft‘ aufgesetzt. Man hat einen Ergänzungstarifvertrag verhandelt. Hätte man das nicht gemacht, wäre die Coronakrise im letzten Jahr zu einer extrem großen Hürde geworden.

Für die Belegschaft war das nicht so einfach…

Dass man bei Kern-Liebers die Restrukturierung angegangen ist, hat dazu geführt, dass das Unternehmen sehr gut durch diese Corona-Krise gekommen

Und was hat die Belegschaft davon – außer Gehaltseinbußen?

Mit dem Ergänzungstarifvertrag haben die Mitarbeiter  etwas auf den Tisch gelegt, was für das Unternehmen sehr hilfreich ist. Aus meiner Sicht ist das aber ein Win-Win, denn der Vertrag wurde vor Corona verhandelt. Unsere Mitarbeiter hier in Schramberg konnten letztes Jahr gut schlafen, weil wir eine Standortsicherung im Vertrag verankert haben. Das ist im Automobilgeschäft nicht mehr so oft üblich in Deutschland. Andere bauten tausende Stellen ab.

Letztes Jahr im März, April, Mai sind bei den Autofirmen alle Lichter ausgegangen. Da haben sich viele zu Panikmanagement veranlasst gefühlt. Und bis heute können unsere Mitarbeiter jeden Tag hier her fahren und wissen, ihr Arbeitsplatz ist sicher.

Verbesserungspotenzial

Alles gut also?

Ich sehe schon, dass wir noch viele Optimierungsmöglichkeiten haben. Wie Sie sagen,  es heißt, viele Dinge an Verbesserungspotenzial kämen nicht oben an. Das kann ich nicht beurteilen, aber ich sehe natürlich, dass wir viele Dinge in der Produktion noch verbessern können, wie zum Beispiel den Ausschuss.

Welchen Beitrag leistet das Management?

Die Verantwortung des Managements ist, dafür zu sorgen, dass wir produktiver werden. Sei es in Form von Investitionen. Sei es bei der Frage, wie machen wir diesen Standort zukunftsfähig? Das heißt also, wir müssen alle an einem Strang ziehen, da gehören beide Seiten dazu.

Kern-Liebers mit langfristigen Zielen

Sie kommen von einem Familienunternehmen- Freudenberg, Sie  sind wieder  bei einem Familienunternehmen.  Fallen da Entlassungen einfach schwerer, weil sich eine Familie mehr für ihre Leute verantwortlich fühlt als eine Kapitalgesellschaft?

Mir war klar, wenn ich bei Freudenberg weggehe, dann gibt es nur ein paar Unternehmen, wo ich hingehe. Dabei war mir das Thema Familienunternehmen sehr wichtig. In den 16 Jahren bei Freudenberg haben wir auch Produktion verlagert und auch Mitarbeiter abgebaut. Das musste ich teilweise federführend machen. Aber immer nur, wenn klar war, es geht nicht anders. Der Unterschied zwischen einem Familienunternehmen und einer Aktiengesellschaft oder noch schlimmer Private Equity ist, dass Familienunternehmen sich langfristig orientieren und nicht die kurzfristige Gewinnoptimierung sehen. Ich spüre hier nicht den Druck vom Verwaltungsrat, dass ich das Unternehmen in den nächsten drei Monaten auf den maximalen Profit trimme. Das ist nicht nachhaltig.

Aber auch Ihre Gesellschafter wollen einen Gewinn sehen?

Klar, es gibt immer einen Kosten-Profit-Druck. Aber im Vergleich ist der in einem Familienunternehmen sehr untergeordnet. Viel wichtiger ist die Überlegung, wie kann ich Kern-Liebers aufstellen, dass wir in fünf oder zehn Jahren erfolgreich sind? Und nicht in 2021. 2021 ist am Ende vom Tag irrelevant. Wichtig ist, wo fahren wir hin, damit wir langfristig erfolgreich sind? Und dass wir auch langfristig einen Standort Schramberg profitabel betreiben können.

Warum Kern-Liebers?

Firmenzentrale in Sulgen. Foto: him

 Was hat  Sie noch an Kern-Liebers gereizt?

Ich habe den Eindruck, dass hier eine gewisse Bodenständigkeit existiert. Man ist sich seines Erfolgs seit 1888  bewusst, weiß aber auch, wieso man den Erfolg hatte und hebt nicht ab. Und schließlich, dass wir hier auch eine soziale Verantwortung leben.

Was heißt das konkret?

Das heißt, es wird nicht im Schnellschuss die Produktion verlagert. Wenn, dann ist das reiflich geprüft und die letzte Möglichkeit. Ein anderes Beispiel ist das Engagement  wie beim Kindergarten Oberreute. Das finden sie am ehesten bei einem Familienunternehmen. Aber das sieht man auch, wie sich das Unternehmen bei der Ausbildung verhält.

Da bleiben die Zahlen in etwa gleich?

Sicher kann man darüber streiten, wie viele Leute muss ich ausbilden? Aber ich bin überzeugt, gerade in ländlichen Gebieten ist Ausbildung absolut notwendig. Das kenne ich aus meiner Vergangenheit, dass es sehr schwierig ist, gute Mitarbeiter zu bekommen – auch in einer Region wie Schramberg. Zum einen gibt es viel Wettbewerb und zum anderen ist der Arbeitsmarkt  begrenzt. Wenn ein Unternehmen wie Kern-Liebers nicht ausbildet, wüsste ich nicht, wo wir in fünf bis zehn Jahren noch unsere guten Mitarbeiter herbekommen sollten. Und schließlich ein letztes, ganz persönliches Argument für ein Familienunternehmen: Wenn ich nach Hause komme, und meinen Kindern von der Arbeit berichte, dass ich sagen kann, ich bin stolz, bei Freudenberg oder jetzt bei Kern-Liebers zu arbeiten.

Wo steht die Firma in zehn Jahren?

Es klingt, als ob auch Sie Ihr Engagement in Schramberg langfristig sehen. Was denken sie, wo steht Kern-Liebers in zehn Jahren?

Hmm, (zögert)

Was produziert die Firma dann?

Ich würde mir wünschen, dass wir nach wie vor profitabel im Automobilgeschäft unterwegs sind, denn da kommen wir her. Idealerweise haben wir den Anteil am Automobilgeschäft allerdings reduziert.

Jetzt sind es 60 Prozent?

Ja, so 60 bis 70 Prozent. Wir sehen, die Automobilindustrie ist immer ein riskantes Geschäft. Es ist wichtig, dass Sie etwas anderes haben, wenn das Automobilgeschäft im Keller ist. Dadurch können Sie ein Unternehmen gesund halten. Da darf man sich nicht ausruhen, sondern da muss man immer agil sein und schauen, dass Sie unabhängig von einzelnen Industriesegmenten sind.

Eine letzte, persönliche Frage:  Ihr Vorname Erek…

(Stöhnt) Mein Vater ist Historiker, und Erek war einer der Ritter von König Artus Tafelrunde. Das hat meinem Vater gefallen. Aber es gibt kaum jemanden, der meinen Vornamen nur vom Hören her richtig schreibt….

In einem zweiten Teil befasst sich Erek Speckert ausführlich mit der Zukunft der Automobilindustrie und neuen Antriebstechnologien wie Wasserstoff und Strom.

 

 

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