VILLINGEN-SCHWENNINGEN (him) – Zum inzwischen 20. IHK-Neujahrstreffsind am Donnertagabend etwa 2.300 Gäste in die Hallen der Messe in Villingen-Schwenningen geströmt. Kein Wunder: als Festredner hatte die IHK den Chef des VW-Konzerns Professor Martin Winterkorn gewonnen. Und der hatte gleich noch seinen Porschechef Matthias Müller mitgebracht. Für eine Region, in der zahlreiche Automobilzulieferer zu Hause sind, zwei wichtige Gäste.
IHK-Präsident Dieter Teufel erinnerte an ein “Jahr voller Höhen und Tiefen“ und den Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Hier in der Region seien aber auch weltmeisterliche Leistungen geschehen: „Unsere niedrige Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent kann sich mehr als sehen lassen. Wir haben faktisch Vollbeschäftigung – das macht unsere Region auf dem Arbeitsmarkt nicht nur zum Landesmeister, sondern genauso zum deutschen Meister.“
Auch im Bereich Ausbildung sei die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg ganz vorne dabei. „Während andere Regionen händeringend nach Auszubildenden suchen, haben wir die Zahl der neu eingetragenen Ausbildungsverhältnisse um zwei Prozent gesteigert – von 2.448 auf 2.497.“
Mit Blick auf zwei Großprojekte versicherte Teufel: „Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg ist auf dem besten Weg, sich auf der Innovationsachse Stuttgart-Zürich zu behaupten.“ Er bezog sich auf ThyssenKrupp und Daimler, den Testturm in Rottweil und das Daimler Prüf- und Technologiezentrum in Immendingen. Sein Lob galt aber insbesondere der hiesigen Unternehmerschaft: „Unser Mittelstand ist unser Motor.“
Im Zusammenhang mit der voranschreitenden Digitalisierung kündigte Teufel an, dass unter Führung des Instituts für Mikro- und Informationstechnik in diesem Jahr einen Stiftungslehrstuhl für das Themengebiet Industrie 4.0 auf gebaut werde: „Sicherlich ein Meilenstein für die weitere Entwicklung der Region“, so Teufel.
Prof. Winterkorn befasste sich in seinem Vortrag mit der „Mobilität der Zukunft“ und wie der VW-Konzern den Wandel vorantreibe. Doch zunächst blickte er zurück auf die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem Zulieferer Marquardt in Rietheim-Weilheim. Dr. Harald Marquardt, Sprecher der Geschäftsführung der Firma Marquardt hatte Winterkorn nämlich zum Neujahrstreff bewegt. Dieser Mittelständler habe die typischen Stärken des deutschen Mittelstandes und lebe dessen Werte. „Wir bei VW setzen auf diese Werte.“ Winterkorn verwies darauf, dass sein Unternehmen für einen deutlich dreistelligen Millionenbetrag in der Region Teile einkaufe.
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland sei gut, die Unternehmen gesund, dennoch dürfe man sich nicht zurücklehnen. Die Frage sei: „Wie können wir unter dramatisch sich ändernden Bedingungen die Zukunft sicher machen?“ Er erinnerte an den Stromkonzern Eon, der nun mit größter Mühe den Wandel weg von Kohle und Atom zu den regenerativen Energien versuche. „Das passiert, wenn man nicht früh genug handelt.“
Als Beispiel für den raschen Wandel nannte er neben den Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten die wirtschaftliche Entwicklung in den „BRIC-Staaten“: Vor drei Jahren boomten Brasilien, Russland, Indien und China noch: „Heute reden wir nur noch vom Wachstumsland China.“
Allein in den acht Jahren, in denen er an der Spitze des VW-Konzernes stehe hätten sich dramatisch technologische Entwicklungen ereignet. Das erste Smartphone, das Apple i-phone sei 2007 auf den Markt gekommen.
In den letzten Jahren habe die Auto-Industrie viel dazu gelernt, etwa, dass es nicht nur im PS geht. „Wir haben den Elektromotor lieben gelernt und gelernt, dass man auch mit einem grünen Ministerpräsident konstruktiv und sachlich diskutieren kann.“
In der Automobilindustrie macht Winterkorn drei Trends aus: die Elektromobilität, den schleichenden Wertewandel und die Digitalisierung. Zwar sei das Elektroauto noch ein Nischenprodukt, weniger als 20.000 E-Mobile fahren in Deutschland bei insgesamt 44 Millionen PKWs. Winterkorn ist überzeugt, dass auch auf lange Sicht viele Antriebsarten nebeneinander bestehen bleiben werden. „Schon heute bauen wir fünf verschiedene Antriebe in den VW Golf ein“, so Wintermantel.
Bei jungen Leuten sei zu beobachten, dass das Auto als Statussymbol seinen Reiz verliere. „Die Zahl der PKW-Besitzer unter 25 ist stark gesunken. Viele junge Leute haben einen rationaleren Blick aufs Auto als meine Generation.“ Dennoch geht Winterkorn davon aus, dass 2020 weltweit 100 Millionen Autos verkauft werden: Mobilität bleibe ein Grundbedürfnis.
Die Digitalisierung schreite weiter voran. „Daten werden zum neuen Öl unserer Zeit“, fasste Winterkorn zusammen. Diese Daten dürfe man nicht leichtfertig aus der Hand geben. Insgesamt sehe er den Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Riesenchance.
Mit Blick auf die US-Konzerne wie Google oder Apple versicherte der VW-Boss, deren Anstrengungen für das „pilotierte Fahren“ nehme die deutsche Autoindustrie sehr wohl ernst, aber: „Unser Weg in die digitale Welt ist kürzer als Googles Weg in die mobile Welt.“ Von den 600.000 Beschäftigten bei VW arbeiteten 44.000 in der Forschung und Entwicklung. Außerdem beschäftige der Konzern 10.000 IT-Spezialisten. Dennoch sieht auch Winterkorn einen Nachholbedarf im IT Bereich im Vergleich zu Asien und besonders den USA.
Alles in allem sei er aber optimistisch. Auch in 20 Jahren würden Autos gebaut werden, und: „Das Auto bleibt ein Objekt der Begierde.“
IHK-Präsident Teufel dankte dem VW-Chef und überreichte Winterkorn ein, ganz den Regeln gegen Bestechlichkeit -und der schwäbischen Sparsamkeit – entsprechend bescheidenes Geschenk, nämlich einen Dirigentenstab.